Proteste in der Ukraine:Russland verlangt "Ruhe und Ordnung" im Nachbarland

Russian Prime Minister Dmitry Medvedev meets Vice Prime Minister

Russlands Premierminister Dimitrij Medwedew (li.) im Gespräch mit dem ukrainischen Vizepremier Jurij Bojko.

(Foto: dpa)

Die ukrainische Regierung will härter gegen Demonstranten vorgehen - auch weil Russland das fordert. Die Führungen beider Länder schieben der Opposition die Verantwortung für die Gewalt zu.

Von Cathrin Kahlweit

Der Druck aus Moskau auf die ukrainische Regierung wächst, "Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen. Bei einem Treffen des russischen Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedjew mit einem ukrainischen Vizepremier in Moskau sagte Medwedjew, zwar handele es sich hier um "interne Angelegenheiten". Gleichwohl müsse die Kiewer Regierung die Sache baldmöglichst zu einem Ende bringen. Auch die ukrainische Regierung selbst droht den Demonstranten mittlerweile mit härteren Maßnahmen. Wer das Gesetz breche, werde bestraft, warnte Ministerpräsident Mykola Asarow am Mittwoch in Kiew.

Gleichzeitig verschärfte sich der Ton zwischen Moskau und der Nato. In einer Erklärung der Nato-Staaten vom Dienstag hatten die Außenminister den Einsatz "exzessiver Gewalt" gegen Demonstranten verurteilt. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte daraufhin, er verstehe nicht, "wieso die Nato solche Erklärungen abgibt". Damit trage die Allianz zu einem "verzerrten Bild" der Lage in der Ukraine bei. Es sei die Opposition, deren "Ausmaß an Aggression" es zu verurteilen gelte.

Beide Seiten bezogen sich dabei vor allem auf Übergriffe von Spezialeinheiten vor dem Präsidentenpalast am Sonntagabend, bei denen zahlreiche Demonstranten und Journalisten verletzt worden waren. Die Opposition geht davon aus, dass Agents Provocateurs eingesetzt worden sind, die Regierung beschuldigt die Opposition, die Gewalt ausgelöst zu haben.

Der ukrainische Vizepremier war nach Moskau geflogen, um einen Besuch von Präsident Viktor Janukowitsch am Wochenende vorzubereiten, auf dem es wieder einmal um niedrigere Gaspreise und Wirtschaftshilfe gehen soll. Die Abhängigkeit von russischem Gas war einer der Gründe gewesen, warum die Ukraine vor einer Woche in Vilnius das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterschrieben hatte; man fürchtete, in diesem Fall von den Russen energiepolitisch noch weiter unter Druck gesetzt zu werden.

Drei ukrainische Regierungsdelegationen unterwegs

Obwohl in der Ukraine nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen die Regierung Asarow die massiven Proteste auch am Mittwoch weitergingen, flog Janukowitsch zu einem lange geplanten Besuch nach Peking. China ist mittlerweile einer der wichtigsten Investoren und Kreditgeber des hochverschuldeten Landes. Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds über zusätzliche Kredite waren aufgrund der Weigerung Kiews gescheitert, die subventionierten Energiepreise zu erhöhen. Frisches Geld braucht das Land derzeit auch deshalb, weil es, wie Gazprom-Chef Alexej Miller in Moskau genüsslich mitteilte, dem Konzern für die Monate August bis November zwei Milliarden Dollar schulde. Bisher habe man keine Lösung für das Problem gefunden.

Neben den beiden Delegationen, die nach Moskau und Peking abgereist waren, hat sich am Mittwoch eine dritte ukrainische Regierungsdelegation nach Brüssel aufgemacht. Sie wurde angeführt von einem weiteren Vizepremier, Sergej Arbusow, der bei der EU Chancen für eine Road Map, also für weitere Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen ausloten soll. In Brüssel hieß es bisher lediglich, man warte immer noch auf belastbare Zahlen aus Kiew, um die Gespräche wieder aufnehmen zu können.

"Einkaufstour für Geld"

Während also das Regime verzweifelt auf "Einkaufstour für Geld" ist, wie eine ukrainische Zeitung schreibt, wird in der Opposition weiter über einen Fahrplan nachgedacht, wie man Neuwahlen herbeiführen kann. Der Direktor des Instituts für Euro-Atlantische Beziehungen, Alexander Suschko, spricht von zwei Möglichkeiten - "Gewalt oder Vernunft". Einen Weg zurück gebe es nicht. Da eine Abwahl der Regierung verfassungsrechtlich sehr schwierig sei, werde nun über eine Änderung des Wahlrechts nachgedacht. Eine Wahlrechtsreform wünscht sich auch Andreas Umland, der in Kiew Politikwissenschaft lehrt; in einer parlamentarischen Republik wäre die "Partei der Regionen Teil des Systems, nicht der Dirigent". Aber dieser Weg, so die Experten, dauere leider zu lange.

Welche kurzfristigen Lösungen es für die aktuelle Krise geben kann, ist ungewiss. Oppositionspolitiker Vitali Klitschko sagte anlässlich eines Besuchs von Außenminister Guido Westerwelle, er hoffe, "dass wieder neu über das EU-Assoziierungsabkommen gesprochen wird". Die Menschen zeigten jeden Tag auf der Straße, dass sie zu Europa gehören wollen. Ein stärkeres Zeichen an die EU kann es nicht geben." Westerwelle sagte auf dem Maidan-Platz, "hier schlägt das Herz europäisch". Der Politiker Jurij Luzenko forderte von der EU, sie müsse eine Mission nach Kiew entsenden, um den Kollaps des Landes zu verhindern. Was diese Mission ausrichten könnte, sagte der Vertreter der Vaterlandspartei Batkiwschtschyna nicht.

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