Proteste in der Türkei:Wie Erdoğan Istanbuler Fußballfans gängeln will

Fans von Besiktas, Galatasaray und Fernerbahce protestieren auf dem Taksim-Platz gegen Erdogan.

Fans von Beşiktaş, Galatasaray und Fenerbahçe protestieren auf dem Taksim-Platz gegen Erdoğan

(Foto: MURAD SEZER/Reuters)

Fans der verfeindeten Istanbuler Fußballklubs Beşiktaş, Galatasaray und Fenerbahçe versöhnten sich im Juni auf dem Taksim-Platz, vereint im Protest gegen Ministerpräsident Erdoğan. Von Mitte August an muss Beşiktaş nun ausgerechnet in das Stadion ausweichen, das nach dem Regierungschef benannt ist. Der Verein trifft nun Vorkehrungen, um politische Aktionen zu unterbinden.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Profifußball-Spieler war auch eine Option: Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan galt vor seiner politischen Karriere als ausgesprochenes Talent auf dem Rasen. Ein glühender Fußballfan ist der konservative Muslim bis heute geblieben. Die Arena in dem schlichten Istanbuler Hafenviertel Kasımpaşa, in dem der Premier aufwuchs und seine ersten Bälle kickte, trägt den Namen "Recep-Tayyip-Erdoğan-Stadion".

In der neuen Saison wird von Mitte August an ausgerechnet hier auch der Istanbuler Traditionsklub Beşiktaş seine Heimat finden, weil dessen Rasenplatz - das historische Inönü-Stadion - etwa zwei Jahre lang umgebaut wird. Beşiktaş-Fans sind zuletzt mit einem neuen Schlachtruf auf Istanbuls Straßen aufgefallen: "Erdoğan istifa" - Erdoğan tritt zurück.

"Schlaflose Nächte" bereite der Umzug von Mannschaft und Fans schon den Verantwortlichen in Istanbul - und der Regierung in Ankara, so heißt es auf der Webseite des oppositionellen Senders Odatv. Auch andere Fußball-Stadien könnten "zum Albtraum" für Erdoğan werden, warnt der Autor des Odatv-Beitrags, Ahmet Yildiz. Schließlich gehörten nicht nur Mitglieder des prominenten Beşiktaş-Fanklubs "Carsi" zu den Unterstützern der Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park und auf dem Taksim-Platz, sondern auch Fangemeinden der zwei anderen Istanbuler Großklubs, Galatasaray und Fenerbahçe.

Fans von Fenerbahçe waren im Juni kilometerweit marschiert, über die Bosporusbrücke zwischen Asien und Europa, um auf den Taksim zu gelangen. Die Stadt hatte Schiffe und U-Bahnen eingestellt, um die Protestler zu behindern. Auf dem Taksim versöhnten sich dann die sonst tief verfeindeten drei Klubs in aller Öffentlichkeit, tauschten T-Shirts und nahmen gemeinsam an den Demonstrationen gegen die Regierung teil.

Im Massenblatt Hürriyet erfuhren die Beşiktaş-Anhänger am Mittwoch nun, wie der Klub den Sorgen vor einem Umzug der Proteste von den Straßen in die Stadien begegnen will: Jeder, der ein Ticket für eines der Beşiktaş-Spiele kauft, muss bestätigen, dass er sich nicht an "gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Aktionen" beteiligen wird - also keine Anti-Erdoğan-Parolen. In den sozialen Medien hagelt es Proteste gegen den Klub, der diese Bedingung "stillschweigend" akzeptiert habe, so Hürriyet. Die Beşiktaş-Verantwortlichen berufen sich auf ein Gesetz, das schon eine Weile existiert und Gewalt in den Stadien verhindern soll. Darin werden Fans für "beleidigende Jubelrufe" bereits drei bis zwölf Monate Haft angedroht.

Fans könnten "wie Kriminelle behandelt werden"

Sollten die Beşiktaş-Anhänger gegen die neuen Regeln verstoßen, könnte ihr Klub das Recht verlieren, im "Erdoğan-Stadion" zu spielen, heißt es. Auch beim Kauf elektronischer Tickets für Spiele in anderen Städten hat der Staat offenbar ein Auge auf die Fans. Käufer für ein Super-Cup-Spiel am 11. August im zentralanatolischen Kayseri müssten ihre Identitätsnummer, die jeder Türke hat, angeben, so heißt es bei Odatv. Es sei damit ein Leichtes, später herauszufinden, in welchem Tribünenblock eventuelle Störer saßen. "Dann können sie wie Kriminelle behandelt werden", berichtet Odatv.

Auch in der türkischen Hauptstadt hatten Fans des Vereins Ankaragücü an den Protesten teilgenommen. Viele Beobachter sind sich einig: Ohne die nicht selten kampferprobten Fußballfans wären die Proteste womöglich nicht so rasch zu einer Massenbewegung geworden.

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