Proteste gegen neue Landebahn in Frankfurt:Wutbürger in Terminal 1

Die explosive Stimmung am Frankfurter Flughafen erinnert an die Proteste gegen Stuttgart 21: Anwohner der neuen Landebahn demonstrieren lautstark gegen "Lärmterroristen" und "Kindermörder". Plötzlich sind auch Unionspolitiker für ein strenges Nachtflugverbot - doch die Bürger glauben ihnen nicht.

Marc Widmann und Jens Flottau

Sie bringen den Lärm zurück in den Frankfurter Flughafen, jeden Montag. Eine Frau hämmert zwei Topfdeckel aufeinander, eine andere schwingt ihre Kuhglocke durch die Abflughalle B, ein Herr drischt mit einem Holzlöffel auf eine Waschmittelpackung ein. Die Wut treibt sie in den Terminal 1, fast 3000 Anwohner waren es vergangene Woche. Auch an diesem Montagabend wollen sie wiederkommen, ihre Ohren wieder mit Stöpsel schützen und lärmend durch die Abflughalle ziehen, vorbei an ungläubig schauenden Touristen aus Asien: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Ruhe klaut!"

Demonstration gegen Fluglärm

Terminal 1 des Frankfurter Flughafens: Die Demonstranten titulieren die Flughafenbetreiber als "Kindermörder". Die wiederum fürchten, dass die Anwohner doch noch ein Flugverbot zwischen 22 und sechs Uhr durchsetzen.

(Foto: dpa)

Wer derzeit in Frankfurt ankommt, der landet in einer politisch explosiven Lage. Vor zwei Monaten eröffnete die Bundeskanzlerin freudig die neue Landebahn am größten deutschen Flughafen, sprach von einem guten Tag für Deutschland. Seither beginnt der Tag für viele Anwohner so, dass sie morgens um fünf von einem Fauchen geweckt werden. Die Maschinen fliegen neue Routen, sie überqueren Ortschaften bisweilen in weniger als 300 Meter Höhe.

Wo die Menschen besonders ächzen unter dem Lärm, kann man in Terminal 1 problemlos ablesen, die Demonstranten tragen gelbe Schilder mit den Namen ihrer Orte, es sind Dutzende. Mainz steht darauf, Flörsheim, Sachsenhausen oder einfach nur Lärmfurt. Eine Rednerin ruft: "Wir werden so lange demonstrieren, bis diese Bahn, die uns alle foltert, geschlossen ist!" Männer mit Lautsprechern auf dem Rücken übertragen ihre Worte, und jetzt hört man in der Abflughalle nichts mehr von den metallenen Durchsagen der Starts. Man hört nur noch die Anwohner, sie brüllen: "Die Bahn muss weg!"

Inzwischen hat die Politik den Ernst der Lage erkannt. Der hessische Regierungschef Volker Bouffier (CDU) bestellte die "Verantwortlichen des Flugbetriebs" für diesen Montag ein, "wir wollen eine deutliche Lärmminderung", verlangt er.

Und Innenminister Boris Rhein (CDU), der im Frühjahr zum Frankfurter Oberbürgermeister gewählt werden will, ist jetzt für ein strenges Nachtflugverbot. Ihn treibt die Angst, dass sich der Zorn der Bürger an ihm entladen könnte, schließlich wohnen im Süden der Stadt viele bürgerliche CDU-Wähler. Sogar die hessische FDP ist urplötzlich für das Nachtflugverbot. Nur haben die Politiker ein beachtliches Glaubwürdigkeitsproblem. "Lügenpack, Lügenpack", schallt es durch den Flughafen, sobald ein Redner die Sprache auf sie bringt.

Plötzlich sind selbst CDU und FDP für ein Nachtflugverbot

Vor allem Roland Koch sollte den Frankfurter Flughafen am Montagabend besser meiden. Der frühere CDU-Regierungschef hat bei den Anwohnern gleich doppelt verspielt: Zuerst versprach er, die neue Bahn gebe es nur gemeinsam mit dem Nachtflugverbot, das war der Kompromiss, auf den sich Flughafengegner und -befürworter in einem Mediationsverfahren verständigten. Doch auf Druck der Lufthansa änderte Koch seine Meinung und ließ doch 17 Flüge pro Nacht genehmigen. Und als ein Gericht das für rechtswidrig erklärte, legte Hessens Regierung dagegen Revision ein. So ist alles noch offen, erst im Frühjahr entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, ob die Flieger weiterhin von 23 bis fünf Uhr pausieren müssen. Keiner mag sich vorstellen, wie der Protest erst aussieht, sollte das Verbot fallen.

Schon jetzt erinnert die aufgeheizte Stimmung in Terminal 1 an jene rund um den Stuttgarter Hauptbahnhof. Rot umrandet ist das Fahndungsplakat in den Händen einer Frau, "Lärmterroristen" sucht sie damit, man sieht die Köpfe von Koch, Bouffier und dem Flughafenchef. Ein anderes Plakat tituliert den Flughafenbetreiber Fraport als "Kindermörder", weil die Kleinsten jetzt "unter einem Kerosin-Nebel aufwachen".

Wie in Stuttgart gehen hier vor allem gestandene Bürger auf die Barrikaden. Der Immobilienmakler Karlheinz Rosenmeyer aus Nackenheim trägt Brille und stilvolle Kleidung, nur den Protestaufkleber auf seiner Stirn müsste er abziehen, ehe er wieder Häuser verkaufen kann. Er fühlt sich unter Seinesgleichen: "Hier sind alles situierte Leute, hier sind keine Ausgeflippten dabei." Dann rufen sie wieder: "Die Bahn muss weg!"

An der falschen Stelle gebaut

Dieses Ziel werden sie wohl nicht erreichen, schließlich kostete der Bau mehr als 1,4 Milliarden Euro, inklusive Verlegung einer Chemie-Fabrik, die mitten in der Anflugschneise stand. Doch kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass die neue Landebahn an der falschen Stelle betoniert wurde. Offiziell heißt es stets, der Platz nördlich des Flughafens sei gewählt worden, weil er in Sachen Lärm besonders günstig sei. Aber das stimmt so nicht, wie die Proteste zeigen.

Es wäre auch möglich gewesen, die Bahn im Süden zu planieren. Deutlich weniger Anwohner wären dort betroffen gewesen. Dagegen sprachen jedoch vor allem politische Argumente: Ein kleiner Ort namens Zeppelinheim hätte wohl abgesiedelt werden müssen, er wäre zu dicht dran gewesen. Vor allem aber wäre die Startbahn West praktisch nicht mehr nutzbar gewesen, weil sich an- und abfliegende Maschinen in die Quere gekommen wären. Ohne sie hätte man im Süden zwei Bahnen bauen müssen, um nicht gleich wieder einen Kapazitätsengpass zu verursachen. Die Startbahn West zu schließen, galt vielen in der hessischen Politik und beim Flughafenbetreiber Fraport jedoch als völlig undenkbar - schließlich sind bei den Protesten gegen sie zwei Polizisten ums Leben gekommen. Sie steht noch keine 20 Jahre. Also baute man im Norden und brachte vielen Menschen den Lärm.

Die klagen jetzt wie Edith Lorenz über "Körperverletzung". Sie protestiert nicht oft, sie arbeitet als Beamtin in einem Ministerium. Aber jetzt pfeifen 1100 Meter über ihrem Haus die Maschinen, und sie überlegt, ob sie ihr kleines Idyll, in das sie so viel Geld gesteckt hat, bald verlässt. "Wann ist die nächste Landtagswahl?", steht auf ihrem Plakat.

Von einer Empore aus beobachten Männer in dunklen Anzügen den Protest, sie gehören zum Flughafenbetreiber Fraport und wirken etwas angespannt. Die Luftverkehrsbranche ist ernsthaft beunruhigt, dass die Demonstranten längst ein ausgeweitetes Nachtflugverbot fordern. Es soll mindestens von 22 bis 6 Uhr gelten, also zwei Stunden länger als bisher.

Die Luftverkehrsbranche ist beunruhigt

Dabei klagen die Charter- und Frachtfluggesellschaften schon jetzt, dass sie nachts nicht mehr fliegen dürfen. Selbst für Flüge, die nach 22 Uhr geplant sind, kann es bereits eng werden: Eine kleine Verspätung nur, schon müssen sie ausfallen, denn Ausnahmegenehmigungen werden sparsam erteilt. Am Freitagabend strandeten deshalb 520 Lufthansa-Passagiere in Frankfurt. Wie der Flugplan im Winter aufrechterhalten werden soll, wenn die Enteisung viel Zeit kostet, weiß keiner.

Immer wieder tritt die Nervosität der Branche offen zutage. Als ein Wissenschaftler kürzlich behauptete, alle nächtlichen Frachtflüge könnten problemlos von Frankfurt auf den Flughafen Hahn verlegt werden, reagierte Lufthansa Cargo mit einer mehrseitigen Erklärung, in der man ihm in harschem Ton komplette Unwissenheit vorwarf. Die Nerven sind dünn geworden, auf beiden Seiten.

Als die Demo in Terminal 1 zu Ende geht, verabschiedet sich der Redner ausgewählt höflich: "Ich wünsche Ihnen eine geruhsame Woche", sagt er, "auch wenn Sie die nicht haben werden."

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