Proteste gegen Castor-Transport:Ein Happening im Maisacker

Die Anti-Atom-Bewegung im Höhenflug: Während der Castor-Transport durch Deutschland rollt, kommen im Wendland so viele Atomkraftgegner wie nie zuvor zusammen und protestieren friedlich - bis am Ende der Veranstaltung Steine fliegen. Die Kanzlerin und ihr Umweltminister zeigen kein Verständnis.

In Niedersachsen ist es ein Happening - noch. Bunter Protest bei strahlendem Sonnenschein, eine Kundgebung mit prominenten Rednern und immer wieder die Forderung nach der Abschaltung aller Atomkraftwerke in Deutschland.

Castor-Transport

Zehntausende Demonstranten nahmen an der Großkundgebung im Wendland teil.

(Foto: dpa)

So viele Demonstranten wie nie in den mehr als 30 Jahren Anti-Atom-Protesten sind im Wendland auf den Maisacker gegangen, um ihrem Unmut Luft zu machen. Die Kundgebung hat nicht nur wegen der von Schwarz-Gelb beschlossenen Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke Zulauf, sondern auch wegen des großen Unmuts über eine Basta-Politik der Regierenden. Bauern sind mit hunderten Traktoren ebenso gekommen wie Studenten und Künstler, Senioren, die auf einer kleinen Tribüne Platz finden, oder Familien mit kleinen Kindern.

Begleitet von Protesten mit Rekordbeteiligung rollt der Castor-Transport mit hoch radioaktivem Atommüll für das Zwischenlager Gorleben durch Deutschland. Bei einer Anti-Atom- Demonstration kamen am Samstag in Dannenberg zehntausende Menschen zusammen - so viele wie nie zuvor. Die Veranstalter sprachen von 50.000 Demonstranten, die Polizei zählte rund 25.000.

Am Rande der Kundgebung kam es zu ersten Ausschreitungen: Die Polizei setzte Schlagstöcke und Pfefferspray gegen rund 150 Demonstranten ein. Im Wendland bereiteten sich Demonstranten darauf vor, die Fahrt der Atommüll-Container an diesem Sonntag möglichst lange zu blockieren. Die heiße Protestphase beginnt, wenn der Zug Dannenberg erreicht hat.

Die Castoren werden dort auf Lastwagen umgesetzt und müssen die letzen 20 Kilometer bis ins Zwischenlager auf der Straße zurücklegen. Der aus Frankreich kommende Zug mit den elf Spezialbehältern passierte am Samstag um 13.54 Uhr im baden-württembergischen Kehl die Grenze. Im Bahnhof Kehl stand er dann für Rangierarbeiten fast vier Stunden lang. Dann setzte er seine Fahrt fort und rollte dabei auch über eine Brücke, von der sich Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace abgeseilt hatten.

Später passierte er unbehindert Karlsruhe, wurde dann aber im hessischen Darmstadt für eine halbe Stunde von Atomkraftgegnern gestoppt. Nach Polizeiangaben besetzten rund zehn Menschen die Gleise. Sie wurden von der Polizei weggetragen. Zuvor hatten schon im rheinland-pfälzischen Berg an der deutsch- französischen Grenze, wo der Zug auch hätte ankommen können, rund 2000 Atomkraftgegner demonstriert. Später zogen nach Polizeiangaben rund 1500 Menschen zur Bahnstrecke, durchbrachen die Absperrung und besetzten vorübergehend die Gleise. Der Zug änderte aber kurzfristig seine Route. Daraufhin brach die Polizei eine begonnene Räumung der Gleise ab.

Bei der Demonstration in Dannenberg protestierten Atomkraftgegner aus ganz Deutschland gegen den Kurs von Schwarz-Gelb und die längeren Laufzeiten der Kernkraftwerke. "Der heutige breite Protest zehntausender Menschen zeigt: Die Bevölkerung duldet keine Klientelpolitik für Atomkonzerne auf Kosten ihrer Sicherheit", erklärten die Veranstalter. Die Suche nach einem Atomendlager löste zugleich einen heftigen Streit zwischen Regierung und Opposition aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte Auswüchse bei den Atomprotesten.

SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte die Kanzlerin auf, nach Gorleben zu kommen und sich den Demonstranten zu stellen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) verteidigte die Castor-Transporte als alternativlos. Es sei verantwortungslos, dagegen zu demonstrieren, weil der Müll entsorgt werden müsse, sagte er. Auch unter Rot-Grün seien Castor-Transporte genehmigt worden. Die Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir nahmen an der Kundgebung in Dannenberg teil und riefen auch zu Sitzblockaden auf. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi fuhr selbst mit dem Trecker vor, insgesamt beteiligten sich Landwirte mit rund 600 Traktoren an der Demo. Mehr als 16.000 Polizisten sind während des Castor-Transports im Einsatz.

Kanzlerin Merkel kritisierte die geplanten Aktionen einiger Atomkraftgegner. Eine Gruppe hatte angekündigt, massenhaft Steine aus dem Gleisbett zu entfernen, um den Castor-Zug aufzuhalten. "Was so harmlos daherkommt, Entschottern, das ist keine friedliche Demonstration, sondern ein Straftatbestand", sagte die CDU- Vorsitzende in Bonn bei einem Parteitag der nordrhein-westfälischen CDU. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits wegen des Aufrufs zu Straftaten.

Die kritisierte Anti-Atom-Gruppe "Castor Schottern" zeigte sich in einer Reaktion auf Merkels Kritik trotzig. "Wir sind entschlossen", hieß es in einer Mitteilung. "Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir mit vielen Menschen die Castor-Schiene unterhöhlen wollen (...). Dabei werden wir niemanden gefährden." Union und FDP reagierten verärgert auf die Proteste der Grünen im Wendland. Die früheren Regierungsparteien hätten jahrelang nicht an der Erkundung eines Endlagers für Abfälle aus Kernkraftwerken gearbeitet, kritisierte Merkel. FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, die Grünen dürften eigentlich nicht mitdemonstrieren. Ihr Fraktionschef Jürgen Trittin habe in seiner Zeit als Bundesumweltminister immer wieder betont, dass die Castor-Transporte wegen rechtlicher Verpflichtungen nicht zu vermeiden seien.

Die Opposition dringt auf eine deutschlandweite Suche nach einem Atomendlager und fordert einen Stopp der längeren Atomlaufzeiten. Die Grünen-Führung machte zudem die Bundesregierung für eine mögliche gewalttätige Eskalation bei den Protesten verantwortlich. Die Regierung beziehe die Bevölkerung nicht mit ein, sondern wolle Konflikte mit Wasserwerfern lösen, kritisierte Parteichef Özdemir.

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