Proteste gegen Atommüll-Transport:Wendland rüstet sich zum letzten Castor-Widerstand

Der Castor-Transport mit hochradioaktivem Müll ist wieder in Deutschland unterwegs. Tausende Atomkraftgegner bereiten sich im Wendland auf seine Ankunft vor. Bereits jetzt setzt die Polizei Wasserwerfer gegen gewaltbereite Demonstranten ein, Steine und Molotowcocktails fliegen. Nur mit einem Großaufgebot kann sie eine Besetzung der Gleise verhindern.

Lange Zeit ist es um den Castor-Transport nach Gorleben weitgehend ruhig geblieben. Nachdem der Konvoi aus Neunkirchen im Saarland abgefahren war, kam es nun allerdings erneut zu Ausschreitungen: Bei Protesten im Wendland hat die Polizei Wasserwerfer gegen Demonstranten eingesetzt.

Polizisten seien massiv mit Steinen angegriffen worden, sagte ein Sprecher der Polizei in Lüneburg. In einem Waldgebiet zwischen Leitstade und Grünhagen an der Castor-Schienenstrecke sollen sich rund 200 bis 300 Menschen versammelt haben. Molotowcocktails und Böller seien geflogen, sagte der Polizeisprecher. Er sprach von einem ungewöhnlichem Ausmaß an Aggressivität: "Wir sind schon überrascht, dass es so rustikal zugeht."

Im pfälzischen Haßloch versuchten mehrere Dutzend Atomkraftgegner, die Zugstrecke des Castor-Transports nach Gorleben zu besetzen. Nach Augenzeugenberichten konnte die Polizei mit einem Großaufgebot verhindern, dass die Demonstranten auf die Gleise gelangten. Dabei kam es zu leichten Rangeleien. Einige Castor-Gegner schafften es demnach bis an den Rand des Gleisbetts, wurden aber von Polizisten gestoppt. Die Polizei riegelte mehrere Straßen in Richtung der Gleise ab. Über dem Ort kreiste ein Hubschrauber. Zu der "Südblockade" hatten die Südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen aufgerufen. In Speyer protestierten rund 150 Atomkraftgegner.

Nach einem fünfstündigen Stopp in Neunkirchen im Saarland, wo die Lokomotiven gewechselt wurden, ist der Konvoi mit hochradioaktiven Abfällen aus La Hague seit kurz nach 16 Uhr wieder unterwegs in Richtung Gorleben. Während des Halts war es zu keinen größeren Zwischenfällen gekommen. Zwar hatten sich nach Angaben eines Sprechers der Bundespolizei in der Nähe des Zuges auch Atomkraftgegner aufgehalten. Aber es sei alles friedlich geblieben. Nur vor der Ankunft des Zuges hatte die Polizei einige Demonstranten von den Gleisen wegtragen müssen. Sieben Jugendliche, die auf die Gleise stürmten, wurden gestoppt. Gegen eine 41-Jährige werde wegen Widerstands gegen die Polizei ermittelt. Verletzt wurde niemand.

Tausende Demonstranten erwarten Castor-Transport

Mit Spannung wird die Ankunft des Konvois nun in Niedersachsen erwartet - insbesondere nach den Auseinandersetzungen zwischen Atomkraftgegnern und der Polizei im Wendland am Donnerstagabend. In der Region Gorleben haben sich nach Angaben der Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg mehrere tausend auswärtige Atomkraftgegner für Proteste versammelt. In Camps zwischen Lüneburg und Gorleben befinden sich annähernd 2000 Aktivisten, davon allein 1200 in der Umgebung von Metzingen, sagte die BI-Vorsitzende Kerstin Rudek.

Bereits zuvor hatten dort einige Atomkraftgegner mit gewaltsamen Protestaktionen an den Schienen begonnen. In Leitstade und Tollendorf seien zwei Steifenwagen mit Molotowcocktails in Brand gesetzt worden, teilte die Polizei mit. Verletzte habe es nach bisherigen Erkenntnissen nicht gegeben. Polizeikräfte seien mit Hubschraubern zu dem Einsatzort geflogen. Einige Demonstranten hätten versucht, Steine aus dem Gleisbett entlang der Castor-Schienenstrecke zu entfernen.

Lüneburgs Polizeipräsident Friedrich Niehörster warnte, man werde konsequent gegen Straftäter vorgehen. Die Einsatzkräfte würden keine Delikte wie das Schottern der Gleise dulden. "Die Polizei wird sich beherzt dagegenstemmen", sagte der Polizeipräsident. Ein Sprecher der Bundespolizei verteidigte zudem den Einsatz von Wasserwerfern gegen Aktivisten im Wendland am Vortag: "Straßenblockaden werden nicht mehr hingenommen."

Zumindest die friedlichen Demonstranten können auf großen Rückhalt in der Bevölkerung setzen: Dem ZDF-Politbarometer zufolge halten 60 Prozent der Bürger die Proteste für richtig. 37 Prozent sprechen sich gegen die Demonstrationen aus. Dass bei den Protesten auch Straßen und Gleise blockiert werden, unterstützen immerhin 27 Prozent der Befragten. 69 Prozent lehnen solche Aktionen allerdings ab.

Zulässige Strahlendosis wird eingehalten

Ursprünglich hatte der Castor-Transport bereits am Donnerstag die deutsch-französische Grenze passieren sollen. Der Zeitplan hatte sich dann aber verzögert - wie schon oft in den vergangenen Jahren bei diesen Transporten.

Castor-Transport

Atomkraftgegner haben in zwei Gemeinden in der Nähe von Metzingen im Wendland Polizeifahrzeuge in Brand gesetzt.

(Foto: dapd)

Im niedersächsischen Wendland war es am Donnerstagabend zu ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen. In dem Örtchen Metzingen - etwa 30 Kilometer von Gorleben entfernt - setzte die Polizei zwei Wasserwerfer und Reizgas ein. Einige Atomkraftgegner sollen bei einer Straßenblockade Steine, Farbbeutel und Böller geworfen haben. Nach Polizeiangaben hatten sich zwischen 600 und 800 Demonstranten versammelt. Die Bürgerinitiative am Ort sprach von etwa 1400 Teilnehmern.

Es gab Verletzte auf beiden Seiten: Atomkraftgegner sprachen von 20 durch Pfefferspray verletzte Demonstranten, eine Frau habe Prellungen erlitten. Vier Castorgegner wurden laut Polizei festgenommen. Nach Angaben der Behörden mussten acht Beamte wegen Verletzungen durch Steinwürfe und Reizgas behandelt werden.

Derweil trat das niedersächsische Umweltministerium Befürchtungen entgegen, wonach der laufende Castor-Transport zu hohe Strahlendosen abgeben könnte. "Alle elf Behälter halten den Wert für die beim Transport zulässige Strahlendosis von 100 Mikrosievert pro Stunde im Abstand von zwei Metern ein", sagte eine Sprecherin des Ministeriums.

Sie bezog sich auf eine Veröffentlichung der deutschen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln. Diese Messungen hätten ergeben, dass die höchste Stundendosis bei 75 Mikrosievert gelegen habe. Das entspräche drei Viertel des zulässigen Grenzwerts. Offizielle Daten über die Belastung auf der Strecke lagen allerdings nicht vor.

Aus Sorge über die Strahlenbelastung forderten Atomkraftgegner alle Polizisten beim Begleiten des Transports zum Desertieren auf. "Wer noch Kinder bekommen möchte, sollte desertieren und weglaufen", sagte die Vorsitzende der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Kerstin Rudek.

Der Transport des Atommülls nach Gorleben ist seit Jahrzehnten umstritten. Greenpeace und andere Organisationen halten den Salzstock an der Grenze zur früheren DDR für zu unsicher, um hier den Müll für immer in etwa 800 Metern Tiefe zu lagern. Seit vielen Jahren gibt es daher Proteste gegen Castor-Transporte in das nahe des Salzstocks gelegene oberirdische Zwischenlager, wo der Müll bis zur Endlagerung abkühlen soll. Der laufende Transport ist der letzte mit hochradioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente in Frankreich Richtung Gorleben.

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