Proteste:Den Ägyptern reicht's

Tausende demonstrieren in Kairo gegen Willkür und Repression. Die Ballung der Probleme erinnert an die Situation vor Mubaraks Sturz.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Den Zorn der Demonstranten hatte die Entscheidung des ägyptischen Kabinetts befeuert, die Souveränität über zwei unbewohnte Inseln im Golf von Aqaba an Saudi-Arabien zu übergeben. Doch die Slogans auf der größten Kundgebung seit Präsident Abdel Fattah al-Sisi sein Amt angetreten hat, erinnerten nur allzu sehr an die Revolution 2011. "Das Volk will den Sturz des Regimes", skandierten Tausende in der Innenstadt oder "Brot, Freiheit, und die Inseln sind ägyptisch!", eine Adaption eines weiteren Schlachtrufs vom Tahrir-Platz. Die Proteste in drei Straßen im Zentrum wurden zum Ventil für die zunehmende Unzufriedenheit breiter Schichten der Bevölkerung. Es demonstrierten junge Demokratie-Aktivisten, aber auch viele Menschen, die das Regime lange unterstützt haben.

Hunderte Menschen verschwinden spurlos

Die Ballung der Probleme erinnert an die Konstellation vor dem Sturz des Diktators Hosni Mubarak 2011. Polizeigewalt und Willkür empören die Menschen. Während die Welt auf den Fall des zu Tode gefolterten Italieners Giulio Regeni schaut, erregen sich die Ägypter über einen Polizisten, der in Kairo einen Tuktuk-Fahrer im Streit über den Fahrpreis in den Kopf schoss, über Polizisten, die in Luxor und anderswo Verdächtige totprügeln, und darüber, dass Hunderte über Wochen spurlos verschwinden - vom Sicherheitsapparat gekidnappt, auch wenn das Innenministerium dies vehement bestreitet.

Die Regierung rechtfertigt die massive Repression damit, dass sich ohne Stabilität die Wirtschaft nicht erhole. Doch auch die kriselt gegen Ende des zweiten Amtsjahres von Sisi. Der Tourismus liegt seit dem Anschlag der Terrormiliz Islamischer Staat auf einen russischen Ferienflieger mit 224 Toten brach, der Suezkanal, zweitwichtigster Devisenbringer, verzeichnet sinkende Durchfahrtszahlen und erwirtschaftet weniger Gebühren. Die Wachstumsprognosen hat die Weltbank gerade auf 3,3 Prozent nach unten korrigiert. Auch musste die Regierung das Pfund um 14,3 Prozent gegenüber dem Dollar abwerten. Devisen waren so knapp, dass Fluggesellschaften drohten, Tickets nur noch gegen Fremdwährungen auszustellen, weil sie ihre Einnahmen nicht konvertieren konnten. Nun steigt die Inflation; Ägypten ist der größte Weizenimporteur der Welt. Sisi hat immerhin versprochen, dass die Preise bis zum Beginn des Ramadan nicht angehoben würden - das aber ist schon Anfang Juni.

Es waren nicht Millionen, die am Freitag auf die Straße gingen, aber Tausende. Die Sicherheitskräfte feuerten Tränengas, zerrten willkürlich Demonstranten in Minibusse. Aber es gab diesmal keinen Toten. Das mag den Besuchen des französischen Präsidenten François Hollande und von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Sonntag geschuldet gewesen sein. Die nächste Kundgebung ist für den 25. April angekündigt; dann wird sich zeigen, ob die Sicherheitskräfte ihre bisherige Linie wirklich aufgeben, jeden Protest mit großer Härte zu unterbinden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: