Protestbewegung in Iran:Mullahs, Frauen, Säkulare

Von schiitischer Geistlichkeit bis zur laizistischen Opposition: Alle sind geeint gegen Ahmadinedschad. Zum ersten Mal haben sie einen gemeinsamen Gegner - und die Proteste haben ein solch gewaltiges Ausmaß angenommen, dass sie das Regime in seinen Grundfesten erschüttern.

Navid Kermani

Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani lebt in Köln. Zurzeit ist er Fellow am Kulturwissenschaftlichen Kolleg der Universität Konstanz.

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Hunderttausende demonstrieren in Teheran gegen Amtsinhaber Ahmadinedschad.

(Foto: Foto: AP)

Die Geschichte des vergangenen Wochenendes beginnt im Sommer 1998. Ein Jahr nach dem triumphalen Wahlsieg Mohammad Chatamis, der mit dem Versprechen angetreten war, die Islamische Republik zu liberalisieren, wurden kurz nacheinander mehrere berühmte Schriftsteller und Intellektuelle des Landes ermordet. Ein Jahr später knüppelten die Sicherheitskräfte demonstrierende Studenten in aller Öffentlichkeit nieder.

Tausende wurden verhaftet, viele der damaligen Wortführer sitzen bis heute im Gefängnis. Im März 2000 folgten das Verbot fast aller kritischen Zeitungen und die Verhaftungen zahlreicher Theologen, Journalisten und Reformpolitiker. Chatami blieb formell im Amt, war aber faktisch entmachtet.

Daran änderte auch seine Wiederwahl im Jahr 2001 nichts. Von den darauffolgenden Parlamentswahlen wurden fast alle reformorientierten Kandidaten ausgeschlossen. Es liegen etliche Äußerungen von Generälen der Revolutionsgarde vor, die belegen, dass sich damals ein stiller Putsch vollzog.

Dessen Ziel sprachen radikale Geistliche wie Ayatollah Mesbah-Yazdi offen aus: Statt einer "Islamischen Republik Iran" ein "Islamisches Iran", statt der sogenannten "Herrschaft des Rechtsgelehrten" die "Absolute Herrschaft des Rechtsgelehrten", soll heißen des Obersten Geistlichen Führers, Ayatollah Chamenei. Wie sie die Anwendung von Gewalt und die Missachtung von Wahlergebnissen ideologisch rechtfertigen, hielten sie ebenso wenig geheim: Wer den göttlichen Willen befolgt, muss notfalls den Volkswillen brechen.

Die Präsidentschaftswahlen 2005, bei denen Chatami nicht mehr antreten durfte, gewann überraschend der fast unbekannte Mahmud Ahmadinedschad, dessen Karriere bei der Revolutionsgarde begann und der zu eben den extremistischen Zirkeln gehört, die sich göttlich berufen fühlen, die Islamische Republik vor allen Konterrevolutionären, liberalen Geistlichen und Säkularisten zu retten.

Bei geringer Wahlbeteiligung reichten ihm gut fünfeinhalb Millionen Stimmen, um in die Stichwahl gegen Ali Akbar Haschemi Rafsandschani zu kommen. Schon damals beklagten seine Mitbewerber, dass Ahmadinedschad nur durch Manipulationen auf den zweiten Platz gelangt ist. Aber niemand in Iran bezweifelt, dass er sich im zweiten Durchgang tatsächlich gegen den früheren Staatspräsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani durchgesetzt hat.

Rafsandschani galt als einer der reichsten und korruptesten Männer des Landes, der wie kein anderer die religiöse Nomenklatur der Islamischen Republik verkörpert. Ahmadinedschad hingegen präsentierte sich als ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der gegen das gutsituierte Establishment kämpft.

Ahmadinedschad hat einige seiner Wahlversprechen eingelöst

Vier Jahre hatten die Iraner nun Gelegenheit, Mahmud Ahmadinedschad kennenzulernen. Für Oppositionelle, für die Studenten- und die Frauenbewegung, für Künstler und Intellektuelle, für die religiöse Minderheit der Bahais oder die zahlreichen Anhänger des mystischen Islams waren es vier katastrophale Jahre; für das Ansehen Irans in der Welt nicht minder.

Navid Kermani, ddp

Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani.

(Foto: Foto: ddp)

Aber Mahmud Ahmadinedschad hat einige seiner Wahlversprechen eingelöst: Er hat die Öleinnahmen in Form von Subventionen oder verdoppelten Renten an die Armen verteilt und sich als erster iranischer Präsident um die Belange der Landbevölkerung gekümmert. Nicht wenigen Iranern imponierten auch die starken Sprüche, mit denen er den Westen provozierte, ebenso wie die Kompromisslosigkeit, mit der er Irans nukleare Ambitionen vertrat.

Vor Beginn des kurzen Wahlkampfes schien seine Wiederwahl relativ wahrscheinlich zu sein, zumal die einzigen drei Gegenkandidaten, die der Wächterrat unter 475 Bewerben zur Präsidentschaftswahl zugelassen hatte, nicht eben charismatisch wirkten.

Doch dann gelang es Mir Hussein Mussawi, innerhalb weniger Wochen die Apathie zu vertreiben, die sich nach dem Scheitern des Reformprozesses ausgebreitet hatte, und gerade auch jene Iraner für sich zu gewinnen, die in der Islamischen Republik sonst nicht wählen gehen. Geholfen haben ihm die Unterstützung Chatamis, eine äußerst clevere Kampagne - und vor allem Mahmud Ahmadinedschad.

Man kann den Moment, an dem Ahmadinedschad seine Gegner mobilisierte, ziemlich genau benennen. Argumentativ in Bedrängnis gebracht, ließ er in der live übertragenen Fernsehdebatte mit Mussawi sein Lächeln fallen und wurde wieder zu dem Revolutionswächter, der er einmal gewesen war.

Wie ein Geheimdienstagent, der einen Verdächtigen verhört, versuchte er mit Fangfragen, Verdächtigungen und angeblichen Beweisen seinen Kontrahenten moralischer Untugenden zu überführen. Als er plötzlich ein DIN A4 großes Dokument mit dem Photo von Mussawis Frau Zahra Rahnaward in die Höhe hielt und behauptete, sie habe ihre Diplome erschlichen, war klar, dass die Stimmung im Land kippen würde.

Denn Millionen Iraner und insbesondere die jungen Menschen kennen diese Situation: von einem Sittenwächter, einem Schuldirektor, einem Angehörigen der Freiwilligenmiliz in den Universitäten oder direkt von einem Geheimdienstbeamten in die Enge getrieben zu werden. Das Bild von Ahmadinedschad, der einen angeblichen Beweis in die Höhe hielt, weckte traumatische Erinnerungen. Besonders viele Frauen, ob reich oder arm, religiös oder nicht, solidarisierten sich instinktiv mit der angesehenen Professorin, die auf so infame Weise an den Pranger gestellt wurde, ohne sich wehren zu können.

In der darauffolgenden Debatte geschah etwas, was kaum jemand Mussawi zugetraut hatte: Der spröde Kandidat, der beim Reden fast immer auf sein Manuskript schaut, verteidigte in einem Gefühlsausbruch seine Frau und attackierte Ahmadinedschad als Lügner und politischen Bankrotteur. Auch für dessen Unterstützer innerhalb des Machtapparats und der staatlichen Medien fand Mussawi Worte, wie sie deutlicher im iranischen Fernsehen noch nie zu hören gewesen waren. Vergeblich versuchte der Fernsehmoderator, dem sonst so beherrscht auftretenden Kandidaten Einhalt zu gebieten.

Wie die Wahl gefälscht worden sein könnte

In den folgenden Tagen erfasste die grüne Welle seiner Kampagne das gesamte Land. Selbst Groß-Ayatollah Hussein Ali Montaseri, der als ranghöchster Theologe des Landes in scharfer Opposition zum Revolutionsführer steht, kündigte an, zum ersten Mal nach über zwanzig Jahren wieder an die Urne zu gehen.

Um so größer war der Schock, als das Innenministerium in der Nacht von Freitag zu Samstag die Wahlergebnisse bekanntgab, nach denen Ahmadinedschad konstant 60 bis 65 Prozent der Stimmen erhalten habe, in den ländlichen Provinzen ebenso wie in den Städten. Hatten sich alle Beobachter verschätzt? Ist die Stimmung auf dem Land oder unter den Armen wirklich so sehr anders gewesen als in den Städten?

Es ist richtig, dass Ahmadinedschad Geld und Lebensmittel verteilt hatte - aber was die Armen bekamen, wurde ihnen durch die rasante Inflation, die seiner Wirtschaftspolitik geschuldet ist, oft wieder genommen. Und auch auf dem Land ist die Mehrheit der Menschen jung und keineswegs so traditionell ausgerichtet, wie es derzeit in den Berichten immer wieder heißt. Auch dort sind die Hälfte der Wähler Frauen, die sich in großer Mehrheit von Ahmadinedschads Attacke auf Zahra Rahnaward abgestoßen fühlten. Und vor allem ist Iran ein Vielvölkerstaat, in dem die Perser nur etwa 55 Prozent der Bevölkerung bilden.

Dass Mussawi als Aserbaidschaner sogar in seiner Heimatprovinz die Wahl verloren haben oder Mitbewerber Karrubi als Lore nur von 20.000 Loren gewählt worden sein soll, erscheint irreal. Der Vorwurf betrifft nicht Manipulationen in einzelnen Wahllokalen. Es geht darum, dass im Innenministerium, wo die Ergebnisse zusammenliefen, die Zahlen willkürlich ausgetauscht worden sein sollen.

Das Spektrum der Menschen, die wegen des offiziellen Wahlergebnisses aufbegehren, war seit der Islamischen Revolution 1979 noch nie so groß. Der Widerstand reicht auf der einen Seite tief in die schiitische Geistlichkeit, auf der anderen Seite bis zur laizistischen oder monarchistischen Opposition im Ausland. All diese Iraner sind sich keineswegs einig, wofür sie sind. Aber zum ersten Mal haben sie einen gemeinsamen Gegner.

Auf den iranischen Straßen schien diese Opposition keine Chance zu haben. Der Sicherheitsapparat wirkte zu stark, zu brutal und zu entschlossen. Zudem verfügt auch Ahmadinejad über Hunderttausende Anhänger, die sich über die Freiwilligenmilizen, Märtyrerverbände, Moscheeorganisationen oder die Armee innerhalb kürzester Zeit mobilisieren lassen.

Aber nun haben die Proteste ein solch gewaltiges Ausmaß angenommen, dass sie das Regime in seinen Grundfesten erschüttern. Jetzt schon ist nicht abzusehen, wie Revolutionsführer Chamenei gegen eine solche Massenbewegung und mit einer so massiv geschrumpften Machtbasis innerhalb des Apparats und der religiösen Elite dauerhaft herrschen will. Dass Iran zum Status quo vor den Wahlen zurückkehren könnte, mag man angesichts der gestrigen Bilder und Nachrichten nicht glauben. Leider muss allerdings immer noch mit einem Blutbad gerechnet werden, denn wer Gottes Willen auszuführen glaubt, für den zählen Menschenleben nicht unbedingt viel.

Die internationale Staatengemeinschaft hat auf diesen Machtkampf in Teheran und Ghom kaum Einfluss. Sie kann den Wahlbetrug auch nicht beweisen. Aber die Indizien, dass es ihn gegeben hat, sind so stark, dass die Welt auf einer unabhängigen Untersuchung der Vorwürfe beharren muss. Da es diese Aufklärung vermutlich nie geben wird, schließt das die Bereitschaft ein, notfalls die Kontakte mit der iranischen Regierung auf allen Ebenen zu stoppen, sie vollständig zu isolieren und härtere Sanktionen zu verhängen, als man es bisher der eigenen Wirtschaft zumuten wollte.

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