Protest gegen Stuttgart 21:Schwabenstreich im Netz

Die digitale Protestkultur wird professionell: Ein soziales Netzwerk im Internet ist die zentrale Anlaufstelle für Gegner von Stuttgart 21. Mithilfe der Website organisieren sie ihre Proteste schnell, flexibel und erfolgreich - weshalb die Polizei nun Überlastung beklagt.

Fabian Mader

Klaus Gebhard hat es auch schon mit Postkarten versucht. Eine Fotomontage war darauf zu sehen. Eine Baggerschaufel über dem Stuttgarter Schlossgarten: Als Protest gegen den neuen Tiefbahnhof. 50.000 Stück hat er verteilt, damals 2009, vor der Kommunalwahl. Von den Empfängern hat er aber nie wieder etwas gehört. "Außerdem war es zu aufwendig, jedem einzeln zu erklären, warum der Protest gegen Stuttgart 21 nötig ist", sagt Gebhard.

Polizei räumt Baumhaus

Polizisten tragen in Stuttgart im mittleren Schlossgarten Gegner des umstrittenen Bauprojekts Stuttgart 21 weg, die mit einer Sitzblockade demonstrierten.

(Foto: dpa)

Deshalb kam er auf die Idee, eine Internetseite einzurichten. Dabei ließ er sich von dem Architekturstudenten Manuel Heckel helfen. Was dann entstanden ist, ist viel mehr als eine Liste mit Adressen, die Gebhard erst vorschwebte. Die beiden haben eine Seite entwickelt, die ganz neue Wege in Sachen digitaler Protestkultur geht. Parkschuetzer.de sprüht vor Ideen, die die Aktionen koordinieren, bewerben und flexibler machen.

Etwas, das beispielsweise völlig neu ist, ist das "Widerstandsbarometer" - jedes Mitglied des sozialen Netzwerks gibt zu erkennen, wie weit es bei seinem Protest gehen will. Es gibt drei Stufen: Grün, Orange und Rot. Die Profile der Nutzer sind entsprechend eingefärbt. Wer Grün wählt, lehnt bauliche Eingriffe im Schlossgarten ab, beteiligt sich aber nur sporadisch an Aktionen. Wer sich für Orange entscheidet, will auch auf die Straße und demonstrieren. Stufe Rot heißt, dass ein Aktivist sich im Notfall an Bäume kettet und Baufahrzeugen den Weg versperrt.

Weil die Betreiber der Seite so wissen, wer wozu bereit ist, erreichen sie immer die Richtigen. "Kürzlich wollten Tankfahrzeuge den Baggern neuen Sprit bringen. Mit unserer Alarmkette haben wir schnell Hunderte Menschen vor den Bauzaun gebracht." 2300 Menschen haben ein rotes Profil, sind also sogar zu Sitzblockaden bereit, 8700 ein orangefarbenes, sie sind also schnell dabei, wenn es um Protest auf der Straße geht. 25.300 registrierte Nutzer hat die Seite insgesamt. 3000 mehr als noch vor zehn Tagen. Das Portal koordiniert den Protest nicht nur, es wirbt auch ständig neue Aktivisten dafür.

Damit der Protest so reibungslos klappt, ist natürlich das Engagement der Mitglieder von parkschuetzer.de entscheidend. Keine Bewegung auf dem Gelände bleibt unbemerkt, weil sie rund um die Uhr Wache schieben. Die Schichten teilen sie auf der Seite ein. Wer zu einer Wache am Bauzaun aufbricht, klickt auf eine Zahl, die sich dann um Eins erhöht. Damit ist für jeden ersichtlich, wie viele gerade am Ort sind und ob es nötig ist, hinzugehen. In einem Kalender schalten die Tage von blau auf grau, sobald sich genügend Projektgegner für einen Infostand am Bahnhof angemeldet haben.

Als Manko empfindet Gebhard nur, dass er mit der Seite viele ältere Gegner des neuen Bahnhofs nicht erreicht. Zwar werde das Alter nicht erfasst. Aber es sei dennoch deutlich, dass eher die Jüngeren auf die Seite Zugriff haben. "Wir bekommen immer wieder Anfragen per Post, ob wir nicht auch mit Briefen zu unseren Aktionen einladen könnten. Aber das packen wir logistisch nicht", sagt der 52-Jährige. Gebhard selbst will auf den E-mail- und SMS-Alarm nicht mehr verzichten. Das Internet hält er für das beste Instrument, um eine Bewegung zu koordinieren.

Internet löst Telefonketten ab

Laut Dieter Rucht, von der FU Berlin, schöpft der politische Protest das Potential des Internets bislang nur im Ansatz aus. Zwar habe es auch schon beim Castor-Transport erste E-mail-Verteiler gegeben, in denen Leute auch gefragt wurden, wozu sie bereit seien - aber die Organisation einer Seite als soziales Netzwerk - mit ausgeklügelten Funktionen - habe es vor parkschuetzer.de noch nicht gegeben. Dennoch bleibe er skeptisch, ob das Netz generell zu mehr politischem Engagement führen wird. "Nimmt man die absoluten Zahlen, dann haben Demonstrationen seit Einführung des Internets abgenommen."

Zudem habe es auch vor der Etablierung des Internets schon Techniken gegeben, um Protestbewegungen zu koordinieren. Telefonketten hätten auch sehr schnell viele Menschen an einen Ort gebracht. Wenn auch mit einem deutlich größeren Streuverlust als via E-mail und SMS. Anders als Rucht sind manche Forscher ganz euphorisch, was den Protest aus dem Netz betrifft.

Sinkende Hemmschwelle

Allen voran Peter Kruse von der Uni Bremen, der auf Bloggerkongressen spricht und dort schon einmal den Satz sagte, durch das Internet gehe "die politische Macht auf die Masse über". Er begründete das damit, dass Kampagnen von Einzelnen gestartet und durch das Netz zu Massenphänomenen werden können.

Ein Massenphänomen war der Protest gegen Stuttgart 21auch schon vor parkschuetzer.de. Das Portal hilft aber dabei, dass er es bleibt. Seine Bedeutung ist nicht zu unterschätzen.

Die Seite ist zur ersten Adresse für Gegner des neuen Tiefbahnhofs geworden. Die Aktivisten treffen sich nicht nur zur Demo und gehen dann wieder auseinander. Viele besuchen die Seite täglich, beteiligen sich an Debatten im Forum - die Gegner von Stuttgart 21 wissen, wo sie einander treffen. Auch deshalb sind die Proteste so konstant, dass nun die Gewerkschaft der Polizei die Auslastung der Einsatzkräfte beklagt hat. Interessant ist, dass viele im Laufe der Zeit ihren Proteststatus um eine Stufe nach oben verändern.

Das Wissen um die 11.000 anderen, die bei Protesten auf der Straße mitmachen, senkt bei vielen die Hemmschwelle. "Viele kommen natürlich eher zu Aktionen, wenn sie wissen, dass Hunderte dabei sind. Keiner steht gern einsam der Polizei gegenüber", sagt Heckel. Sie spüren auch bei den Neuanmeldungen, dass sich mehr Leute als zu Beginn für den Protest auf der Straße entscheiden.

Er ist vom Konzept der Seite überzeugt. Deshalb denkt er schon über die Zeit nach Stuttgart 21 nach. "Es könnte dauerhaft ein Forum für politische Arbeit werden". Damit wären die Zeiten von Gebhards Postkarten wohl endgültig vorbei.

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