Protest gegen Russlands Premier Putin:Der Wind dreht sich

Hunderttausende Menschen protestierten gegen die Fälschungen bei der russischen Parlamentswahl im Dezember, jetzt soll es weitergehen: Die neu gegründete "Liga der Wähler" will verhindern, dass Putin im März wieder Staatschef wird - und erzielt bereits erste Erfolge.

Frank Nienhuysen, Moskau

Milch steht auf dem Tisch, in großen Krügen. Nur trinken mag sie keiner auf der Pressekonferenz. Es sieht ja auch zu schön und metaphorisch aus, das satte Weiß, abgefüllt in durchsichtigen Gefäßen, jeder Henkel umschlungen von einem weißen Bändchen. So transparent sollen die nächsten Wahlen werden.

Russians protest against alleged vote rigging in Russia's parliam

"Für die Usurpation der Macht": Seit der gefälschten Parlamentswahl im Dezember wächst der Protest gegen Ministerpräsident Putin.

(Foto: dpa)

Es ist ein ungewöhnlicher Kreis, der sich an dem runden Tisch eingefunden hat, es könnte auch eine Talkshow sein. Die Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja, die Schauspielerin und Moderatorin Tatjana Lasarjewa, der Fernsehjournalist Leonid Parfjonow, ein Blogger, ein Politologe, über eine Videobrücke aus St. Petersburg zugeschaltet der Rocksänger Jurij Schewtschuk. Sie haben jetzt eine eigene Liga gegründet, die "Liga der Wähler".

Sie wollen den Sog nutzen, der im Dezember entstand, als Hunderttausende Menschen gegen die Fälschungen bei der Parlamentswahl protestierten. Am Mittwoch teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass es bei der Wahl am 4. Dezember etwa 3000 Verstöße gegeben habe. jetzt soll es weitergehen mit dem Kampf gegen das Unrecht.

Am 4. März findet die nächste Abstimmung statt: die Präsidentschaftswahlt. Für Anfang Februar ist daher ein großer Protestmarsch geplant, doch die Gründer der Liga wollen nicht ein folgenloses Happening, sie versuchen den Protest zu kanalisieren. Sie spannen ein Netzwerk im Internet, wollen freiwillige Wahlbeobachter gewinnen, Konzerte organisieren, ihre Bekanntheit einsetzen. Russlands Opposition rüstet sich.

"Es ist eine neue Stimmung in der Gesellschaft gereift", sagt Parfjonow, "ehrliche Wahlen enden nicht damit, wer und wie man einen Stimmzettel einwirft. Es geht auch darum, dass in Russland unabhängige Medien entstehen, unabhängige Gerichte. Dafür gründen wir die Liga der Wähler."

Einige Parteien haben offenbar versucht, sich einzubringen in die neue Organisation, doch der Filmproduzent Georgi Wassiljew lehnte dies ab. "Wir wollen keine politische Agitation, und es wird bei uns auch keinen Vorsitzenden geben", sagt er. "Nicht ein Einziger ist berechtigt, Verhandlungen zu führen mit Vertretern der Staatsmacht."

"Wir sind keine Politiker"

"Wir sind keine Politiker", sagt der Rocksänger Schewtschuk, doch nicht alle halten eine scharfe Trennung zwischen demonstrierenden Bürgern und Politikern für sinnvoll. Kommunistenchef Gennadij Sjuganow, der als Präsidentschaftskandidat gegen Wladimir Putin antreten wird, hatte sich bisher ferngehalten von den Protesten. Jetzt schloss er eine Art Pakt mit dem linken Rebellen Sergej Udalzow. Sjuganow versprach, im Falle eines Wahlsiegs Kernforderungen aus den Straßenprotesten zu erfüllen, die Entlassung des Wahlleiters Wladimir Tschurow etwa und vorzeitige Neuwahlen. Der Kommunistenchef ahnt offenbar, dass sich der Wind gegen Putin dreht, und er vielleicht nie wieder eine solche Chance erhält wie bei dieser, seiner bereits dritten, Kandidatur. Doch dafür muss er sich der losen Protestbewegung stärker öffnen. Udalzow wiederum hält Sjuganow für den Kandidaten mit den größten Aussichten, Putin in eine Stichwahl zu zwingen.

So formiert sich eine Front, die Putin Probleme bereiten dürfte. Noch immer gilt der amtierende Ministerpräsident als chancenreichster Bewerber. Aber daran, dass er es im ersten Wahlgang schafft, glauben immer weniger Russen. Sein Programm über den Kampf gegen die Korruption, sein Versprechen, Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, hat in Russland keine Faszination ausgelöst. Die Organisatoren der Straßenproteste erwarten von Putin ohnehin mehr Zugeständnisse als die Wiedereinführung direkter Gouverneurswahlen.

Putin hatte bislang gesagt, er sei zum Dialog bereit, wisse aber nicht, mit wem. Am Mittwoch bot Putin jedoch ein Treffen mit dem Schriftsteller Boris Akunin und dem Publizisten Dmitri Bykow an, die beide zu der Liga gehören. "Das ist politisches Pingpong", sagte der frühere Finanzminister Alexej Kudrin, den Putin als Freund bezeichnete und der dann im Dezember doch auf der Massendemonstration aufgetaucht war und Neuwahlen forderte. Kudrin unterstützt jetzt die neue Liga der Wähler und empfiehlt zugleich ein breites Bündnis für ehrliche Wahlen. "Sollte sich die ganze Opposition von rechts bis links verbünden, inklusive der Parteien, dann könnten sich alle Forderungen bei den Straßenprotesten erfüllen."

Doch wer genau zur Opposition gehört, ist sechs Wochen vor der Wahl nicht ganz klar. Der Milliardär Michail Prochorow, der am Mittwoch die geforderten zwei Millionen Unterschriften für seine Kandidatur einreichte, gilt für viele in Russland als heimlicher Verbündeter der Macht, gesandt vom Kreml, um die Opposition aufzuspalten. "Völliger Blödsinn", sagte Prochorow und versprach, dass er den inhaftierten früheren Yukos-Chef Michail Chodorkowskij bei einem Wahlsieg nicht nur freilassen werde. Er wolle ihn sogar in die Regierung holen.

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