Prorussische Separatisten in der Ukraine:Szenen einer Übernahme

Crisis in Ukraine

TV-Sender, Stadtverwaltung, Polizei: Prorussische Milizionäre halten im ostukrainischen Slawjansk bereits mehrere Gebäude besetzt.

(Foto: dpa)

Wer genau hinsieht, der erkennt dieselben Uniformen wie schon auf der Krim. Es sind russische Spezialeinheiten, die in der Ostukraine Gebäude besetzen - und als "Volksfront" angeblich "die Heimat" verteidigen wollen. Beobachtungen aus Konstantinowka.

Von Florian Hassel

Es ist noch früh am Montagmorgen in Konstantinowka, als die Stadtverwaltung und das Polizeirevier Besuch bekommen. Vor dem Sitz des Bürgermeisters fahren mehrere Wagen vor. Etwa 20 maskierte Männer mit Waffen und in Tarnanzügen steigen aus. Innerhalb von wenigen Minuten übernehmen sie die Kontrolle über die Sitze der Macht in dem 95 000-Einwohner-Städtchen zwischen Donezk und Slawjansk. Innerhalb von wenigen Minuten errichten sie einen Wall aus Sandsäcken, holen die ukrainische Flagge ein und hissen jene der "Republik Donezk": in Schwarz, Blau, Rot.

Die bisherigen Führungskräfte der Stadt werden teils nach Hause geschickt, teils zu "konstruktiven Gesprächen" gebeten, wie es der Kommandeur der Bewaffneten hinterher ausdrückt. "Wir sind gekommen, um die Verwaltung zu bewachen und das Referendum vorzubereiten", sagt er der Süddeutschen Zeitung. Schon am 11. Mai wollen Teile der Ostukraine nach dem Vorbild des Referendums auf der Krim über den Beitritt zu Russland abstimmen. Die Übergangsregierung in Kiew hält das für illegal - doch in Kiew regieren, so gibt der kommandierende Offizier in Konstantinowka die Kremlpropaganda wieder, "Faschisten, die Menschen lebendig verbrannt oder enthauptet haben".

In einer Umfrage spricht sich nur jeder dritte Ostukrainer für einen Anschluss aus

Über sich selbst sagt der Mann, er komme "aus der Region" und wolle "die Heimat gegen die Faschisten verteidigen". Doch wer die "grünen Männer" bei der russischen Besetzung der Krim gesehen hat, der erkennt auch die Männer, die nun Konstantinowka kontrollieren: Es sind russische Spezialeinheiten, komplett mit grün-gefleckter Tarnuniform, modernen russischen Maschinenpistolen und Panzerfäusten auf dem Rücken. Kaum ist der Sandsackwall errichtet, bringen Lastwagen Betonklötze zur weiteren Verstärkung.

Vor dem Eingang zur Stadtverwaltung werden zwei Lautsprecher aufgestellt und locken Neugierige mit sowjetischer Militärmusik und Patriotenklassikern wie "Es lebe die UdSSR" oder "Der Tag des Sieges" in rachelustiger Lautstärke. Neben dem Eingang werden zwei Tische aufgebaut, an denen sich Männer zum Dienst an den Straßensperren der "Volksfront" einschreiben können, mit denen die Separatisten immer mehr Straßen im Osten der Ukraine überziehen und so verhindern wollen, dass die Kiewer Übergangsregierung die Kontrolle über die ihr zunehmend entgleitende Region zurückerlangt.

Ein paar Hundert Meter neben der Verwaltung wird in Konstantinowka ein besonders farbenprächtiger Kontrollpunkt errichtet: mit sechs Flaggen, darunter auch der roten Flagge der Stadt Moskau mit dem Drachentöter Sankt Georg. Auch Wladimir Kostiljow, ein wuchtiger Mann mit weißem Schnurrbart und fürstlichem Bauch, schreibt sich vor der Stadtverwaltung zum Dienst an den Kontrollpunkten ein. "Ich muss helfen, den Donbass zu verteidigen", sagt der 63 Jahre alte ehemalige Schlosser. "Bis vor Kurzem hatten wir in (Ex-Präsident Viktor) Janukowitsch einen Banditen an der Macht, der stahl, was das Zeug hielt. Aber jetzt sind in Kiew Banditen an der Macht, die nicht nur stehlen, sondern töten."

"Notfalls mit der Waffe in der Hand sterben"

Kostiljow, der umgerechnet 95 Euro Rente bekommt, macht keinen Hehl daraus, dass er nichts dagegen hätte, wenn russische Soldaten als "Friedenstruppen" einmarschierten und die Region geschluckt würde. "Auf der Krim hat Putin schon die Löhne und Renten erhöht - ich will auch besser leben. Dafür bin ich bereit, notfalls auch mit der Waffe in der Hand zu sterben."

Besonders groß ist der Enthusiasmus freilich nicht, den die russischen Spezialeinheiten wecken: Nur einige Dutzend Neugierige kommen zum Verwaltungssitz; bis zum Mittag schreiben sich gerade 29 Freiwillige zum Dienst in der "Volksfront" ein. Entgegen der Kremlpropaganda gibt es in der Ostukraine keine Mehrheit für einen Anschluss an Russland. So ergab eine Umfrage der Stiftung Demokratische Initiativen, lediglich ein Drittel der Ostukrainer seien dafür, sich Russland anzuschließen.

In Lugansk und Odessa waren laut der Umfrage nur 24 Prozent für einen Russland-Beitritt, noch weniger in den Regionen Saparoschija (16 Prozent), Charkow (15 Prozent) und Dnjepropetrowsk (13 Prozent). Selbst in den Millionenstädten Charkow und Donezk gingen maximal ein paar Tausend pro-russische Demonstranten auf die Straße - und oft ebenso viele bei Gegenkundgebungen für eine einige Ukraine. Doch die Mehrheitsmeinung ist eine Sache, der faktische Machtausbau eine andere - nicht nur in Konstantinowka. In Slawjansk lässt der selbst ernannte Bürgermeister Wjatscheslaw Ponomarjow den Stadtrat am Montag offiziell für das Referendum über einen Anschluss an Russland stimmen. Auch hier sind Soldaten zu sehen, ausgerüstet mit dem neuen Ratnik-Kampfanzug, der bislang nur an russische Spezialeinheiten ausgeliefert worden ist. In Lugansk rufen Separatisten eine "Volksrepublik Lugansk" aus und geben bekannt, sie wollten sich im Falle "aggressiver Handlungen" seitens der Kiewer Regierung an Russland wenden - wegen "Friedenstruppen".

In Charkow, neben Donezk der zweiten Metropole der Ostukraine, wird dem Bürgermeister Hennadij Kernes am Montag in den Rücken geschossen; er kämpft seither in einem Krankenhaus um sein Leben. Der 2010 Gewählte trat in den vergangenen Wochen zunächst russlandfreundlich auf, stellte sich dann aber zusehends auf die Seite der Übergangsregierung in Kiew.

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