Profil:Wang Qishan

Wang Qishan
(Foto: Jason Lee/Reuters)

Oberster Korruptionsjäger Chinas, der Staatschef Xi Rivalen aus dem Weg räumt.

Von Kai Strittmatter

Wang Qishan soll großer Fan der TV-Serie "House of Cards" sein, die den Ränken und Intrigen in den eiskalten Kammern der Macht in Washington nachspürt. Sollte es je ein chinesisches "House of Cards" geben, dürften die Kabale darin das US-Original weit in den Schatten stellen. Für die Hauptfigur der Pekinger Version aber böte sich keine Person so sehr an wie die des Wang Qishan, den manche hier den "Griff des Messers" in den Händen von Partei- und Staatschef Xi Jinping nennen: der Mann, der Xi den Weg freiräumt. Der heute zweitmächtigste Mann Chinas ist vor allem aber: der im Moment wohl meistgefürchtete.

Ein erstaunlicher Typ, dieser Wang Qishan. Vor allem: ein in diesem System durch und durch ungewöhnlicher. Wang sprach stets frei von der Leber weg. Er suchte Kontakt auch zu ausländischen Geschäftsleuten und Politikern, beeindruckte sie mit Witz und Belesenheit. Seinen eigenen Leuten diktiert er gern Lektürelisten. Mal ist es Stefan Zweigs "Sternstunden der Menschheit", mal Alexis de Tocquevilles Studie zu den Ursachen der Französischen Revolution. Da kommt der Historiker in ihm durch, als der Wang Qishan seine Laufbahn begann.

Dass er einmal Chinas oberster Korruptionsjäger werden würde, hat ihn selbst überrascht. 2012 bat ihn der neue Parteichef Xi Jinping, Chef der gefürchteten Disziplinarkommission der Partei zu werden. "Darauf war ich nicht vorbereitet", sagte Wang Qishan später. Seither ist er Xis engster Alliierter. Sein Sheriff.

Davor kannte man ihn als Wirtschaftsreformer. Als Finanzexperten. Als Mann, dem alles gelang. Der eine Bank ebenso leiten konnte wie eine Provinz. Er erwarb sich einen Ruf als Feuerwehrmann der Partei, und so holte sie ihn 2003 als Bürgermeister nach Peking, als die Stadt im Griff der tödlichen Seuche SARS war. Wang gewann das Vertrauen der Bürger zurück, dann organisierte er die Olympischen Spiele 2008. Und während der globalen Finanzkrise war es erneut Wang, der als Vizepremier China relativ unbeschädigt durch die Untiefen steuerte. Viele waren enttäuscht, als Xi Jinping den ökonomisch gewieften Wang 2012 nicht zu seinem Premier machte. Wie sich jedoch schnell zeigte, war Wang dem Parteichef auf seinem Überraschungsposten viel nützlicher. Als die beiden 2012 antraten, war die KP von Korruption zerfressen und ideologisch orientierungslos. Heute ist die von Xi ausgerufene und von Wang betriebene Anti-Korruptionskampagne die längste in der Geschichte der Volksrepublik.

1,3 Millionen Kader wurden bisher bestraft. Xi und Wang eint das Ziel, die KP zu säubern. Gleichzeitig räumte Wang Qishan seinem Parteichef die gefährlichsten Rivalen aus dem Weg. Wang hat es mit Geschick und geradezu unheimlicher Ausdauer geschafft, in Behörden, Staatsunternehmen, Armee und auch im gefürchteten Sicherheitsapparat für Xi die Kontrolle zu übernehmen. Zuletzt ging es dabei mehr und mehr auch um ideologische Disziplinierung.

Wang und Xi kennen sich wohl seit der Kulturrevolution. Da waren sie als Jugendliche aufs Land zwangsverschickt worden. Beide gelten sie als Angehörige der roten Aristokratie. Xi qua Geburt (er ist Sohn eines Revolutionsführers), Wang qua Heirat (sein Schwiegervater war einst Vizepremier). Zuletzt machte ein chinesischer Milliardär Schlagzeilen, der vom New Yorker Exil aus Wang Qishan vorwarf, selbst einer höchst korrupten Familie anzugehören. Ob Wang die Vorwürfe schaden, ist schwer zu sagen. Wenn aber nächste Woche der große Parteitag der KP eingeläutet wird, werden alle Augen auf ihm ruhen. Wang ist 69 Jahre alt, den ungeschriebenen Regeln der KP zufolge müsste er eigentlich in Ruhestand gehen. Gleichzeitig möchte Xi wohl nicht auf ihn verzichten. Geht Wang also, oder bleibt er? Die Antwort wird auch Auskunft geben über die wahre Stärke und die Absichten Xi Jinpings.

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