Profil:Souad Abderrahim

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(Foto: AFP)

Die Politikerin einer Islam-Partei ist die erste gewählte Bürgermeisterin von Tunis.

Von Moritz Baumstieger

Als sich abzeichnete, dass Souad Abderrahim das noch nie Dagewesene schaffen und als erste Frau in einer arabischen Hauptstadt vom Volk zur Bürgermeisterin gewählt werden könnte, begannen ihre Gegner Bedenken zu schüren. Den traditionellen Titel "Scheich al-Medina" - Oberhaupt der Stadt -, könne man in "Scheicha" abwandeln, kein Problem. Aber muss der oberste Repräsentant von Tunis nicht zu Festtagen an Gottesdiensten teilnehmen - standesgemäß in der ersten Reihe, gleich hinter dem Imam? Wie soll das bitte bei einer Amtsinhaberin gehen, wo die Gebetsräume in Moscheen doch nach Geschlechtern getrennt sind?

Spricht man mit Abderrahim am Telefon über diese Anwürfe, sagt sie mit ruhiger Stimme: "So etwas ist doch absurd. Religion und Politik sollten wir trennen. Dafür habe ich mich in der verfassungsgebenden Versammlung eingesetzt."

Absurd war das alles auch aus einem weiteren Grund: Die Eignung einer Frau für das Amt zweifelten vor allem Wahlkämpfer der säkularen Partei Nidaa Tounes an, die sich sonst als Verteidiger von Frauenrechten geben. Und Souad Abderrahim, die immer wieder betonte, ihre Wahl wäre ein starkes Signal für die Tunesierinnen und alle anderen Frauen weltweit, war Spitzenkandidatin der Ennahda - der Partei, die ihre Ursprünge im politischen Islam hat. Nach einem langen Reformprozess nennt sich Ennahda nun gerne "muslimdemokratisch", in bewusster Anlehnung an CDU und CSU.

Bei den Lokalwahlen am 6. Mai wurde die Partei landesweit stärkste Kraft, auch in Tunis, dort holte sie 35 Prozent der Stimmen. Und so wählte der neue Stadtrat die 53-Jährige diese Woche zur Bürgermeisterin. Ein historisches Ereignis, nicht nur wegen Abderrahims Geschlecht: Die Kommunalwahlen waren die ersten freien in Tunesiens Geschichte, bisher wurden Bürgermeister vom Innenminister ernannt. Als Vollendung der Revolution von 2011 soll die Macht nun näher an die Bürger rücken, es soll dort demokratisch entschieden werden, wo die Menschen Wahlversprechen und Wirklichkeit am einfachsten miteinander abgleichen können.

Wie groß der Frust im Volk über die Politik und die weiter stotternde Wirtschaft ist, wisse sie, sagt Abderrahim. Bei der Wahl im Mai gaben gerade mal ein Drittel der Berechtigten ihre Stimmen ab, viele wählten Unabhängige, weil sie den etablierten Parteien keine Lösungen mehr zutrauten. "Diese Botschaft sollten wir ernst nehmen", sagt Abderrahim.

Als sie im Wahlkampf von Tür zu Tür ging, habe sie mit einem Programm geworben, das "nahe am Bürger und auch realisierbar ist". Abderrahim will vor allem an der Infrastruktur arbeiten: Sie möchte die Straßenbeleuchtung instand setzen lassen und das Müll- und das Verkehrsproblem der Stadt lösen. Weil das alles kostet, hat sie nach einer kreativen Lösung gesucht: "Die tunesische Verfassung gibt uns die Möglichkeit, Kleinkriminelle öffentliche Arbeiten ableisten zu lassen, anstatt sie zu inhaftieren", sagt sie. So ließe sich das Stadtbudget entlasten, von dem derzeit 80 Prozent für Löhne von Angestellten verwendet werden.

Investieren will Abderrahim auch in die Gesundheit. Über Mutter-Kind-Zentren will sie die Impfrate heben, "ein Thema, das mir schon wegen meines alten Berufs wichtig ist". Die in Sfax geborene Abderrahim studierte einst Pharmazie in Monastir. An der Universität fand sie mit 19 Jahren auch zu einer islamischen Studentenunion, die in Opposition zur damaligen säkularen Diktatur stand.

Das Kopftuch, das sie damals trug, legte Abderrahim später ab. Trotzdem gilt sie nicht unbedingt als Liberale. Seit sie sich einmal ablehnend über alleinerziehende Mütter äußerte, hängt ihr der Spitzname "Souad Palin" nach, in Anlehnung an Alaskas ultrakonservative Ex-Gouverneurin. Vielleicht ein weiterer Grund, warum Abderrahim im neuen Amt "auf Pragmatismus setzen" will und "nicht auf Ideologie".

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