Profil:Nadia Murad

Nadia Murad

Die Jesidin ist ein Opfer des IS und die neue Trägerin des Sacharow-Preises.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Die Jesidin ist ein Opfer des IS und die neue Trägerin des Sacharow-Preises.

Von Josef Kelnberger

Nadia Murad ist eine zierliche, friedliche Frau mit einem Händedruck so leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Trotz der Grausamkeiten, welche die Terrormiliz Islamischer Staat ihr angetan hat, hört man von ihr niemals das naheliegende Wort: Rache. Sie nimmt es auch jetzt nicht in den Mund, da eine internationale Allianz zum Sturm auf Mossul ansetzt. Aber in ihrem Twitter-Kommentar dazu spiegelt sich der Schrecken ihres Lebens wider: "Der IS ist eine Bande von verrückten Vergewaltigern, und die sollten erledigt werden." In Mossul, muss man wissen, wurde Murad vor zwei Jahren vom IS gefangen gehalten als "Sex-Sklavin", ein ebenso hässlicher wie zutreffender Begriff.

Die 23-jährige Jesidin hat von allen Flüchtlingen, die vergangenes Jahr nach Deutschland kamen, die erstaunlichste Karriere gemacht. Sie stand auf der Kandidatenliste für den Friedensnobelpreis. Sie erhielt den Vaclav-Havel-Preis des Europarates. Und am Donnerstag wurde bekannt, dass das Europaparlament ihr den Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit zuspricht, gemeinsam mit ihrer Landsfrau Lamia Hadschi Baschar, die wie Murad Zuflucht in Deutschland fand und nun für die Sache der Jesiden kämpft.

Eine unendliche Traurigkeit umgibt diese junge Frau, kaum jemand kann sich ihr entziehen. Einer größeren Öffentlichkeit wurde Murad bekannt durch einen Auftritt vor den Vereinten Nationen. Dort erzählte sie, wie immer, einfach nur ihre Geschichte. Beim Angriff auf die Jesiden, in IS-Diktion "Teufelsanbeter", am 8. August 2014 verlor Murad 18 Familienangehörige, darunter ihre Mutter und sechs Brüder. Sie selbst wurde verschleppt und vergewaltigt, immer wieder, ehe ihr nach drei Monaten die Flucht gelang.

Nach Deutschland kam Nadia Murad dank Winfried Kretschmann. Der Ministerpräsident ließ ein Sonderkontingent traumatisierter jesidischer Frauen nach Baden-Württemberg holen. Sie lebt nun in einer kleinen Stadt im Südwesten, deren Name geheim bleiben muss. Von hier aus reist sie, mittlerweile als UN-Sonderbotschafterin, rund um die Welt, häufig begleitet von der Menschenrechtsanwältin Amal Clooney, die den Völkermord an den Jesiden vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen will. Murad hat Scharen von Politikern gesprochen, auch bei Kanzlerin Angela Merkel war sie zu Gast. Und nur schwer kann sie verstehen, wenn Politiker nicht handeln. Kanada, immerhin, folgt nun dem Beispiel Baden-Württembergs.

Schon als Kind war Nadia Murad eine leidenschaftliche Erzählerin, nun ist sie zur Erzählerin des Grauens geworden. Mindestens 5000 Jesidinnen und Jesiden sind vom IS getötet worden. Tausende befinden sich in der Gewalt der Terrorgruppe, darunter auch Angehörige von Nadia Murad, Tausende andere sind auf der Flucht. Solange das so ist, will Nadia Murad nichts für ihr persönliches Wohlergehen tun. Eine Trauma-Therapie hat sie nach zwei Sitzungen abgebrochen.

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