Journalismus:Der Lieblingsclown des Londoner Politikbetriebs

26 09 2017 Brighton United Kingdom Labour Party Conference Gatwick Airport front meeting The G

Labour Party Konferenz am Flughafen von Gatwick Matt Chorley (M)

(Foto: imago/i Images)
  • Matt Chorleys Newsletter "Red Box" bei der Londoner Times ist Pflichtlektüre im britischen Politikbetrieb.
  • Chorley hat das perfektioniert, was man in Großbritannien "cheeky" nennt: Er ist frech, ohne grob zu werden.
  • Besonders gerne lästert er über die Brexit-Pläne der Regierung.

Von Cathrin Kahlweit, London

Matt Chorley ist ein relativ kleiner Mann mit einem lustigen Gesichtsausdruck; er hat etwas von einem Clown oder von einem gut gelaunten Geschichtenerzähler, und ein bisschen von beidem sollte ein guter Journalist ja durchaus haben. Chorley ist Kolumnist bei der Times - einer Zeitung, die gerne als "ehrwürdig" oder "konservativ" bezeichnet wird, was man von Chorley nicht sagen kann. Er hat das perfektioniert, was man in Großbritannien "cheeky" nennt: Er ist frech, ohne grob zu werden. Chorley, 35, kommentiert und moderiert, er produziert einen Podcast, aber landesweit bekannt ist er für einen Newsletter mit dem Titel "Red Box".

Die rote Kiste ist, wie Fans der britischen Demokratie spätestens aus "The Crown" wissen, eine Art offizielle Brieftasche, in der Minister ihre sensiblen Unterlagen transportieren. Chorley präsentiert der Nation darin allmorgendlich seine Sicht der Dinge, und auch wenn es in London zahlreiche gute Blogs mit einer Mischung aus Nachrichten, Geheimtipps, Klatsch und Witz gibt, so wirbt die Times doch - unbescheiden, aber zu Recht - damit, Chorleys Newsletter sei ein "Must Read" in Whitehall und in Westminster, also im Regierungsbezirk und im Parlament.

Chorley ist kein Fan von Johnson

Am Wochenende jährte sich das Brexit-Referendum zum zweiten Mal. Auch 24 Monate nach der dramatischen Entscheidung hat die Regierung noch immer keine Ahnung, wie der Austritt aus der EU aussehen - und was danach kommen soll. Umfragen zeigen, dass eine erneute Abstimmung wieder etwa 50 zu 50 ausginge. In London marschierten am Wochenende trotzdem etwa 100 000 Menschen für ein zweites Referendum, während zugleich einer der Wortführer der Brexit-Kampagne, Außenminister Boris Johnson, die Premierministerin in unnachahmlicher Diktion warnte, sie solle dem Land einen "Klopapier-Brexit" ersparen: weich, nachgiebig und ewig lang.

Chorley ist kein Fan von Johnson. Er nennt ihn "einen Mann ohne Rückgrat". Noch weniger mag er den Brexit-Minister, den er gern als "Kunstinstallation namens David Davis" bezeichnet. Zum Brexit-Jahrestag hat er Davis gar nicht erwähnt. Das ist die Höchststrafe. Stattdessen hat er sich Gedanken über das EU-Austrittsgesetz gemacht, welches das Parlament vergangene Woche nach langem Streit angenommen hatte. Die Regierung habe sich selbst dazu gratuliert, lästert Chorley, dass sie im Unterhaus keine Niederlage habe einstecken müssen, weil das, so die Befürchtung, "eine Botschaft von Chaos und Spaltung nach Brüssel geschickt hätte". Als ob die EU-Kommission nicht genau dieses Chaos jeden Tag in den Nachrichten besichtigen könne. Chorley sagt voraus, der EU-Gipfel Ende der Woche werde kein Ergebnis bringen - und die Präsentation des Deals mit Brüssel, die für Oktober geplant ist, werde vielleicht ganz abgesagt.

Die Regierung, ein "Schiff ohne Steuerfrau"

Chorley, der sich intensiv mit Geschichte und Philosophie befasst, aber nicht studiert hat, ist hervorragend informiert. Ihm wird vieles von vielen zugesteckt, die wichtig sind - oder sich für wichtig halten. Nach seinem Volontariat bei einer Lokalzeitung und Zwischenstopps beim Independent on Sunday und der Online-Ausgabe der Daily Mail ist er seit 2016 bei dem seriösen Hauptstadtblatt Times gelandet. Die "Red Box" übernahm er also pünktlich zum Brexit, zur Amtsübernahme von Theresa May und zu den Verhandlungen mit Brüssel.

Die Regierung hält der politische Redakteur für ein "Schiff ohne Steuerfrau"; Mays Kabinett schreibt er einen erschreckenden Mangel an Intellekt zu. Bisweilen, wenn auch stets nur kurz, hat der Times-Autor aber Mitleid mit May: eine wacklige Machtbasis, eine fast unlösbare Aufgabe, sie selbst ohne klaren Kompass. Hinzu kämen illoyale Minister wie Johnson, der die Ängste der Wirtschaft vor einem Absturz nach dem Brexit als "Angstmache" bezeichne. Rausschmeißen solle May ihn, rät Chorley, und selbst endlich Rückgrat zeigen.

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