Profil:Mathias Énard

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(Foto: Arno Burgi/dpa)

Träger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung.

Von Joseph Hanimann

Wenn Mathias Énard an diesem Mittwochabend in Leipzig für seinen Beitrag zur "europäischen Verständigung" geehrt wird, greift das bei ihm etwas zu kurz. Die Welt seiner Bücher reicht tief in das hinein, was früher einmal "Orient" genannt wurde. Ein Orient allerdings ohne Wüstenzauber und Exotikrausch, wohl aber mit fremdartigen Erscheinungen, kulturgeschichtlicher Reibungswärme und dem Grollen der politischen Aktualität im Echo der Langzeitgeschichte. Sein jüngster Roman "Kompass" (2016), dessen Handlung von einem Wiener Musikgelehrtenzimmer bis nach Istanbul, Damaskus, Aleppo, Palmyra und Teheran reicht, hat das eindrucksvoll vorgeführt.

Énard, 1972 in Niort zwischen Poitiers und La Rochelle geboren, hat in Paris Arabisch und Persisch studiert und zeitweilig im Nahen und Mittleren Osten gelebt. Europaweit bekannt wurde er mit seinem Roman "Zone" (2008). Darin sitzt ein ehemaliger Geheimagent in Algerien und im Nahen Osten im Zug zwischen Mailand und Rom und wälzt in der Erinnerung in einem einzigen, durch den Roman rollenden Satz eine unüberschaubare Ereignisfülle mit sich her, in der Wunder und Grauen der Kriegsgebiete durcheinanderwirbeln.

Er kann es aber auch anders. Sein Buch "Erzähl ihnen von Schlachten, Königen und Elefanten" (2011) war ein wunderbares literarisches Skizzenblatt über eine hypothetische Reise Michelangelos im Jahr 1506 nach Konstantinopel, um dort für den Sultan eine Brücke über den Bosporus zu entwerfen. In "Straße der Diebe" wiederum erzählt er die Geschichte des jungen Marokkaners Lakhdar in den Gassen von Barcelona, wo Énard selber seit 2000 lebt, und schildert das Straßengewirr als faszinierend-beängstigende Hexenküche mit Kriminellen, Dealern, Prostituierten, Revoluzzern und aus der Ferne wirkenden islamistischen Terroristen.

Seit je interessiert sich Énard besonders für Iran und die schiitischen Traditionen des Islam. Bedauerlich findet er am sunnitischen Islam dessen Anfälligkeit für die wahhabitische Bewegung. "Saudi-Arabien produziert fossile Energie und fossiles Denken", erklärt er, und da auch die westlichen Medien eher der spektakulären Gewalt als den mäßigenden Kräften des Islam Raum gäben, entstehe ein explosives Gemisch. Dagegen tritt Énard weniger in Debattenrunden und Zeitungskolumnen auf, sondern lieber als Romanautor.

Vor zwei Jahren ließ er sich in Balzac-Pose fotografieren: rechte Hand auf der Brust über dem offenen Hemd. Von seiner imposanten Statur her ähnelt er tatsächlich dem Autor der "Comédie humaine". Unersättlich wirkt seine Vielseitigkeit. Seine kulinarische Neigung kultiviert er im eigenen Restaurant "Karakala" in Barcelona, mit dem Autorenkollektiv "Inculte" betreibt er einen Verlag. Unlängst lud er bei einer Bootsfahrt durch Belgien seine Leser aufs Schiff, um ihnen dort selbstzubereitete Spezialitäten von Spanien bis Iran zu servieren.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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