Profil:Der Mann, dem mehr als 1000 Palästinenser in den Hungerstreik folgen

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Das Abbild von Marwan Barghuti auf einem Stück der Mauer, die Ramallah von Jerusalem trennt (Foto: AFP)

Für viele Menschen in Palästina ist Marwan Barghuti ein Volksheld. Israel sieht in ihm einen verurteilten Terroristen, Gewaltverbrecher und Mörder.

Porträt von Peter Münch

Draußen wird er stürmisch gefeiert von seinem Volk, doch drinnen dürfte es sehr still sein um Marwan Barghuti in diesen Tagen. Einzelhaft - das ist Israels Reaktion darauf, dass der prominenteste palästinensische Häftling nun seine Mitinsassen zu einem Hungerstreik aufgerufen hat. Die Strafe aber dürfte seinen Mythos nur mehren. Mehr als 1 000 Gefangene haben sich bereits der Nahrungsverweigerung angeschlossen, in Ramallah und anderen Städten im Westjordanland werden Demonstrationen zur Unterstützung der "Hunger-Helden" abgehalten. Barghuti wird dabei wieder einmal mit Nelson Mandela verglichen - und der hat es immerhin vom Gefängnis bis ins Präsidentenamt geschafft.

Doch so sehr ihm die Herzen vieler Palästinenser zufliegen, so vehement wird Barghuti in Israel als Gewaltverbrecher, Terrorist und Mörder verdammt. Seit 2002 sitzt er in Haft, verurteilt als einer der Drahtzieher der zweiten Intifada. Das Urteil, das Barghuti als Ergebnis eines "politischen Schauprozesses" bezeichnet, lautet auf fünf Mal lebenslang plus 40 Jahre. Forderungen nach einer Freilassung hat sich die Regierung in Jerusalem stets verweigert.

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Als Konsequenz daraus macht Barghuti von der Zelle aus Politik, als Sprachrohr dient ihm vor allem seine Frau Fadwa. Sie ist Anwältin und Mutter der gemeinsamen vier Kinder. Über die vielen Jahre hinter Gittern hinweg scheint dabei sein Einfluss eher zu wachsen als zu schrumpfen. Als im vorigen November der 18-köpfige Zentralrat der in Ramallah regierenden Fatah neu gewählt wurde, bekam er jedenfalls mit Abstand die meisten Stimmen.

Barghuti gilt immer noch als größte Nachwuchshoffnung

Mit 57 Jahren gilt Barghuti in der palästinensischen Gerontokratie immer noch als größte Nachwuchshoffnung. Dabei hat auch er schon eine vier Jahrzehnte dauernde Pendelkarriere zwischen Politik und Gefängnis hinter sich. Schon als 15-Jähriger schloss er sich der Fatah an, wenig später lernte er erstmals eine israelische Zelle von innen kennen. Zu Beginn der ersten Intifada 1987 wurde er ins Exil nach Jordanien verbannt. Bei der Rückkehr Mitte der Neunzigerjahre nach den Osloer Friedensverträgen hatte er schon enge Bande zum Palästinenserführer Jassir Arafat geknüpft und rückte schnell auf in zentrale Positionen. Nach Arafats Tod 2004 wollte er zunächst vom Gefängnis aus für die Nachfolge als Präsident kandidieren, ließ dann aber Mahmud Abbas den Vortritt.

Der hat sich seither im Amt verschlissen, während Barghuti zum strahlenden Volkshelden aufstieg. Charisma wird ihm bescheinigt, und auch eine Überwindung des palästinensischen Schismas zwischen Fatah und Hamas wird ihm zugetraut. Als Anführer des Hungerstreiks, an dem sich Gefangene aller palästinensischen Fraktionen beteiligen, kann er sich nun wieder als überparteilicher Anführer präsentieren. In einem flammenden Artikel, den die New York Times am Montag veröffentlichte, erklärt Barghuti den Hungerstreik auf Mandela-Art zur "friedlichsten Form des Widerstands".

© SZ vom 19.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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