Profil:Martin Roth

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Deutscher Kulturmacher mit weltweitem Renommee und ohne Scheu vor Diktaturen.

Von Sonja Zekri

Er tut manches, und dann das Gegenteil, aber beides mit derselben grandiosen Geste. Im September, frisch nach dem britischen Votum für den Brexit, zum Beispiel, warf er hin, gab seinen Posten als Leiter des Victoria and Albert Museums in London auf, jenes Hauses, das er groß und größer machte - und das Haus ihn, mit Ausstellungen über David Bowie, den Modemacher Alexander McQueen oder, seine Abschiedsschau zu Pink Floyd, die gerade angelaufen ist. Sponsoring, Bau weiterer Filialen im Osten der Stadt - alles auf bestem Wege, alles durch ihn, den ersten Schwaben, ach was, den ersten Ausländer an der Spitze des V&A. Dann: der Brexit. Kündigung. Martin Roth wählte die ganz große Geste.

Es war das vorläufige Ende einer Karriere, die bis dahin nur bergauf führte. Roth, geboren 1955 in Stuttgart, hatte in Dresden erst das Deutsche Hygiene-Museum, später die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden geleitet, dazwischen hatte er für die Expo in Hannover gearbeitet. Dann kam London.

Er empfinde den Brexit als "persönliche Niederlage", Kunst und Kultur müssten politisch Stellung beziehen, ihr bisheriges Eintreten gegen gesellschaftliche Bedrohungen sei "erbärmlich", so grollte er im vergangenen Herbst in Interviews, so grollte er noch vor Kurzem im Gespräch. Dabei war nie ganz klar, wie sehr Roth, der Fuchs, den Brexit für den eigenen Exit nutzte, weil er ohnehin neue Pläne hatte, familiäre oder gesundheitliche Gründe, oder weil er angesichts der politischen Entwicklung in Großbritannien fürchtete, dass er die Finanzierung und damit das Niveau des Museums nicht würde halten können.

Acht Monate und einen Umzug nach Berlin später hat er sich wieder ins Gespräch gebracht, nicht mit seinem Posten als Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen, den er zwar in ein paar Wochen antreten wird, aber als Thema in Interviews eher herunterspielt, sondern auf der Biennale in Venedig. Dort, auf einer der weltgrößten Kunstschauen, hat Martin Roth den aserbaidschanischen Pavillon kuratiert. Mit Installationen und Instrumenten feiern Künstler dort die Kaukasus-Diktatur für ihren Reichtum an Völkern und Religionen. Daneben finden sich Kochrezepte, Hochglanz-Kunstmagazine aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku und CDs mit aserbaidschanischem Pop.

Aserbaidschan ist dank Öl und Gas eine der reichsten postsowjetischen Republiken und wird von der Familie Alijew wie ein Familienunternehmen geführt. Die größte Kulturstiftung des Landes ist nach dem Vater des jetzigen Präsidenten, Haidar Alijew, benannt und wird von der Gattin des Herrschers geleitet. Auf der Rangliste der Pressefreiheit nimmt Aserbaidschan Platz 162 von 180 ein, der Konflikt mit Armenien um die Enklave Berg-Karabach schwelt seit Jahrzehnten.

Martin Roth hingegen lobte das Land am Kaspischen Meer erst als "Blueprint für das tolerante Zusammenleben" und wies, als die Empörung nicht abebbte, darauf hin, dass er langjährige Verbindungen nach Aserbaidschan habe, dass er den Künstlern des Pavillons eine Chance biete, die sie sonst nicht hätten, schließlich, dass sein Honorar nicht übertrieben sei: "Ich glaube, ich verdiene hier nicht außergewöhnlich viel."

Es war nicht das erste Mal, dass er durch bemerkenswerte Schmerzfreiheit im Umgang mit Autokratien auffiel. 2010 brachte er die Ausstellung "Kunst der Aufklärung" nach China, deutsche Museen in Berlin, Dresden und München warfen ihm vor, er lasse sich von der Führung in Peking benutzen, schlimmer noch: während die Ausstellung lief, wurde der Künstler Ai Weiwei verhaftet.

Martin Roth ist ein Mann mit Visionen, für das zäh dahingebaute Berliner Humboldt-Forum, auswärtige Kulturpolitik, deutsche Kulturpolitik. Oft sind es verführerisch weitreichende Ideen. Manchmal aber reichen sie zu weit.

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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