Profil:Machar Wasijew

Bolschoi-Direktor Machar Wasijew; Profil

Machar Wasijew: Neuer Ballett-Chef am Bolschoi, umgeben von Neidern und Intrige.

(Foto: dpa)

Neuer Ballett-Chef am Moskauer Bolschoi, umgeben von Neidern und Intrige.

Von Julian Hans

Dieser Tage, an denen die größte Balletttruppe der Welt einen neuen Leiter bekommt, wird über alles Mögliche gesprochen, nur nicht über Ballett. Nicht über Inszenierungen, Ausdruck, Anmut und Balancé, sondern vor allem darüber, ob Machar Wasijew, 54, im übertragenen Sinne den nötigen Aplomb hat, die Fähigkeit des Tänzers also, eine Bewegung sicher abzufangen und elegant die nächste Figur anzuschließen.

Denn Bewegung gab es zuletzt heftige am Moskauer Bolschoi-Theater, das zu den begehrtesten Arbeitsplätzen der Tanzwelt gehört sowie zu den touristischen Pflichtstationen eines Moskau-Besuchs. Ein Säure-Anschlag auf Wasijews Vorgänger Sergej Filin brachte eine hässliche Welt von Neid und Intrigen hinter den Kulissen von Russlands berühmtester Bühne an die Öffentlichkeit. Der Ballettchef prägt nicht nur Choreografien, er bestimmt über Schicksale. Er entscheidet darüber, ob eine Tänzerin nach Jahren der Qual von Kindesbeinen an ein kleines Blümchen irgendwo hinten im Beet bleibt, oder als Primaballerina berühmt wird. Reiche Männer, die sich mit einer Ballerina an ihrer Seite schmücken, versuchen dabei bisweilen, ihren Einfluss geltend zu machen.

Ein Gericht verurteilte 2013 drei Männer zu Haftstrafen, darunter den Startänzer Pawel Dmitritschenko. Er muss als Auftraggeber des Angriffs sechs Jahre ins Lager. In einem offenen Brief nahmen ihn mehr als 300 Theater-Angestellte in Schutz, die Ermittlungen hätten die "komplizierte und schmerzhafte Situation" am Bolschoi außer Acht gelassen, klagten sie.

Die Schwefelsäure hatte Filins Gesicht und Kopfhaut verätzt, auf dem rechten Auge ist er fast blind. Trotzdem hat er bis zuletzt durchgehalten, wollte seinen Widersachern nicht die Genugtuung gönnen, dass er geht. Aber nach fünf Jahren als Ballettchef hat der neue Direktor des Bolschoi, Wladimir Urin, Filins Vertrag nicht mehr verlängert. Nun soll Wasijew die Truppe mit mehr als 200 Tänzern neu motivieren.

Dafür, dass das gelingen könnte, spricht, dass der aus dem Kaukasus stammende Mann zwar viel Erfahrung als Tänzer, Choreograf und Leiter mitbringt, aber nicht in den Filz von Moskaus größtem Staatstheater verwoben ist. Ausgebildet wurde er in den 1970er-Jahren an der Waganowa-Ballettakademie in Leningrad. Er tanzte am Sankt Petersburger Mariinski-Theater an der Seite der Primaballerina Olga Tschentschikowa, die seine Frau wurde, und leitete danach 13 Jahre lang das Ballett am Mariinski, bis er 2008 an die Mailänder Scala gerufen wurde.

Die Petersburger Truppe soll aufgeatmet haben, als Wasijew 2009 nach Italien ging, sein harter Stil war gefürchtet. Wenn er nun aus Italien zurückkehrt, könnte er auch ein bisschen Internationalität und Moderne in seine Heimat mitbringen, hoffen manche. Aber nicht zu viel. Russland versteht sich als letzte Bewahrerin der klassischen Balletttradition. Eifersucht und Intrigen sind ein Teil davon.

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