Profil:Lew Gudkow

Lewada-Direktor Lew Gudkow; Levada-Center's director Lev Gudkov during a live

Der russische Meinungsforscher ist jetzt im Bann des Kreml.

(Foto: Valeriy Levitin/dpa)

Russischer Meinungsforscher, jetzt im Bann des Kreml und als Agent abgestempelt.

Von Julian Hans

Eigentlich müsste einer wie Lew Gudkow gerade sehr gefragt sein. In elf Tagen wird in Russland ein neues Parlament gewählt, und vor Wahlen schlägt die Stunde der Meinungsforscher. Doch statt vieler Interviewanfragen fürs Fernsehen bekam der Direktor des unabhängigen Lewada-Zentrums einen Schuss vor den Bug. Am Montag setzte das Justizministerium das Forschungsinstitut auf die Liste sogenannter ausländischer Agenten. Ein Gesetz verlangt, dass Organisationen sich diesen Titel anheften, wenn sie Geld aus dem Ausland bekommen und politisch tätig sind. Seit einer Novelle Anfang des Jahres zählt der Paragraf auch "politische Meinungsbildung mittels Umfragen" zu den politischen Tätigkeiten.

Spätestens seitdem war klar, dass das Lewada-Institut bedroht ist. Als Anlass dient nun offenbar eine Kooperation mit der Universität im US-Bundesstaat Wisconsin, bei der Geld geflossen ist. Was anderswo als internationale Zusammenarbeit in der Forschung begrüßt würde und noch vor gar nicht so langer Zeit auch von russischen Bildungspolitikern verlangt wurde, wird jetzt als Verrat ausgelegt.

Aber das ist wohl eher ein Vorwand. Der wahre Grund für die Ächtung dürfte darin bestehen, dass Gudkow und seine Mitarbeiter nicht nur Stimmungen erforschten, sondern die Ergebnisse auch in den verbliebenen unabhängigen Medien kommentierten. Im staatliche Fernsehen kommen die Forscher schon lange nicht mehr vor.

Der 69-Jährige begann seine Laufbahn in einer anderen Zeit. Im Geiste von Glasnost, der neuen Offenheit, ließ Michail Gorbatschow 1987 ein Institut zur Erforschung der öffentlichen Meinung (Wziom) gründen. Der Soziologe Jurij Lewada, der erstmals Einblick gab, wie der "gewöhnliche Sowjetmensch" denkt und fühlt, brachte Gudkow als Mitarbeiter mit. Als der Geist der Freiheit langsam verwehte, bekam das staatliche Wziom 2003 eine kremltreue Leitung. Die Mitarbeiter gingen und gründeten ein eigenes Institut. Nach dem Tod Jurij Lewadas 2006 wurde Lew Gudkow zu dessen Direktor gewählt.

Wenn deutsche Abgeordnete oder Wissenschaftler nach Moskau kommen, suchen sie das Gespräch mit dem Doktor der Philosophie. Der legt dann die hohe Stirn in Falten und blickt mit traurigen Augen durch seine Brille. Zuletzt konnte man ihm anmerken, dass er schwer trug an dem, was er zu berichten hatte: Hurra-Patriotismus, Großmachtgelüste, Stalin-Verklärung - der Mann, der Russland versteht wie kaum ein Zweiter, leidet auch an ihm.

Als das Lewada-Zentrum im Mai 2013 schon einmal auf die Agentenliste sollte, gab es international einen Aufschrei. Jeder, der in der deutschen Osteuropawissenschaft einen Namen hat, setzte seine Unterschrift unter einen Solidaritätsbrief. Das wird wohl kein zweites Mal helfen. Gudkow will juristisch gegen die Einstufung angehen, die Aussichten hält er selbst für gering, eine Auflösung für möglich. Agent will er sich nicht nennen.

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