Kanadas neuer Premier Trudeau:Ehrgeiziger Charismatiker

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Justin Trudeau, Kanadas künftiger Premier aus berühmter Familie. (Foto: REUTERS)

Er ist hartnäckig und schlagfertig: Kanadas zukünftiger Premier Trudeau wird für seine Vision einer demokratischeren Nation kämpfen. Sein Vater hat ihn früh darauf vorbereitet.

Von Bernadette Calonego

Es kann durchaus gefährlich sein, Justin Trudeau zu unterschätzen. Das haben Männer schmerzhaft erlebt, die mit dem 43-jährigen Freizeitboxer in den Ring gestiegen sind. Und das hat nun auch Kanadas abgewählter Premierminister Stephen Harper erfahren. Als einen naiven Schönling und Schaumschläger hatte der konservative Harper seinen liberalen Herausforderer in Fernsehspots lächerlich gemacht. Was sollte ein ehemaliger Ski- und Theaterlehrer schon gegen ihn, den gewieften Machtpolitiker, ausrichten? Doch das war, wie sich gezeigt hat, ein großer Irrtum: Seit Montag ist Trudeau, der Vorsitzende der Liberalen Partei, nach einem unerwartet klaren Sieg bei der Parlamentswahl der künftige Regierungschef von Kanada.

Es gehe im Boxring nicht darum, den Gegner einfach zusammenzuschlagen, hat Trudeau einmal gesagt: "Es geht darum, dich an deinen Plan zu halten, während der andere dich mit Schlägen eindeckt." Ähnlich verhält er sich in der Politik. Trudeau mag wie eine Mischung aus den jugendlichen Versionen von Pierce Brosnan und Elvis Presley aussehen. Aber von seinem verstorbenen Vater, dem legendären früheren Premier Pierre Trudeau, hat der älteste dreier Söhne nicht nur den berühmten Namen, Reichtum und Charisma geerbt. Während des elfwöchigen Wahlkampfes stellte Trudeau auch eine enorme Selbstdisziplin und Ausdauer unter Beweis.

Erwachsenen-Gespräche als Kind

Leicht hat es sich der sportliche Vater von drei kleinen Kinder nie gemacht. Seinen ersten Abgeordnetensitz gewann der Millionär im Jahr 2008 in einem armen Arbeiterviertel der Stadt Montreal. Das ist eine deutlich weniger glamouröse Umgebung als 24 Sussex Drive, wo die Residenz des kanadischen Regierungschefs steht, in der Justin Trudeau aufwuchs. Dort ermunterte Vater Pierre das Kind bereits zu Erwachsenen-Gesprächen mit berühmten Gästen aus der ganzen Welt.

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Justin Trudeaus privilegierte Herkunft war allerdings auch von Dramen geprägt: Die junge rebellische Mutter Margaret ließ sich vom viel älteren Mann 1984 scheiden, nachdem ihre Partys mit den Rolling Stones einen Skandal ausgelöst hatten. Erst später machte sie ihre manisch-depressive Krankheit bekannt. 1998 kam Justins Bruder Michel in einer Lawine um. Der junge Trudeau trieb danach eher etwas ziellos durchs Leben.

Er kann sich locker unter Menschen mischen

Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 brach Trudeaus wertvollste Begabung durch: Er kann sich locker unter Menschen mischen, ihnen aufmerksam zuhören und sie für eine Sache begeistern. "Nicht ich habe heute Nacht Geschichte gemacht", sagte er seinen Anhängern nach dem Wahlsieg: "Ihr wart es." Doch ihn bewegt auch Ehrgeiz, er will Geschichte machen, genau wie sein Vater. Justin Trudeau wird hartnäckig für seine Vision einer demokratischeren, offeneren, umweltfreundlicheren Nation kämpfen - eine heute noch etwas vage Vision. Und er ist sicherlich bereit, dafür auch harte Schläge einzustecken.

© SZ vom 21.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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