Profil:Hermann Nitsch

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(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Sehr gereifter Aktionskünstler, der in Australien noch einmal das Publikum provoziert.

Von Catrin Lorch

Früher, vor vierzig, fünfzig Jahren, gelangen Hermann Nitsch die schönen Skandale geradezu spielend. In den Sechzigerjahren galten die Aktionen des Künstlers als wüste Provokationen, die das tief katholische, autoritär denkende Österreich verstörten. Nicht nur was das Kunstverständnis anging. Die Nackten, das Blut, das Fleisch, die Kreuze und die Posen waren in der Heimat des 1938 in Wien geborenen Nitsch ein Politikum. Nitsch wurde angefeindet, verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Im Jahr 1968 zog er nach Deutschland um.

Heute weiß man: Das war seine große Zeit, damals. Denn inzwischen werden die Anstrengungen der Wiener Aktionisten in Mitteleuropa routiniert, sogar: gelangweilt zur Kenntnis genommen. Hat sich der Westen etwa an das große Schlachten gewöhnt?

Hermann Nitsch, dessen Kunst einst in Deutschland und den USA gefeiert wurde, ist in Ehren alt geworden, ein emeritierter Professor und ein Star, der in einem herrschaftlichen Schloss lebt. Noch immer versammelt er seine Anhänger für die durchnummerierten Aktionen, wenn auch inzwischen in kleinerem Kreis, man wird nicht jünger.

Ausgerechnet die 150. Aktion lässt nun noch einmal einen Hauch der alten aufregenden Zeiten erahnen. Dabei soll sie im Juni am anderen Ende der Welt stattfinden, im Museum of Old and New Art (Mona) in Hobart, der Hauptstadt der australischen Insel Tasmanien. Dort bewirbt sie das Musikfestival "Dark Mofo" im Programm vielversprechend als "düsteres Opferritual". Als Rohmaterial stehen "500 Liter Tierblut, ein toter Bulle und seine Innereien" bereit. Viele Australier sind nun schockiert, alarmiert, Zehntausende haben in einer Petition gefordert, das Blutbad abzusagen. "Eine Form von Bestialität", nennt Hobarts Oberbürgermeisterin Sue Hickey die geplante Vorstellung, bei der "Menschen in tote Tierkörper kriechen". In einem Protestschreiben an den Premierminister von Tasmanien, Will Hodgman, heißt es, er solle die Aktion unterbinden, weil die Tatsache, dass Tiere zum Verzehr getötet werden "den Menschen nicht das Recht gibt, sie für andere Zwecke zu schlachten". In der aufgebrachten tasmanischen Debatte wird das Thema als "Bullgate" verhandelt.

Hermann Nitsch scheint das zu genießen. Er geißelt als "Tierschützer" die "Massentierhaltung als das größte Verbrechen unserer Gesellschaft". Im vergangenen Jahr in München war das ganz anders. Als er seine 147. Aktion vor ein paar Dutzend eher Gleichaltrigen im Hinterhof der Villa Stuck aufführte, hatten manche der Zuschauer vor allem Mitleid mit den frierenden Darstellerinnen.

Die Kunstgeschichten, die Hermann Nitsch schrieb, sind Jahrzehnte alt: Muss man sich noch ansehen, wie der Künstler jungen Frauen bluttriefendes Gekröse in die Unterwäsche stopft? Priestergewänder, Penetration und Pathos in Großaufnahme wirken aufgesetzt. Die ultrakonservativen, prüden Aufbaujahre nach dem Zweiten Weltkrieg hatten so eine Kunst wohl verdient. Deshalb gönnt man Nitsch heute seinen Rang, toleriert - wie bei einem alten Verwandten - seine Lebensleistung. Und lässt ihn gewähren.

Das australische Publikum ist mit den Nachkriegswehen der europäischen Kunst weniger vertraut. Ihm erscheinen die Rituale unverständlich, ja, abseitig. Australien ist eine junge Nation, multi-ethnisch, sportlich, körperbewusst und - offensichtlich - tierliebend, womöglich sind viele Veganer unter den Protestierenden. Bei der Verteidigung Nitschs lag es daher auch nahe, nicht auf die Freiheit der Kunst zu verweisen, sondern auf lokale Rituale. Museumsgründer David Walsh schrieb in einem Blog: "Das Publikum sollte sich schon fragen, warum es in Ordnung ist, Fleisch als Nahrung zu verwenden, nicht aber im Ritual oder zur Unterhaltung." Schließlich habe sich "bis jetzt niemand über das traditionelle Barbecue des Mona beschwert".

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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