Profil:Bettina Meeh

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Die ehemalige Schleckerfrau hat nach der Pleite ihre eigene Drogerie aufgemacht.

Von Max Hägler

Manchmal steht die Jungunternehmerin hinter der Theke in diesem kleinen schwäbischen Ort Erdmannhausen und denkt mit Wehmut zurück an ihre Zeit als Schleckerfrau. "Die Leute draußen verstehen das vielleicht nicht, weil so viel Schlechtes geschrieben worden ist, aber wir waren ja doch auch stolz und froh", sagt Bettina Meeh. Nicht auf diesen Drogeriekonzern, in dem sie arbeitete, nein, das nicht, aber auf die erfolgreichen Kämpfe, auf das gemeinsame Lachen unter Kollegen.

Beinahe 20 Jahre arbeitete Meeh bei der Drogeriekette des Unternehmers Anton Schlecker, der jetzt des vorsätzlichen Bankrotts angeklagt wurde. Sie war eine von diesen vielen Frauen, über die im Frühjahr und Sommer 2012 Insolvenzverwalter, Politiker und Investoren diskutierten, nachdem die Kette in die Pleite gegangen war. 25 000 verloren ihre Jobs, wie viele sich danach aufrappelten, ist unklar: Die Arbeitsagentur hat das Monitoring über den Verbleib der Schleckerfrauen eingestellt.

Meeh, 50, würde die wohl eher trübe Statistik aufhübschen: Sie hat einfach ihre eigene Drogerie gegründet. Ihren eigenen Schlecker-Laden, wenn man so will, auch wenn er Drehpunkt heißt, in dem Ort 30 Kilometer nördlich von Stuttgart. Hier kann man für 27,99 Euro ein großäugiges Stofftier namens Glubschi erwerben, aber auch Zigaretten, dazu Shampoo, Socken oder Limo. Was man halt so braucht - und noch was Nettes, so beschreibt Meeh das Sortiment. Ein junges Mädchen kauft gerade einen Pinsel, zum Haarefärben: "Pass bloß auf und zieh dir diesmal Handschuhe an", sagt die Chefin.

In den Krisenmonaten im Jahr 2012, nach der Insolvenz, hatten vor allem umtriebige Menschen von der Gewerkschaft Verdi immer wieder darauf verwiesen: Schlecker mag insgesamt nicht gut laufen, aber es gebe viele Orte, wo kleine Drogerien gebraucht würden und wo man durchaus Geld verdienen könne. In Baden-Württemberg wälzten sie die Zahlen besonders zielgerichtet: Im Sommer des Scheiterns luden Gewerkschafter und die Linkspartei Schleckerfrauen zum Zeltlager an den Bodensee. Es war kein Erholungsurlaub: Meeh und ein Dutzend anderer Frauen bekamen dort Informationen, wie sie lohnende Standorte einfach selbst übernehmen könnten. "Wenn wir zu Hause auf der Couch sitzen geblieben wären, wäre ja nix weitergegangen", sagt sie. Also anpacken. Bald nach dem Zeltlager hat sie sich mit ihrer ehemaligen Kollegin Karin Meinerz zusammengetan. Wir selbst können das doch besser als der Schlecker, dachten sie sich - und wurden Unternehmerinnen. Nach dem Plazet durch eine Bürgerversammlung mieteten sie das Geschäft an einer Straßenecke in der Ortsmitte an, rissen als Erstes die Schlecker-Regale raus und kratzten die blauen Schlecker-Aufkleber ab. Dann riefen sie bei Herstellern an, um Waren zu bestellen. Im November 2012 ging es los - und neben der Kasse liegt seitdem ein Block, wo sie alle Wünsche notieren: Kommen genügend Striche zusammen, bei diesem Weichspüler oder jener Zartbitter-Schokolade, bestellen sie das beim Großhändler.

Meeh war Betriebsrätin, Kämpferin also für gute Arbeitsbedingungen bei Schlecker. Aber etwas ganz Eigenes erkämpfen, daran dachte sie nie vor der Schlecker-Pleite. Jetzt hat sie diesen Laden und verkauft Kinderbücher mit dem Titel: "Was ich mal werden will . . ." Sechs solcher Drehpunkt-Geschäfte haben sich bislang gehalten, und es geht ihnen meist wie dem in Erdmannhausen: Die Einnahmen reichen für das eigene Gehalt und die Miete, große Rücklagen lassen sich jedoch noch nicht bilden. Immerhin, es geht aufwärts, langsam, aber stetig. Und die Anklage nun, gegen den Ex-Chef? "Das ist mir egal, er interessierte sich ja auch nicht für uns." Wobei seine Firma eben nicht vergessen ist. Wenn sie mal was zum Lachen brauchen, dann greifen sie unter die Theke, ein alter Schlecker-Prospekt liegt da, vergilbt schon, oben drauf dieser schiefe Werbespruch: For you, vor Ort. Jetzt würde er passen.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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