Profil:Beppo Grillo

Profil

Meister der politischen Volte, jetzt plötzlich Europa-Freund.

(Foto: Marco Bertorello/AFP)

Der Meister der politischen Volte ist jetzt plötzlich Europa-Freund.

Von Oliver Meiler

Das Lehrbuch der politischen Akrobatik kennt eine neue, spektakuläre Figur. Nach ihrem Erfinder müsste man sie "Grillensprung" nennen - ein Salto mit Mehrfachdrehung. Beppe Grillo, der Gründer und Guru der italienischen Protestbewegung Cinque Stelle, schickt seine 17 Europaparlamentarier in diese Figur - ob sie auf den Füßen landen, ist noch nicht entschieden.

Bisher hatten die Fünf Sterne in Straßburg der europakritischen Fraktion "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie" um den Briten Nigel Farage angehört, den Förderer des Brexit. Das passte insofern recht gut zusammen, weil es die Cinque Stelle ihrerseits gerne sähen, wenn Italien aus der Währungsunion austräte. Nun aber sollten die Abgeordneten mit der "Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa" koalieren, die angeführt wird von Guy Verhofstadt, einem Europa- und Euro-Enthusiasten, der eng vernetzt ist mit dem Establishment. Doch der Belgier, den Grillo einmal "eine Art Al Capone" genannt hatte, lehnte dessen Annäherungsversuch ab. Gleichwohl stellt sich die Frage: Verstehen die Wähler eine solche Kehrtwende Grillos? Bei ihm geht fast alles, nichts ist fix. Der 68-jährige frühere Komiker aus Genua führt immer wieder ideologische Volten auf, bisher ohne Schaden für seine Partei. Eher im Gegenteil: Das facettenreiche bis offen widersprüchliche Profil der Bewegung war immer ein Trumpf. Grillo spricht Linke und Rechte an, die von ihren Parteien enttäuscht sind. Er surft zwischen den Positionen, je nach Wind. Würde morgen gewählt, gäben etwa dreißig Prozent der Italiener den Cinque Stelle ihre Stimme.

Der Verbund mit Verhofstadt hätte ihre Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene fördern sollen. Dafür wäre man also bereit, sich ein bisschen unter die Elite zu mischen. Für manche "Grillini" ist das ein Verrat an der Uridee der Bewegung. Man kann ihre empörten Kommentare in Grillos Blog lesen. So viele gab es noch nie. Es wird moniert, dass hier mal schnell ohne interne Debatte ein wichtiger Kurswechsel entschieden worden sei. Es gab zwar am Sonntag und Montag eine eilig anberaumte Online-Umfrage auf der parteiinternen Plattform "Rousseau", an der 40 000 Parteimitglieder teilnahmen. 78,5 Prozent von ihnen waren für einen Fraktionswechsel.

Dennoch gilt der Salto als Beleg für die wachsende Selbstherrlichkeit des Chefs. Grillo beteuert, man bleibe auch in einem neuen Bündnis autonom, man wolle aber mitgestalten können. Mit Farage sei das nicht möglich gewesen, der habe nach dem Brexit alle Dynamik verloren. Doch was ist nun mit dem Euro? Wie hält man es mit Brüssel und mit den viel beschworenen dunklen Mächten im Hintergrund?

Einen unmittelbaren Nebeneffekt hat die Konfusion: Die Medien reden plötzlich weniger über Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi. Sie sollte beweisen, dass die Cinque Stelle regieren können. Bislang bewies Raggi vor allem, dass sie es nicht können. Und zwang Grillo damit zu allerlei halsbrecherischer Akrobatik.

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