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(Foto: Regina Schmeken)

Die Justizministerin entscheidet über das Gnadengesuch des NS-Täters Oskar Gröning.

Von Annette Ramelsberger

Nicht, dass diese Frau vor Urteilen zurückschreckt, das sicher nicht. Sie hat in ihrem Leben als Richterin Hunderte Menschen für Jahre oder gar Jahrzehnte ins Gefängnis geschickt, Terroristen, Mörder, Vergewaltiger. Aber dieses wird nun ihre erste große politische Entscheidung.

Barbara Havliza ist gerade mal dreieinhalb Monate im Amt als Justizministerin von Niedersachsen und muss nun etwas entscheiden, das bundesweit, vielleicht weltweit beachtet wird. Sie muss sich damit auseinandersetzen, ob der verurteilte NS-Täter Oskar Gröning mit 96 Jahren noch in Haft gehen muss oder ob er seine letzte Zeit in Freiheit verbringen darf. Er hat sie um Gnade gebeten. Und nur sie kann ihm diese Gnade gewähren.

Havliza, 59 Jahre alt, gebürtige Dortmunderin, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, wird wohl nicht lange fackeln. Zehn Jahre lang war sie Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf, sie galt als zupackend und geradeheraus. So wird vermutlich auch Oskar Gröning nicht lange auf ihre Entscheidung warten müssen. Dafür sorgt schon die Niedersächsische Gnadenordnung, die vorschreibt, dass Gnadengesuche beschleunigt zu bearbeiten sind. Am Freitag war die Ministerin noch im Bundesrat in Berlin, aber man kann davon ausgehen, dass sie schon am Wochenende die Akten sichtete. Darin steht, dass der junge Mann als "Buchhalter von Auschwitz" den deportierten Menschen an der Rampe die Wertsachen abnahm und an die SS weiterleitete. Das Landgericht Lüneburg verurteilte ihn 2015 wegen Beihilfe zu 300 000-fachem Mord zu vier Jahren Haft. Er habe die Mordmaschinerie von Auschwitz am Laufen gehalten. Gröning hat - im Gegensatz zu anderen NS-Tätern - seine Schuld anerkannt und Reue gezeigt.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte im Dezember 2017, das hohe Alter stehe einer Inhaftierung nicht im Wege. Aber, und das ist die eigentliche Frage, die Menschenwürde gebietet es, dass auch ein Verurteilter die Chance haben muss, nach der Haft wieder in Freiheit zu kommen. Und dieses Ende dürfe nicht "auf einen von Siechtum und Todesnähe gekennzeichneten Lebensrest" reduziert sein, schrieb das Verfassungsgericht. Hat diese Chance ein 96-Jähriger? Oder ist der Gang in die Zelle sein letzter Gang? Und noch eine Frage schwingt mit: Zeigt sich die deutsche Justiz, die nach dem Krieg jahrzehntelang NS-Täter geschont hat, in diesem Fall besonders hart, um ein Exempel zu statuieren? Um vom eigenen Versagen abzulenken?

Fragen, die neu sind für Havliza. Sie hatte in ihrem Leben als Richterin nie mit NS-Straftätern zu tun, sagt sie. Auch nicht mit den politischen Implikationen, die solche Fälle mit sich bringen. Kritiker sagen, nicht die Justizministerin dürfe Gnade walten lassen, das könnten nur die Opfer tun. Sie solle auf jeden Fall die Überlebenden hören, die im Prozess aufgetreten sind. Ihr liegen auch die Stellungnahmen von Gericht und Staatsanwaltschaften vor, die einen Gnadenerlass ablehnen.

Havliza wird das alles aufmerksam lesen. Doch Aktenstudium ist nicht alles. Bekannt wurde Havliza als Richterin vor allem deswegen, weil sie zu Angeklagten persönlichen Zugang fand. So hat der Attentäter, der der Kölner Oberbürgermeisterin ein Messer in die Kehle stach, erklärt, sie als Einzige habe ihn verstanden. Sie hat ihn trotzdem zu 14 Jahren Haft verurteilt, allerdings nicht zu lebenslang, was möglich gewesen wäre.

Havliza war eine strenge, aber keine erbarmungslose Richterin. Das hat auch mit ihren ersten Berufsjahren in Osnabrück zu tun. Damals bezichtigte eine junge Frau den eigenen Vater und den Onkel, sie über Jahre vergewaltigt zu haben. Das Gericht verurteilte beide zu langer Haft. Später stellte sich heraus: Beide waren unschuldig, die Frau psychisch gestört. Das hat Havliza geprägt, ihr Wahlspruch ist seitdem: "Lieber einen zu Unrecht freisprechen, als einen zu Unrecht verurteilen."

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