Profil:Ahmet Şık

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(Foto: AP)

Türkischer Journalist, der ein Jahr in Haft saß - und nun ins Parlament will.

Von Christiane Schlötzer

An allen 430 Tagen, die Ahmet Şık in Haft war, erschien sein Foto auf der Titelseite der türkischen Zeitung Cumhuriyet . Die Traditionszeitung, die älteste der Türkei, steht der Opposition nahe, und die Solidarität mit ihren verhafteten Journalisten war nie eine Frage. Jetzt verlässt Şık die Cumhuriyet, und überraschend sagt er auch dem Journalismus, seinem Beruf, den er "sehr liebt", adieu. Şık, 48, hat sich entschlossen, für das türkische Parlament zu kandidieren. Warum er das für die linke Kurdenpartei HDP tun will, die nicht nur von Kurden unterstützt wird, das hat er am Wochenende der Internetzeitung GazeteDuvar erklärt: Weil er hofft, dass in der Türkei eine "neue Periode" beginnt, "und ich möchte Teil davon sein". Şık glaubt, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğans Partei AKP bei der Parlamentswahl am 24. Juni nicht mehr die absolute Mehrheit erreichen wird.

Es gibt Umfragen, die das vorhersagen, aber gewiss ist eine solche Niederlage für die konservative AKP keineswegs. Sicher ist nur, falls die HDP den Sprung über die hohe Zehnprozenthürde ins Parlament nicht erneut schafft, dann bekommt die AKP viele zusätzliche Abgeordnete. Auch deshalb kandidiere er für die HDP, sagt Şık, und zur Unterstützung von HDP-Chef Selahattin Demirtaş, der seit 18 Monaten in Untersuchungshaft sitzt.

Şık wurde 1970 im Adana geboren, er studierte in Istanbul Kommunikationswissenschaft, und ist einer der bekanntesten Journalisten der Türkei. Er hat sich einen Ruf als investigativ arbeitender Reporter erworben, für lange, gründliche Recherchen. Sein bekanntestes Buch "Die Armee des Imam" durfte in gedruckter Version nie erscheinen, ein Entwurf des Buches aber wurde am 31. März 2011 ins Internet gestellt und gleich am ersten Tag mehr als 100 000 Mal heruntergeladen. Şık schildert darin, wie die Bewegung des türkischen Predigers Fethullah Gülen schon seit Mitte der 1980er-Jahre den Polizeiapparat unterwanderte. 2011 wollte das Erdoğans AKP nicht hören, da war Gülen noch ein geschätzter Partner. Şık wurde verhaftet. Das löste internationale Proteste aus. Aber auch der damalige türkische Staatspräsident Abdullah Gül, ein Parteifreund Erdoğans, zeigte sich besorgt über den Niedergang der Pressefreiheit. Erdoğan blieb unbeugsam und wies die Kritik zurück. Erst ein Jahr später wurde Şık wieder freigelassen.

Das alles wirkt im Rückblick absurd, denn inzwischen gilt Gülen als Staatsfeind Nummer eins, als Drahtzieher des Putschversuchs vom Juli 2016. Erdoğan wirft dem in den USA lebenden Prediger vor, er habe seine Anhänger dazu gebracht, wichtige Stellen im Staat zu besetzen, in Polizei, Justiz und Militär. Şık wurde aber keineswegs rehabilitiert. Am 29. Dezember 2016 wurde er erneut festgenommen. Jetzt warf man ihm vor, er habe in Tweets und Artikeln in Cumhuriyet "Propaganda" für Gülen gemacht, und dazu noch für die militante verbotene kurdische PKK. Über die Haftbedingungen sagte Şıks Frau Yonca damals der SZ: "Er geht jeden Tag 11 000 Schritte in einem kleinen Hof vor der Zelle. Die Isolation ist viel härter als 2011."

Am 9. März 2018 wurde Şık unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen, am 25. April verurteilte ihn ein Gericht wegen "Unterstützung von Terrororganisationen" in erster Instanz zu siebeneinhalb Jahren Haft. Er blieb auf freiem Fuß, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Şık geht in die Revision. Er sagt, er habe es mit seiner journalistischen Arbeit geschafft, "der Buhmann jeder einzelnen politischen Periode" zu sein. Darauf sei er stolz. In seiner Verteidigungsrede vor Gericht sagte Şık, er sei es "leid, die Justiz zu belehren, was Gedanken und Meinungsfreiheit ist". Zeitweise wurde er vom Gericht vom Prozess ausgeschlossen, mit der Begründung: Wenn er in Reden den Präsidenten und die Regierung kritisieren wolle, "dann sollte er sich ins Parlament wählen lassen". Genau das will Şık jetzt tun.

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