Pro und Contra Blockupy:Sinnvoller Protest! Unsinnige Wut!

Sparpolitik darf nicht die Würde von Menschen und Nationen zerstören, findet Heribert Prantl. Lasst den infantilen Quatsch, fordert Nikolaus Piper. Zwei konträre Kommentare zum kapitalismuskritischen Protest.

PRO: Europa braucht mehr Proteste

Von Heribert Prantl

Natürlich darf man zornig sein. Man darf zornig sein, wenn die Aktienmärkte bersten, die EZB aber immer mehr Geld samt Sparauflagen in die Welt schüttet. Natürlich darf man zornig darüber sein, dass die unglaublich niedrigen Zinsen nur zu Spekulation führen und nicht zu Investitionen.

Natürlich darf man fordern, dass die Staaten Europas das billige Geld vom Kapitalmarkt nehmen und damit ein gewaltiges Konjunkturprogramm finanzieren, eines, das sich gewaschen hat; das Europa reinigt von Defätismus und neuen Gehässigkeiten; und das die ungeheuere Arbeitslosigkeit in Südeuropa drückt.

Natürlich dürfen Zornige und Wütende keine Autos anzünden und nicht herumprügeln. Aber man darf auch nicht, wie es in Frankfurt immer wieder geschieht, Proteste gegen den Finanzkapitalismus so gängeln, dass der erlaubte Demonstrations-Rest nicht sicherer, sondern gefährlicher wird.

Es ist nicht gut, wenn es die Blödheit von Randalierern der Politik erleichtert, in ihrer eigenen Dummheit zu verharren. Es ist auch nicht gut, wenn notwendiger Protest den Krawallmachern überlassen wird.

Ist wirklich der im Unrecht, der sich empört?

Ist wirklich der im Unrecht, der sich empört darüber, dass die EU 800 Milliarden Euro mobilisieren konnte, um Banken zu stabilisieren, aber nur sechs Milliarden, um Millionen arbeitslosen Jugendlichen zu helfen?

Es ist nicht skandalös, sich über diese Disproportion zu empören; es ist aber ein Skandal, dass selbst mit diesen sechs Milliarden bisher nichts Sinnvolles getan wurde; sie liegen noch immer sinnlos herum.

Der neue EZB-Bau in Frankfurt ist da wohl der falsche Protestort, aber gleichwohl eine symbolhafte Adresse. Im EZB-Bau sitzen die Hüter des Euro. Sie könnten in den Demonstranten Verbündete sehen.

Denn es wird, um Finanz- und Wirtschaftskrisen zu packen, einer weichen müssen - der Euro oder der Finanzkapitalismus. Blockupy-Leute und Euro-Banker haben das gemeinsame Interesse daran, dass es nicht der Euro ist.

Europa braucht friedlich-zornige Proteste

Das ökonomistische Europa existiert, das sozial-solidarische Europa nicht. Das ist der Mühlstein am Hals der europäischen Zukunft.

Wer davor warnt, dass Sparpolitik nicht die Würde von Menschen und Nationen zerstören darf, der ist kein Depp, sondern ein Europäer. Es ist nicht gut, wenn aus Austeritätspolitik triumphalistischer deutscher Moralismus wird. Das muss gesagt werden können - in Athen, Madrid, Frankfurt.

Europa braucht friedlich-zornige Proteste. Die gerechte Verteilung des Reichtums, den diese fordern, fördert den inneren Frieden.

CONTRA: Lasst den Quatsch!

Von Nikolaus Piper

Was für eine Sprache: Die Demonstranten wollten, so erklärten sie, den Alltag in Frankfurt unterbrechen, "um ein Zeichen zu setzen, dass ein solidarisches Leben möglich ist".

Nach den Protesten gegen die Eröffnung des EZB-Wolkenkratzers bestanden die Zeichen der Solidarität aus mindestens 88 verletzten Polizisten, aus brennenden Autos und zerbrochenen Scheiben. Natürlich hat Blockupy zu "friedlichen" Protesten aufgerufen.

Aber jeder hätte sehen können, was kommen würde - man musste nur die Internet-Auftritte der Krawalltouristen lesen. Sie wollten "die EZB als Symbol kapitalistischer Herrschaft in Europa angreifen", versicherte eine Gruppe.

Geht es gegen den Kapitalismus, scheint alles erlaubt zu sein

Sicher, diese Sprache ist infantil, aber der Infantilismus kann lebensgefährlich werden. Spätestens nach den Krawallen vom 18. März sollten sich die Organisatoren fragen, wie lange sie das zynische Spiel eigentlich noch mitmachen wollen: Zum friedlichen Protest aufrufen, obwohl jeder weiß, dass die Schlägertrupps kommen und dann, wie geschehen, über die "Drohkulisse" der Polizei klagen.

Jeder Fußballclub ist für seine Hooligans verantwortlich, warum nicht Blockupy?

Aufschlussreich ist die Aussage des Frankfurter DGB-Chefs Harald Fiedler. Er finde die Politik der Anleihenkäufe durch die EZB ja durchaus richtig. Trotzdem sei diese eben ein Symbol für die Krisenpolitik. Warum kann sich der Mann nicht einfach hinstellen und sagen: "Leute, lasst den Quatsch!"?

Wenn es gegen den Kapitalismus geht, scheint alles erlaubt oder zumindest verständlich zu sein. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass linke Gruppen hierzulande das amerikanische "Occupy Wall Street" - seinerzeit eher ein anarchistisches Happening - mit deutscher Gründlichkeit in das wohlorganisierte, doktrinäre Blockupy verwandelten.

Die EZB hat Unterstützung verdient

Beschämend, dass die EZB selbst vorauseilenden Gehorsam übte und auf ihre Eröffnungsfeier verzichtete. Bescheidenheit steht ihr sicher gut an, aber auch ohne Champagner-Sause hätte sie würdiger feiern können als mit ein paar Reden in einem verbarrikadierten Hinterzimmer.

Dabei hätte dann jemand vielleicht das Selbstverständliche gesagt: Ja, die EZB hat Fehler gemacht. Über ihre Politik kann und muss man streiten, vielleicht sogar erbittert.

Aber die Notenbank ist eben auch eine Institution, die ihre Wurzeln in dem Versuch der Europäer hat, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Deshalb hat sie die demonstrative Unterstützung der deutschen Politik und der deutschen Gesellschaft verdient, wenn jemand sich anmaßt, sie blockieren zu wollen.

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