Pro SPD-Mitgliederentscheid:Königsdisziplin für Regierungsparteien

Vor SPD-Mitgliedervotum

Am Sonntagmorgen werden die Sozialdemokraten das Ergebnis des Mitgliedervotums zur großen Koalition bekannt gegeben.

(Foto: dpa)

Pro: Das Mitgliedervotum der SPD über den Eintritt in die große Koalition ist gut und richtig. Es sollte und wird künftig die Regel werden.

Kommentar von Stefan Braun

Das Mitgliedervotum der SPD über den Eintritt in die große Koalition ist gut und richtig. Ja, es ist zwingend. Die Mitglieder zu befragen ist keine lästige Pflicht und sollte nicht die Ausnahme bleiben. Es sollte und wird künftig die Regel werden. Sicher, die Kritiker schimpfen. Für sie halten 464 000 Mitglieder der Sozialdemokraten ein ganzes Land in politischer Geiselhaft. Für sie haben die vielen Millionen Wähler am Wahltag eine viel wichtigere Entscheidung getroffen. Für sie ist die deutsche Demokratie eine repräsentative, und deshalb haben für sie die gewählten Vertreter den Auftrag, über das Ja oder Nein zum Koalitionsvertrag zu entscheiden. Diese Kritik ist nicht billig. Sie ist zur Zeit vor allem in der Union weit verbreitet. Falsch ist sie trotzdem.

Falsch ist sie, weil sie technisch und formalistisch argumentiert, aber nicht politisch. Falsch ist sie, weil sie die wichtigste Voraussetzung für das Funktionieren der Demokratie unterschlägt. Das Wichtigste nämlich ist, dass die Menschen wieder Vertrauen fassen in Politiker und Parteien; dass sie wieder Lust bekommen, sich nicht nur für einzelne Ideen, sondern auch in Parteien zu engagieren. Die Menschen müssen das Gefühl zurückerhalten, dass ihr Engagement sich lohnt, dass Mitsprache möglich ist, dass man Einfluss hat, wenn man sich in einer Partei für etwas einsetzt. Nichts gefährdet die Parteiendemokratie mehr als die Zweifel, dass all das nichts mehr wert sein könnte.

Gerade in Zeiten, in denen die Wahrscheinlichkeit von Dreier- und Vierer-Koalitionen größer werden, gehört zur Regierungsbildung nicht mehr nur, Koalitionsverträge auszuhandeln. Genauso wichtig wird es werden, die Kompromisse zu begründen, die gefunden wurden. Und zwar vor den eigenen Leuten. Wer gesehen hat, wie sich Olaf Scholz und Andrea Nahles für den Koalitionsvertrag eingesetzt haben, der muss feststellen: Der Zwang zur guten Begründung ist gerade in dieser Situation notwendig.

Zumal es hier nicht um irgendetwas geht. Es geht nicht um die eine oder andere Sachfrage. Es geht um die Grundlage für vier Jahre Regierungsarbeit. Darüber mit der eigenen Partei zu debattieren, ist kein Ärgernis. Im Gegenteil: Es ist die Königsdisziplin für jeden und jede, die einer Regierungspartei vorstehen. Dass Angela Merkel und die CDU es bis heute anders handhaben, ist kein Beleg dafür, dass das Mitgliedervotum falsch wäre. Es legt nur offen, dass die Kanzlerin Debatten scheut und noch immer nicht verstanden hat, wie wichtig es auf Dauer ist, für die eigene Politik auch um die Zustimmung der Menschen zu werben.

Und wenn die SPD-Basis nun Nein sagt? Dann ist auch das keine Katastrophe. Es würde vielmehr etwas Gravierendes zeigen: dass das Vertrauen der Mitglieder in die Parteiführung nicht ausreichend groß ist. Auch das will, ja muss man wissen, bevor eine Regierung mit der Arbeit loslegt. Sollte es so kommen, wäre das für Scholz und Nahles schmerzlich, weil für das Misstrauen der Basis Martin Schulz und Sigmar Gabriel deutlich mehr Verantwortung tragen. Chaos aber würde es nicht auslösen; die Verfassung der Bundesrepublik ist stark genug. Es gäbe wohl Neuwahlen - und das ist kein Drama.

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