Privatfernsehen und Jugendkriminalität:Die Mixtur des Grauens

Ist das "Scheiß-Privatfernsehen" schuld an der Jugendgewalt? Diejenigen, die den Trash der neuen Sender heute beklagen, haben ihn einst befürwortet.

Hans-Jürgen Jakobs

Markgröningen ist ein kleiner baden-württembergischer Ort in der Nähe von Ludwigsburg, der nun durch den Ministerpräsidenten Günther Oettinger bundesweit bekannt wurde. Bei einem Neujahrsempfang seiner CDU sagte er vor wenigen Tagen, das "Scheiß-Privatfernsehen" habe eine Mitschuld an der zunehmenden Gewaltbereitschaft von Jugendlichen.

Privatfernsehen und Jugendkriminalität: "Dass der Empfang der vielen Programme in den ersten Monaten wie eine Narkose wirken kann", ahnte man schon bei der Einführung des Privat-TV.

"Dass der Empfang der vielen Programme in den ersten Monaten wie eine Narkose wirken kann", ahnte man schon bei der Einführung des Privat-TV.

(Foto: Illustration: Gertraud Funke)

Konkret nannte Oettinger die Sender Super RTL und RTL II, die sich heftig gegen die Angriffe wehren. Später sagte der oberste Medien-Koordinator der CDU noch offiziell in Stuttgart, es gebe "Programme, die in einigen Sendern kommen, von denen ich erhebliche Gefahren für die Erziehung der Jugend ausgehen sehe". Das klang ein wenig akademischer, meinte aber dasselbe.

Oettingers Verbalattacke ist typisch für die Stimmung in der Union, die 1982 mit der "geistig-moralischen Wende" der Bundesregierung von Helmut Kohl das Privat-TV überhaupt erst ermöglicht hat. Die Vorgängerregierung unter Helmut Schmidt (SPD) hatte sich noch trickreich gegen die Kommerzialisierung gestellt, doch dann ließ Kohls Postminister Christian Schwarz-Schilling im großen Stil die Republik verkabeln, und die Länderchefs der Union genehmigten private Programme. 1984 gingen Sat 1 und RTL auf Sendung, viele folgten.

Heute sind manche der Christdemokraten entsetzt über die Spätfolgen ihrer Kulturrevolution und die Entwicklungen im "dualen System", wie sie das Nebeneinander des öffentlich-rechtlichen Blocks (ARD, ZDF) und der entfesselten Kommerzkräfte nannten.

Sexy Clips, Dschungelshows, debile Manga-Comics, Menschenhaltungsformate wie Big Brother, bizarre Doku-Filme, Spielfilme mit Action und Trallala, auf der anderen Seite kaum Nachrichten oder anspruchsvolle Informationssendungen - für Wertkonservative ist es eine Mixtur des Grauens, die sie da geschaffen haben.

"Dass der Empfang der vielen Programme in den ersten Monaten wie eine Narkose wirken kann, das ist durchaus möglich", ahnte schon Minister Schwarz-Schilling im Oktober 1982 - aber dann würden "die Leute mit mehr Überlegung ans Fernsehen herangehen". Die hauptsächliche Hoffnung von Kohls Korona war, dass den angeblich linken öffentlich-rechtlichen Redaktionen etwas entgegengesetzt werde, was zu einer "Entautorisierung" führe.

Rückbesinnung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Nun bilanziert der scheidende NDR-Intendant Jobst Plog: "Die konservativ-liberale Seite ist inzwischen nicht mehr davon begeistert, was sie da ausgelöst hat." Es gebe eine "Rückbesinnung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk".

Tatsächlich ist die Zahl von Sendeminuten, in denen Politiker oder politische Probleme im Privat-TV vorkommen, sehr mickrig. Als Kohls langjähriger Lieblingssender Sat 1 im vorigen Jahr auch noch einige - boulevardeske - Informationsprogramme kappte und sich auf eine verbleibende Nachrichtensendung stützte, wurde es beispielsweise dem CDU-Politiker Bernhard Vogel zu viel.

Der erfahrene Medienkenner, der einst als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident das Privat-TV gefördert hatte, sah nun das "Kulturgut Fernsehen" in Gefahr. Er fürchte, "ein Kapitel der deutschen Mediengeschichte" gehe zu Ende. Sein Motiv für die Einführung neuer Programme sei gewesen, das Oligopol der Öffentlich-Rechtlichen aufzulösen. Er habe "eine Konkurrenz der Vollprogramme mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen gewollt" und das Fernsehen "keineswegs nur als Wirtschaftsgut, sondern in allererster Linie als Kulturgut" gesehen.

Vogel und andere CDU-Politiker hatten die Erwartung, dass die Manager der Privatsender sich ebenso verantwortlich für das Programm fühlen würden wie die Verantwortlichen von ARD und ZDF. Da sind sie nun eines Besseren belehrt worden: Der ewige Kampf um die Einschaltquoten und das Werbegeld haben die TV-Sender durchweg zu knalligen Unterhaltungsmaschinen gemacht, nicht aber zu Instanzen der Aufklärung. Das hat sich inzwischen bis Markgröningen herumgesprochen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: