Pressestimmen:"Bundespräsident dritter Wahl"

Die Medien beschäftigen sich nach der Präsidentenwahl weniger mit Christian Wulff als mit dem "Denkzettel" für Angela Merkel. Die Rede ist von "heimlicher Lust am Untergang" und von "Politik am Rande des Nervenzusammenbruchs".

M. C. Schulte von Drach

Es ist weniger die Wahl des Bundespräsidenten selbst, die nach dem knappen Sieg von Christian Wulff (CDU) die Schlagzeilen der deutschen Tageszeitungen und Onlinemedien dominiert. Es ist vielmehr das Debakel für Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Regierungskoalition, das in großer Einhelligkeit aus dem zweimaligen Scheitern ihres Kandidaten herausgelesen wird.

Wahl des Bundespräsidenten

Echte Begeisterung durfte man nach zwei gescheiterten Wahlgängen bei Angela Merkel (CDU) und dem im dritten Wahlgang endlich gewählten neuen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) nicht erwarten.

(Foto: dpa)

Da fällt der sachliche Titel der FAZ schon aus der Reihe, die schlicht und einfach feststellt, dass Christian Wulff zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Die Chemnitzer Freie Presse weist im Titel immerhin schon auf den dritten Anlauf hin, den Wulff brauchte. Und Bild findet es spannender, unter der Überschrift "Präsidenten-Kuss" ein Foto des neu gewählten Bundespräsidenten beim Küssen seiner Frau zu zeigen, als auf die Vorgänge in der Bundesversammlung hinzuweisen.

In eine andere Richtung weisen die Schlagzeilen der meisten anderen Medien. Sie betonen den Verlauf der Wahl - und die politischen Konsequenzen der drei Urnengänge.

So titelt Die Welt: "Dramatische Wahl des Bundespräsidenten" und konstatiert schon in der Unterzeile einen "Denkzettel für Merkel". Im Internet gibt das Blatt der Kanzlerin gar die "Schuld an Wulffs Zittersieg". Sie und ihr politisches Umfeld seien "nicht bereit gewesen, die Signale zu hören, die von der [...] Nominierung von Joachim Gauck durch die rot-grüne Opposition ausgingen". Dies sei nur ein Beispiel für Merkels politischen Stil der Abschottung in innere Zirkel. Und nun würden sie und Westerwelle sich "die Blamage" schönreden.

Das konservative Springerblatt befindet sich in seltener Einigkeit mit der linken taz, die Merkel und Westerwelle ebenfalls eine Blamage und eine peinliche Schlappe konstatiert. Online erklärt taz.de, Merkel habe sich innerparteilich "totgesiegt". Auch die Berliner Zeitung stellt fest: "Wulffs Wahl ist Merkels Niederlage".

Die Frankfurter Rundschau sieht die Kanzlerin von Schwarz-Gelb düpiert, und die Regierung "am Rand des Scheiterns". Focus online kommentiert "Merkels Beinahe-GAUck".

Spiegel online erklärt seinen Lesern, der "Wahlkrimi" - ein Wort, das man auch andernorts ständig liest - könnte der Anfang vom Ende für Merkels Regierung sein. Die Koalition rede sich die Wulff-Wahl schön. Merkel, so heißt es hier, könnte falsch liegen, wenn sie meint, es zähle nur, dass wir einen neuen Bundespräsidenten haben. "Der Regierungsalltag ist das, was zählt. Und da herrscht Tristesse pur."

Und laut stern.de beobachten wir heute schon "Politik am Rande des Nervenzusammenbruchs".

Laut Stuttgarter Zeitung wurde die Regierung vorgeführt, die Koalition konnte am Ende "nur mehr eine verhinderte Totalblamage" feiern. Wulff sei nur "dritte Wahl", eine Anspielung auf die drei Wahlgänge, die notwendig waren, und die auch taz.de am Tag nach der Wahl zur Schlagzeile macht.

"Deutschland wählt sich einen Wulff"

Originell versucht die Financial Times Deutschland mit "Deutschland wählt sich einen Wulff" zu titeln, um dann, wie die meisten anderen Medien, die "schwere Schlappe für Merkel" anzusprechen. Sowohl die Kanzlerin als auch der neue Bundespräsident seien nun politisch kräftig angeschlagen. Für beschädigt hält auch die Neue Presse (Hannover) Wulff.

Da hält Welt online allerdings dagegen: "Gewählt ist gewählt." Wulff nun als beschädigtes Staatsoberhaupt zu sehen, sei falsch.

Bei dem Versuch, die Motivation der Gauck-Wähler aus dem Regierungslager zu analysieren, kommen die Zeitungen zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen. So kommentiert Die Welt, die Abweichler hätten nicht der eigenen Regierung einen Denkzettel verpassen wollen. Vielmehr hätten viele Konservative und Liberale eben auch Sympathien für Gauck gehabt. Laut Stuttgarter Zeitung war es allerdings eine "heimliche Lust am Untergang", die christlich-liberale Delegierte in zwei Wahlgängen für Gauck stimmen ließen.

Wie der sachliche Titel fallen auch die Kommentare in der FAZ aus der Reihe: Einen Schatten hätten verdiente Altpolitiker auf die Bundespräsidentenwahl geworfen. Allerdings gilt die Kritik diesmal weniger den Gauck-Wählern im Regierungslager, als jenen in der SPD und bei den Grünen, die Joachim Gauck gegen ihre Überzeugung gewählt hätten, "um die Regierungskoalition in Verlegenheit zu bringen".

Gauck, heißt es dort, könnte Kandidat der Herzen bleiben. "Das schwerere Los hat Wulff getroffen."

Als Merkels Retter gelten bei Focus online die Linken, die schließlich mit einer Wahl von Joachim Gauck den Kandidaten von Schwarz-gelb hätten verhindern können. Die Linkspartei, so kommentiert taz.de, sei "großer, vielleicht der größte Verlierer der Wahl". Sie hätte "einem rot-rot-grünen Bündnis eine realpolitische Perspektive und mit Joachim Gauck ein kluges und glaubwürdiges Gesicht" geben können. Diese Chance habe die Partei vertan und verantworte damit "fünf Jahre Wulff als ersten Mann im Staate".

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