Presseschau:Was ist bloß mit Sachsen los?

Presseschau: Cornelius Pollmer

Cornelius Pollmer

(Foto: sz)

Pegida, Pannen bei der Polizei, Ausschreitungen gegen Ausländer - vielen gilt der Freistaat heute als "Dunkeldeutschland". Die sächsischen Zeitungen bemühen sich um Differenzierung.

Von Cornelius Pollmer

Die Demonstrationen von Pegida führten in den vergangenen Jahren immer mal wieder am Haus der Presse vorbei, wo die Sächsische Zeitung ihren Hauptsitz hat. Einen bemerkenswert sonderbaren Arbeitstag erlebten die Mitarbeiter schließlich Mitte September, als sich vor ihrem Haus etwa 80 Menschen einer Kundgebung der Bürgerinitiative "Heidenauer Wellenlänge" anschlossen. Motto: "Demonstration für Meinungsfreiheit - gegen Lügenpresse, Hetzjagd, politische Verfolgung, Propaganda". Und damit herzlich willkommen in Dresden, wo die Stimmung gegenüber Medien sich als ausdauernd nervös und zuweilen giftig erwiesen hat.

In der Stadt gibt es inzwischen reichlich therapeutische Angebote, von Bürgerforen über Podiumsdiskussionen bis zu Talksendungen. Überall sprechen Mediennutzer und Medienhersteller miteinander, manchmal bemühen sie sich sogar um ein besseres Verständnis der jeweils anderen. Eine interessante Wendung bekam dieser Prozess mit der Berichterstattung über die Pöbeleien zum Tag der Deutschen Einheit, vor allem mit jener nach dem Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr in der JVA Leipzig. Insbesondere eine Titelgeschichte des Stern führte zu ungewohnten Übereinstimmungen. Das Magazin aus Hamburg hatte in der vergangenen Woche mit großer Lust an der Eindeutigkeit "Sachsen, ein Trauerspiel" auf sein Cover geschrieben und einen Report aus dem "dunkelsten Bundesland" versprochen. Der Text selbst ist auf dem Portal uebermedien.de, höflich formuliert, sehr kritisch geprüft worden, in Sachsen selbst reichten die Reaktionen auf die pauschale Sachsen-Kritik nicht nur des Stern von Belustigung bis Wut. Die Dresdner Morgenpost wunderte sich über "etliche neue Facharbeiter vom Institut für angewandte Sachsenkritik", riet ihren Lesern aber schließlich: "Wir ertragen jetzt den Spott auf allen Kanälen. Weil er auch berechtigt ist." Die Sächsische Zeitung fragte per Überschrift: "Gehört Sachsen auf die Couch?" Ergebnis einer ersten Analyse: Das Fremdbild kollidiere mit dem Selbstbild der Sachsen, letztere fragten sich inzwischen: "Geht es vielleicht ein wenig differenzierter? Kann nicht mal jemand unsere zwölf verschiedenen Rezepte für Eierschecke gut finden?" Auch in diesem Text aber schimmerte Hoffnung. Wären die Schimpfer nicht an Sachsen interessiert, würden sie ihren Schimpf behalten. Und die Sachsen müssten auch selbstkritisch sein: "keine faulen Ausreden ... Kurt Biedenkopf ist nicht an allem schuld. Er ist nicht mal ein echter Sachse."

Zwischenfazit: Tendenziell sachsen-kritische Sachsen-Journalisten bekamen es zunächst mit journalismus-kritischen sächsischen Nichtjournalisten zu tun - nun wenden sie sich selbst gegen sachsen-überkritische Journalisten, die in der Regel keine Sachsen sind.

Sachse oder Nicht-Sachse, das scheint gerade ohnehin eine wichtige Frage zu sein. Während die Deutsche Presse-Agentur über ihr Dresdner Büro feststellte, etwas sei "faul im Freistaat", bezog die Leipziger Volkszeitung nach dem Suizid al-Bakrs einen Kommentar aus ihrem Verlagsmutterhaus in Hannover. "Was ist bloß in Sachsen los?", fragte der Kommentator zu Beginn, dann stellte er fest, dass die sächsische Justiz in Gänze "überfordert, unmotiviert oder schlecht ausgebildet" sei. Kritik an Justiz und Regierung gab es auch in den drei großen sächsischen Regionalzeitungen. Sie ist oft weniger pauschal, aber dennoch deutlich. Die Freie Presse aus Chemnitz etwa schrieb zum Versagen im Fall al-Bakr: "Der Staat untergräbt seine Autorität, wenn seine Vertreter immer wieder Anlass geben, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln."

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