Presseschau:Spaniens Sorgen

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

In einer Woche wählen die Spanier ein neues Parlament - zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres. Die Fronten sind verhärtet. Jetzt bringen zwei neue Themen Bewegung in den Wahlkampf: Gibralter und Venezuela.

Ausgewählt von Thomas Urban, Madrid

Eine Woche vor der vorgezogenen Parlamentswahl in Spanien sind die politischen Fronten erstarrt, zumindest den Umfragen zufolge: Die konservative Volkspartei (PP) des noch amtierenden Premierministers Mariano Rajoy kann mit rund 30 Prozent der Stimmen rechnen. Dieses Ergebnis würde zwangsläufig den Rücktritt Rajoys bedeuten, der sein hartes Sparprogramm zur Sanierung des Staatshaushalts fortsetzen möchte. Keine der anderen drei großen Parteien möchte mit ihm koalieren, ihm wird vorgeworfen, korrupte Strukturen in der PP geduldet zu haben. Rajoy selbst sagt, er würde am liebsten mit den Sozialisten (PSOE) nach Berliner Vorbild eine große Koalition bilden, doch deren Chef Pedro Sánchez winkt ab. Die PSOE ist zwar als einzige Gruppierung theoretisch für Koalitionen nach allen Seiten offen. Doch Sánchez steht vor dem Problem, dass in den Umfragen der Wahlblock Unidos Podemos ("Vereint schaffen wir das"), ein weit gefächertes Bündnis aus Linksalternativen und Postkommunisten, an der PSOE vorbeigezogen ist; die Partei wäre also nur Juniorpartner in einer Links-links-Koalition. Die vierte der großen Parteien, die liberalen Ciudadanos (Bürger), dürften nicht genug Stimmen bekommen, um allein der PP oder der PSOE zur Mehrheit zu verhelfen.

Da die Parteien dieselben innenpolitischen Positionen wie bei den letzten Wahlen vor genau einem halben Jahr vertreten, war der Wahlkampf lange recht langweilig. Doch haben in den letzten Tagen zwei außenpolitische Themen Schwung in die Kampagne gebracht: Gibraltar und Venezuela. Mit der seit 303 Jahren britischen Halbinsel möchte Rajoy punkten, denn der Status quo ist den meisten Spaniern ein Ärgernis. Die liberalkonservative Tageszeitung El Mundo zitiert Rajoys Parole "Gibraltar wird wieder spanisch", lässt aber in ihrem Kommentar dazu leichte Ironie anklingen. Gebührend Platz räumte das Blatt auch dem Protest Rajoys gegen den angekündigten Besuch von Premierminister David Cameron in Gibraltar ein. Unter den Einwohnern der Halbinsel, die 2002 mit 99 Prozent gegen die Einrichtung einer gemeinsamen britisch-spanischen Verwaltung stimmten, gelten als entschiedene Unterstützer Camerons in seiner Kampagne gegen den Brexit, den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU. Außenminister José Margallo (PP) hatte schon gedroht, Spanien werde die Grenze zu Gibraltar im Falle eines Brexit weitgehend schließen, falls Madrid nicht endlich an der Regierung des britischen Überseegebietes beteiligt werde. Margallo bekam dafür viel Beifall auf der Rechten, allen voran von der nationalkonservativen Tageszeitung ABC. Der Kurzbesuch Camerons wurde allerdings nach dem tödlichen Attentat auf die Labour-Abgeordnete Jo Cox nun abgesagt.

ABC ist auch an vorderster Front beim Thema Venezuela. Damit wird der Podemos-Chef Pablo Iglesias, der Politologe mit dem Pferdeschwanz, unter Druck gesetzt. Die spanischen Medien beobachten traditionell Lateinamerika sehr genau, man sieht sich nach wie vor in einer großen Familie. Die autoritäre sozialistische Regierung in Cáracas hat offenbar die Bewegung des Neomarxisten Iglesias mit mehreren Millionen Euro gefördert, dieser hat auch vor dem Absturz der Wirtschaft Venezuelas das dortige Regime immer wieder mit Lob überschüttet. Nun kommen die Berichte darüber Podemos überaus ungelegen, denn Venezuela macht nicht nur wegen seiner Wirtschaftskatastrophe Schlagzeilen, sondern auch wegen der Repression Oppositioneller.

Auch die linksliberale Tageszeitung El País, die sonst kaum mit ABC einer Meinung ist, versucht, mit dem Venezuela-Thema Stimmung gegen Iglesias zu machen. "Podemos hat immer eine Förderung durch Cáracas dementiert", heißt es im Kommentar zu einem ausführlichen Bericht, in dem die zitierten Aktenzeichen und Zahlenkolonnen genau das Gegenteil beweisen sollen. "Das Dementi ist als Lüge entlarvt."

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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