Presseschau:Eine neue Freiheit

Die Proteste in Rumänien gegen die geplante Strafbefreiung von korrupten Politikern ebben ab. Für die unabhängigen Zeitungen des Landes steht fest: Jetzt beginnt eine Transformation.

Von Florian Hassel

Der Höhepunkt der Proteste in Rumänien ist vorbei. Doch die Kundgebungen, bei denen täglich bis zu einer halben Million Menschen auf die Straße gegangen waren, haben das Land verändert. "Eine radikale Transformation findet statt, Gleichgültigkeit und Gehorsam weichen dem Fieber der Freiheit," schreibt die liberale Wochenzeitung Revista 22 und fährt fort: "Es ist, als ob sich nach 70 Jahren eine Nation endlich vom Joch des Staates emanzipiert (...) Dies ist der Frühling des rumänischen Volkes; dies ist eine zivile Rebellion, die nur ein Ziel hat: Würde und Freiheit wiederzuerlangen, gegen den Staat und die kleptokratische Elite, die ihn konfisziert hat." Die Proteste zwangen die von den Postkommunisten (PSD) geführte Regierung, den Eilerlass zurückzuziehen, der Parteichef Liviu Dragnea und andere mutmaßlich korrupte Amtsträger vor Strafen schützen sollte - keine zwei Monate, nachdem die PSD die Wahl mit dem Versprechen höherer Renten, Gehälter und anderen Wohltaten gewonnen hatte.

Doch wie geht es weiter? "Rumänien ist nicht in einer politischen Krise", stellt die unabhängige Tageszeitung Gândul fest. "Es gibt eine solide parlamentarische Mehrheit, die in freien und ehrlichen Wahlen gewonnen wurde. Dies ist nicht der Moment für vorgezogene Neuwahlen" - eine Forderung, die viele Demonstranten erhoben hatten. Präsident Klaus Johannis mischte sich in roter Skijacke unter die Demonstranten und nannte diejenigen, die gegen Korruption und gegen die Regierung protestierten, "meine Rumänen".

PSD-Chef Dragnea versucht dagegen, die Massenproteste nachträglich zu diskreditieren, mit Feindbildern aus kommunistischer Zeit: Die Proteste seien vom Ausland organisiert, von westlichen Firmen, vom Milliardär George Soros, oder eben von Präsident Johannis. Die Tageszeitung Jurnalul National, wie die einflussreichen Fernsehsender Antena 1 und Antena 3 Teil eines PSD-nahen Medienimperiums, giftete, der Präsident habe im Parlament zum Thema Korruption "eine von hohlem Populismus geprägte Rede" gehalten und "andere für die verlängerten Spannungen verantwortlich gemacht, die er selbst durch seine Teilnahme an den unautorisierten Demonstrationen ermutigte". Dann beschwor die Zeitung in Anspielung auf Johannis' deutschstämmige Herkunft die angebliche Gefahr internationaler Einmischung - wie etwa 1940, als Rumänien unter dem Druck Hitlers und Mussolinis einen Landesteil an Ungarn abtreten musste.

Die Regierung ist zwar zurückgewichen - geläutert zeigt sie sich nicht: Schon will Dragnea die Strafbefreiung für Amtsmissbrauch statt durch Eilerlass per Gesetz durchsetzen. "Das Monster hat zu bluten begonnen, aber es lebt und wird beißen, wenn wir nicht weitermachen", mahnte Revista 22. "Die Demonstrationen werden und müssen weitergehen."

Demonstrationen sind eine Sache, ein Programm und neue Ideen eine andere. Verachtung für andersdenkende Rumänen, "der Fatalismus der Überzeugung, dass bei uns sowieso nie etwas funktionieren wird, der Gedanke, dass unser nationaler Kern Lüge und Betrug enthält - all das löst sich nicht in Luft auf", kommentiert das vom Philosophen Andrei Pleșu gegründete Wochenmagazin Dilema Veche. "Wir glauben, dass Image alles ist. Doch vergessen wir den Inhalt. Denn der ist am schwierigsten zu erreichen, er braucht am meisten Einsatz und Arbeit". Aber vielleicht würden auf Rumäniens Plätzen nun auch "neue Gedanken wachsen".

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