Pressefreiheit:Türkei verbittet sich Kritik aus Europa

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Ankara sperrt 14 Journalisten der Zeitung "Cumhuriyet" ein und stellt dies als Kampf gegen den Terrorismus dar. Kritik aus Europa weist die Regierung zurück. Doch es gibt auch andere Mahner.

Von Luisa Seeling, München

Die türkische Regierung hat die Kritik an ihrem Vorgehen gegen die oppositionelle Zeitung Cumhuriyet scharf zurückgewiesen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hatte die Verhaftung von gut einem Dutzend Cumhuriyet-Mitarbeitern als "nicht tolerabel" bezeichnet und getwittert, dass eine rote Linie überschritten sei. Der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım konterte am Dienstag in Ankara: "Bruder, vergiss deine Linie, wir haben mit deiner roten Linie nichts zu schaffen. Das Volk zieht die roten Linien!" Die Türkei habe kein Problem mit der Pressefreiheit, fügte Yıldırım hinzu. Jedes Mal, wenn man gegen "Terrorismus" vorgehe, kämen die Europäer mit der Pressefreiheit daher. Darüber gebe es mit den "europäischen Partnern" keine Verständigung.

Die türkischen Behörden nahmen am Montag 14 Cumhuriyet-Redakteure fest, darunter Chefredakteur Murat Sabuncu. Vier weitere Haftbefehle konnten nicht vollstreckt werden, weil sich die Gesuchten offenbar im Ausland aufhalten. Die Staatsanwaltschaft wirft den Journalisten vor, mit ihren Artikeln den gescheiterten Militärputsch Mitte Juli "legitimiert" zu haben; zudem hätten sie sich der Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK schuldig gemacht und der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, den Ankara für den Putschversuch verantwortlich macht.

Seit 15. Juli geht die Regierung massiv gegen tatsächliche und vermeintliche Gülen-Anhänger vor. Mehrere Zehntausend Menschen sind in den vergangenen Monaten suspendiert oder entlassen worden, die meisten aus den Reihen von Sicherheitskräften, Justiz und im Bildungswesen. Etwa 35 000 Menschen befinden sich in Haft. Ein dreimonatiger Ausnahmezustand, der Ankara weitreichende Befugnisse einräumt, wurde bis Januar verlängert.

Dutzende Menschen harrten in Istanbul in der Nacht zu Dienstag aus als Mahnwache gegenüber dem Cumhuriyet-Gebäude. Oppositionsführer wie Kemal Kılıçdaroğlu, Chef der sozialdemokratischen CHP, und Selahattin Demirtaş, Co-Vorsitzender der prokurdischen HDP, erklärten sich solidarisch. Cumhuriyet ist eine der letzten unabhängigen Zeitungen im Land. Der türkischen Journalistenvereinigung zufolge wurden dieses Jahr 170 Medien geschlossen, mehr als 100 Journalisten sind in Haft. Erst am Wochenende hatten die Behörden die Schließung 15 meist kurdischer Medien angeordnet und die Verhaftung der Bürgermeister der kurdisch geprägten Großstadt Diyarbakırt . Am Dienstag nahm die Polizei in Mardin weitere 25 kurdische Politiker fest.

Auch die USA kritisierten die Festnahmen. Ungewöhnlich deutlich rief in Washington das Außenministerium Ankara auf, Rechtstaatlichkeit und Grundrechte zu schützen. Man sei besorgt vom "Steigen staatlichen Drucks auf Oppositionsmedien", sagte ein Sprecher am Dienstag. Die Bundesregierung äußerte sich zurückhaltend. Mit Blick auf die Türkei teilte sie mit, Pressefreiheit sei ein hohes Gut und "zentral für jeden demokratischen Rechtsstaat".

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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