Bolivien:Zweifel um Pressefreiheit

Lesezeit: 3 min

Morales (li.) ist seit 2006 Präsident Boliviens - hier nimmt er an einer indigenen Zeremonie zur Feier seiner Zeit im Amt teil. (Foto: AFP)
  • Seit 2006 regiert Evo Morales Bolivien - heute besucht er Kanzlerin Merkel.
  • Morales ist wegen seiner linken Sozialpolitik in dem südamerikanischen Land sehr beliebt. Doch die Pressefreiheit lässt stark zu wünschen übrig.
  • Trotzdem steht das Thema in Berlin offenbar nicht auf der Tagesordnung.

Von Benedikt Peters

Evo Morales gab sich vor der Reise etwas aufgeregt. Noch nie in seinen bald zehn Regierungsjahren habe er das Land für so lange Zeit verlassen, erklärte der bolivianische Präsident, bevor er in das Flugzeug nach Europa stieg. Neun Tage ist Morales nun unterwegs, zu Gesprächen mit den Regierungen Italiens, Irlands, Frankreichs und Deutschlands. Wegen der langen Reisedauer übergab er vor Abflug symbolisch die Geschäfte an seinen Stellvertreter, Vizepräsident Álvaro García Linera.

Heute empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Morales in Berlin, mit militärischen Ehren und einem Mittagessen. Dabei wollen die Regierungschefs über wirtschafts- und klimapolitische Fragen und ganz allgemein über die bilateralen Beziehungen reden. So hat es die Bundesregierung mitgeteilt.

Von der Presse- und Meinungsfreiheit aber wird bei dem Gespräch offenbar nicht die Rede sein - dabei gäbe es für Angela Merkel durchaus Gründe, irgendwann zwischen Hauptgang und Nachtisch einmal kritisch nachzufragen.

"Kulturelle und demokratische Revolution"

Seitdem Morales 2006 die Macht übernahm, hat sich viel verändert in dem nunmehr Plurinationalem Staat Bolivien genannten Land. Der Präsident selbst spricht von einer "kulturellen und demokratischen Revolution". Er hat Sozialprogramme aufgelegt, für Wirtschaftswachstum gesorgt und die Rechte der indigenen Bevölkerung gestärkt. Morales selbst gehört dem Urvolk der Aymara an, er ist der erste indigene Präsident Boliviens. Er hat linke Freundschaften gepflegt, zu den Castros in Kuba etwa oder zu Hugo Chávez und Nicolas Maduro in Venezuela. Trotz seines linken Kurses erfreut sich Bolivien eines stabilen Wirtschaftswachstums, im Spitzenjahr 2013 waren es 6,8 Prozent. Das alles bringt dem Präsidenten hohe Zustimmungswerte - die er für sich zu nutzen weiß. Im Frühjahr 2016 will er die Verfassung ändern lassen, damit er für eine weitere Amtsperiode antreten kann.

Seltener berichtet wird darüber, dass Meinungsfreiheit und Demokratie unter Morales gelitten haben. Als er 2006 Präsident Boliviens wurde, lag das Land im Pressefreiheitsindex der Organisation "Reporter Ohne Grenzen" weltweit auf Platz 16. Heute liegt es auf Platz 94.

Das liegt an Geschichten wie der von Escarley Pacheco, über die etwa die bolivianische Tageszeitung El Diario berichtete. An einem Tag im März liegt vor der Tür der bolivianischen TV-Journalistin ein blutverschmierter Brief und eine Patronenhülse. "Diese Kugel trägt deinen Namen", steht darauf, "schade, dass Du bald über niemanden mehr berichten kannst. Du hättest Deine Nase nicht in das Leben anderer Leute stecken sollen." Zuvor hatte Pacheco Polizeiskandale aufgedeckt, ebenso wie ihr Kollege José Miguel Manzaneda. Auch er bekam eine Morddrohung.

Andere Journalisten sind bereits tot oder spurlos verschwunden. Von dem TV-Journalisten Osvaldo Mariscal Calvimontes fehlt den Reportern ohne Grenzen (ROG) zufolge seit Januar 2014 jede Spur. 2012 wurden die Radiojournalisten Verónica Peñasco und Victor Hugo Peñasco ermordet, 2008 traf es Carlos Quispe, den Besitzer eines Radiosenders. Auf einen weiteren Sender gab es 2012 einen Brandanschlag.

Zwar forderte Präsident Morales hin und wieder, die Taten müssten bestraft werden. Die meisten von ihnen sind aber bis heute ungeklärt. Laut ROG werden die Ermittlungen bewusst von den Behörden verschleppt.

Journalisten sagen, sie betrieben Selbstzensur

Andere Journalisten haben ihren Job verloren. Zwei TV-Moderatoren wurden nach regierungskritischen Äußerungen im Mai und Juli 2015 gekündigt, eine weitere Moderatorin gab ihren Job freiwillig auf. Zur Begründung sagte sie, ihrem Sender sei von der Regierung gedroht worden. In einer Studie sagten zudem 59 Prozent der teilnehmenden Journalisten, sie betrieben Selbstzensur.

Als erschreckend bewerten Organisationen wie ROG zudem, dass einige kritische Fernsehsender und Zeitungen von regierungsfreundlichen Geschäftsleuten übernommen wurden. Dazu zählen etwa die wichtige Tageszeitung La Razón und die Sender PAT, Full TV und ATB. Nach dem Buch eines kritischen Journalisten sollen die Inhaber der Medien von Regierungsvertretern zu den Verkäufen gedrängt worden sein. Morales' Stellvertreter Álvaro García Linera soll eine zentrale Rolle gespielt haben. Die Regierung wiederum bestreitet die Vorwürfe.

Unesco-Bericht
:Jeden fünften Tag stirbt ein Journalist bei der Arbeit

700 Berichterstatter seien seit 2006 weltweit getötet worden, meldet die Unesco. In einigen Regionen sind die Morde besonders zahlreich.

Vizepräsident Linera war bereits in der Vergangenheit mit Schmähungen gegenüber Journalisten aufgefallen. Medien, die "lügen" oder "Parteipolitik betreiben" werde er die staatlichen Werbeaufträge entziehen, sagte er im August.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: