Premierminister vor dem Rücktritt:Wie Italien von Berlusconi geheilt werden kann

Unter Berlusconi war Italien weit vorne: bei der Staatsverschuldung, der Korruption, der Jugendarbeitslosigkeit und der überbordenden Bürokratie. Wenn der Premier zurücktritt, hinterlässt er seinem Nachfolger gewaltige Probleme. Mittel gegen den kranken Mann Europas.

Wolfgang Jaschensky und Michael König

Schuldenstand: Unvorstellbare 1900 Milliarden Euro. Wirtschaftswachstum: Jahr für Jahr weit unter dem Schnitt der europäischen Länder. Silvio Berlusconi hat Italien in den vergangenen zehn Jahren zum kranken Mann Europas gemacht. Statt längst überfällige Reformen durchzusetzen, hat er sich in Skandale verstrickt, das Image der Politik vollends ruiniert und sich am Ende selbst zum Gespött Europas gemacht. Seinem Nachfolger hinterlässt Berlusconi ein Land, das am Abgrund steht und dabei groß genug ist, die ganze Weltwirtschaft in eine Krise zu stürzen. Egal, wer das Land künftig führen wird, steht vor gewaltigen Aufgaben. Wo die Probleme liegen - und wie die Lösungen aussehen könnten.

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An diesem Mittwoch ist die Rendite für zehnjährige Staatsanleihen Italiens über die Marke von sieben Prozent gestiegen. Griechenland, Irland und Portugal hatten bei diesem Renditeniveau unter den Rettungsschirm schlüpfen müssen. Experten sind sich einig, dass der nicht mehr hält, wenn auch noch Italien gestützt werden muss. Italiens Schulden sind mit 1900 Milliarden Euro einfach zu gewaltig, als dass sie durch neue Garantien und einen Hebel gedeckt werden können.

Dass es so weit kam, ist das Verdienst von Silvio Berlusconi. Vor der Einführung des Euro 2002 hatte Italien mit harter Konsolidierungspolitik die Trendwende geschafft, die Mitte der neunziger Jahre bereits ausufernde Staatsverschuldung von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts näherte sich der Marke von 100 Prozent. Doch in Berlusconis zweiter Amtszeit schrieb er Jahr für Jahr rote Zahlen und trieb die Staatsverschuldung wieder dramatisch nach oben. 2011 wird sie in etwa wieder den Stand von 1996 erreichen: knapp 120 Prozent des BIP, also 20 Prozentpunkte mehr als die gesamte Volkswirtschaft binnen eines Jahres erwirtschaftet.

Unter dem Druck der Schuldenkrise unternahm Berlusconi allerdings erste Anstrengungen, den Haushalt zu sanieren. Im September drückte der 75-Jährige mit einer Vertrauensfrage ein Sparpaket durchs Parlament, das Kürzungen in Höhe von 54 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren vorsieht. Nach Deutschland und Spanien beschloss auch die italienische Regierung, eine Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern. Berlusconi beugte sich schließlich auch den Forderungen der EU-Partner nach weiteren Reformen. Beim Gipfel in Brüssel Ende Oktober sicherte Berlusconi zu, jährlich Staatseigentum in Höhe von fünf Milliarden Euro zu privatisieren, von 2026 an sollen Männer und Frauen in Italien mit 67 Jahren in Rente gehen.

Doch die Probleme in Italien reichen tiefer. Schwarzarbeit ist weiter verbreitet als in vielen anderen EU-Ländern. Experten schätzen, dass 15 bis 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts am Fiskus vorbei erwirtschaftet werden. Sogar Ärzte behandeln gegen Bargeld ohne Quittung. Ganze Dörfer, so hört man, bleiben vom Fiskus unbehelligt. Manch ein Bürger verzichtet auf ein Girokonto, um steuerrechtlich nicht erfasst zu werden.

Statt gegen diese Missstände vorzugehen, bekundete Berlusconi Verständnis für Steuerhinterzieher. Wer Italien aus der Krise führen soll, muss diese Probleme anpacken und ein einfacheres, gerechteres Steuerrecht einführen. Schlupflöcher müssen geschlossen und Steuerhinterziehung wirksam bekämpft werden.

Weg mit der Bürokratie!

Irgendwann hätten die Schweden einfach aufgegeben, heißt es. Ermüdet von den Hürden der Bürokratie, verzichtete Ikea darauf, seine geplante Filiale in Pisa zu eröffnen. Auf die nötigen Genehmigungen wollte der Möbelkonzern nicht länger warten. Kein Einzelfall: Große und kleine, in- und ausländische Unternehmen fühlen sich in Italien durch einen gewaltigen Staatsapparat behindert, der die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt und Wachstumschancen verhindert.

Italy Awaits The Arrival Of G8 World Leaders

Hauptstadt der Bürokratie: In Rom werden auch Dinge geregelt, deren Sinn die Regelhüter kaum verstehen dürften.

(Foto: Getty Images)

Ähnlich wie die deutsche entwickelte sich die italienische Wirtschaft im Vergleich zur restlichen Euro-Zone Anfang der Nullerjahre unterdurchschnittlich. Doch während die Bundesrepublik ab 2005 die Wende schaffte, fiel Italien mangels Strukturreformen weiter zurück. 2008 schrumpfte die Wirtschaft um ein Prozent, im Jahr darauf gar um fünf Prozent. 2010 gab es ein Wachstum von 1,3 Prozent.

"Italien hat noch immer einen gesunden wirtschaftlichen Kern mit vielen Unternehmen und einem starken Mittelstand", sagt Katja Plate, Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom. "Das Wachstum könnte viel größer sein", doch vor allem die "aufgeblähte, ineffiziente Verwaltung" verhindere das.

Während große Unternehmen wie Ikea an langwierigen Antragsverfahren verzweifeln, ärgern sich kleine Firmen über die alltägliche Schikane der Behörden. Eine schwangere Mitarbeiterin habe eine Bescheinigung vom Amtsarzt zweimal einholen müssen, ärgert sich die Chefin eines kleinen Betriebs in Rom: "Beim ersten Mal war er mit blauem Kugelschreiber unterschrieben. Akzeptiert wird aber nur schwarze Tinte."

Hinzu kommt die Ausrichtung der italienischen Wirtschaft: Sie exportiert Erzeugnisse (hauptsächlich aus dem Maschinenbausektor und der Textilindustrie) vor allem ins europäische Ausland. Vertreter der Industrie klagen, Berlusconi habe sich zu wenig für die Erschließung neuer Märkte eingesetzt.

Die Mafia in Ketten, die Korruption beiseite!

Roberto Saviano

Dank ihm spricht Italien wieder über die Mafia: Roberto Saviano, Autor des Buches "Gomorrha", ist einer der engagiertesten Anti-Mafia-Kämpfer Italiens.

(Foto: AP)

Silvio Berlusconi hat das Bild des vor Selbstbewusstsein strotzenden Cavaliere stets gepflegt. Egal, ob er das Notlager der Erdbebenopfer von L'Aquila mit einem Campingplatz verglich, US-Präsident Obama "gut gebräunt" nannte oder ihm Partys mit fragwürdigem Unterhaltungsprogramm vorgeworfen wurden. Wann immer Kritik an ihm aufkam, der "Ritter" wischte sie beiseite. Seinem Nachfolger hat er damit gleich zwei Probleme beschert.

Erstens ist der Ruf Italiens in der Welt nachhaltig beschädigt. Industriemanager klagen, Berlusconis Eskapaden seien geschäftsschädigend. Internationale Handelspartner würden bei Italien an "Bunga Bunga" denken, nicht an qualitativ hochwertige Ware. Auch auf politischer Ebene kam Italien zuletzt kaum mehr über die Rolle des Grüßonkels hinaus. Die Staats- und Regierungschefs der G 20 mieden in Cannes Berlusconis Nähe. Der tschechische Außenminister sagte unverblümt in einem Interview, Italiens Premier habe sich lieber mit Frauen amüsiert, statt Reformen anzuschieben.

Zweitens stand Berlusconis Gehabe im krassen Gegensatz zu seinem Vorgehen gegen Kriminalität und Korruption, mithin Italiens größte Probleme. "Die Mafia beherrscht die Wirtschaft", sagte der ehemalige Staatsanwalt von Neapel, Raffaele Cantone, 2009 im sueddeutsche.de-Interview. Experten zufolge hat sich daran kaum etwas geändert. Unlängst wurden drei an den Mafia-Morden von Duisburg beteiligte Mafiosi freigelassen, weil der italienischen Justiz ein Formfehler unterlaufen war.

Eng mit der Mafia verknüpft ist die Korruption, die unter Berlusconi eher zu- als abgenommen hat. Die Organisation Transparency International führt Italien auf der Liste der am wenigsten korrupten Länder auf Platz 67 - hinter Ghana, Samoa und Ruanda und knapp vor Kuba. 2002, beim Amtsantritt Berlusconis, hatte Italien auf Platz 31 gestanden. Zum Vergleich: Deutschland verbesserte sich im gleichen Zeitraum von Platz 18 auf Platz 15.

Perspektive für die Jugend!

Premierminister vor dem Rücktritt: Italiens Jugend erhebt sich gegen Berlusconi - und bekommt Unterstützung aus der Ukraine: Das Bild zeigt Aktivisten der Kiewer Protestgruppe "Femen".

Italiens Jugend erhebt sich gegen Berlusconi - und bekommt Unterstützung aus der Ukraine: Das Bild zeigt Aktivisten der Kiewer Protestgruppe "Femen".

(Foto: AFP)

Das "Hotel Mama" ist eine italienische Domäne. Nach Angaben des Nationalen Statistik-Instituts lebte die Hälfte der Italiener zwischen 18 und 39 Jahren im Jahr 2007 noch im Elternhaus. Bei den 30- bis 34-Jährigen Männern sollen es immerhin noch 40 Prozent gewesen sein. Die Italiener, ein Volk von Muttersöhnchen?

Tatsächlich dürfte die Zurückhaltung vieler Jugendlicher, sich eine eigene Wohnung zu suchen, triftigere Gründe haben: Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen ist seit Jahren stark steigend. 2002, zu Beginn der zweiten Amtszeit Berlusconis, lag sie bei 23,1 Prozent. Nachdem sie 2007 - unter Ministerpräsident Romano Prodi - auf 20,3 Prozent zurückging, stieg sie zuletzt auf 27,8 Prozent im Jahr 2010. Zum Vergleich: In Spanien sind mehr als 40 Prozent der unter 25-Jährigen arbeitslos, in Deutschland liegt der Wert bei 9,9 Prozent.

Diejenigen, die einen Job bekommen, hangeln sich häufig von einem Zeitvertrag zum nächsten. Eine Arbeitslosenversicherung wie in Deutschland gibt es nicht. "Das italienische Arbeitsrecht ist sehr restriktiv. Viele Arbeitgeber scheuen davor zurück, Personal langfristig einzustellen", sagt Katja Plate von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom.

So bleiben viele junge Italiener in einem Zustand steter Unsicherheit, während viele Ältere fast unkündbare Arbeitsverträge haben. Die Folge ist die niedrigste Geburtenrate in ganz Europa - der Durchschnitt liegt bei 1,3 Kindern pro Frau. Hinzu kommen hohe Mieten in den Großstädten. Nur wenn beide Partner Geld verdienen, können sich junge Paare Kinder überhaupt leisten. Aber wer kümmert sich dann um den Nachwuchs? "Die Kinderbetreuung ist ein Problem", sagt Plate. "Hier reichen die staatlichen Systeme bei weitem nicht aus."

Viele junge italienische Akademiker reagieren auf ihre Art und emigirieren. Bei vielen Älteren wie dem Oppositionspolitiker Leoluca Orlando stößt dies auf Verständnis. Er sagte im sueddeutsche.de-Gespräch: "Also suchen viele junge Leute ihr Glück im Ausland und wer sollte es ihnen übelnehmen?" Noch deutlichere Worte fand der Publizist Beppe Severgnini, ebenfalls im Interview mit sueddeutsche.de: "In Italien leben 20 Millionen Menschen weniger als in Deutschland - doch die Zahl der Akademiker, die im Ausland arbeiten, ist vier Mal höher. Das sagt viel über den Zustand meines Landes aus."

Auf Berlusconis Nachfolger warten große Herausforderungen. Das gilt auch für die Rente. Zwar hatte der Noch-Premier versprochen, das Eintrittsalter wie in Deutschland auf 67 Jahre zu erhöhen, doch vor allem Berlusconis Koalitionspartner Lega Nord weigerte sich. Gleichzeitig wird das Rentensystem immer teurer. Die junge Generation, das ist schon jetzt klar, wird privat vorsorgen müssen.

Reformen für die Politik!

Italien krankt nicht nur an einem gewaltigen Haushaltsdefizit und geringen Wirtschaftswachstum, sondern auch an dem vielleicht schwächsten politischen System aller EU-Staaten und einer verkommenen politischen Kultur. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat Italien durchschnittlich jedes Jahr eine neue Regierung bekommen. Wenn man Berlusconi etwas zugutehalten möchte, dann die Leistung, dass er etwas Kontinuität in die italienische Politik gebracht hat. Kein Regierungschef war so lange an der Macht wie er.

Berlusconis Aufstieg begann 1994 mit der Implosion des alten italienischen Parteiensystems. Damals kam bei den als mani pulite (saubere Hände) bekannt gewordenen Ermittlungen ans Licht, wie Korruption, Amtsmissbrauch und illegale Parteifinanzierung das politische System Italiens zerfressen hatten. Bis heute ist keiner Regierung gelungen, die Folgen dieser Krise in den Griff zu bekommen: eine zersplitterte politische Landschaft ohne gewachsene Struktur und Kultur.

Eine Wahlrechtsreform führte ebenso wenig zu Verbesserungen wie Berlusconis Versuch, die in Dutzende Gruppierungen zersplitterte Parteienlandschaft in ein bipolares System zu überführen. Er scheiterte an einer alten Krankheit: Voltagabbana. So nennen Italiener Überläufer, die ihre Karriere über das Gemeinwohl stellen. In der aktuellen Legislaturperiode haben 163 Parlamentarier die Fronten gewechselt - eine Rekordzahl, die zu einer verwirrenden Vielzahl politischer Formationen führt. Die Anzahl der im Parlament vertretenen Parteien stieg derweil von fünf auf 27.

Viele Italiener haben deshalb längst den Glauben an die Politik verloren. Noch verstärkt wird das Misstrauen durch in Europa einzigartige Privilegien für Politiker. Sie verdienen überdurchschnittlich viel, arbeiten überdurchschnittlich wenig, gehen dafür umsonst ins Theater und ins Fußballstadion, fliegen umsonst mit Alitalia oder fahren einen der knapp hundertausend Dienstwagen, die sich die italienischen Behörden genehmigen. Eine echte Reform wäre wohl nur von einer aus Technokraten bestehenden Regierung (etwa unter Führung von Mario Monti, dem früheren EU-Kommissar) durchzusetzen; Berlusconis Zögling Angelino Alfano hat wohl andere Prioritäten.

Vorfahrt für den Süden!

Palermo Italien

Palermo, die Hauptstadt Siziliens, war einst eine der wichtigsten und reichsten Städte der Erde. Heute sieht es hier an manchen Ecken aus wie in einer Geisterstadt.

(Foto: Marcel Burkhardt)

Wer glaubt, dass Ostdeutschland 22 Jahre nach der Wende noch viel zu weit hinter dem Westen liegt, der findet bitteren Trost in Italien. Obwohl das Land im vergangenen Jahrhundert politisch nie geteilt war, existiert zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden eine Kluft, die trotz jahrzehntelanger Transferzahlungen nicht kleiner wird.

Während Dresden in neuem Glanz erstrahlt, erinnert Palermo an manchen Ecken an eine Stadt nach dem Krieg. Während der Osten Deutschlands dank Milliardeninvestitionen vielerorts über eine bessere Infrastruktur verfügt als der Westen, holpern in Süditalien, dem Mezzogiorno, alte Fiats über nie fertiggestellte und schon wieder verfallende Autobahnen. Während die Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsleistung in Ostdeutschland langsam aber sicher das Niveau mancher Regionen in Westdeutschland erreicht, hängt der Norden den Süden Italiens immer weiter ab. Armut, Schattenwirtschaft, vielerorts nach wie vor mafiöse Strukturen und eine hoffnungslose Jugend, die Arbeit im Norden sucht, prägen den Mezzogiorno.

Berlusconi hat die Südfrage zwar zwischenzeitlich zur Chefsache erklärt und neue Gelder bewilligt. Geholfen hat das aber wenig. Das liegt zum Teil am großen Einfluss von Berlusconis Koalitionspartner, der Lega Nord, die zeitweilig sogar für eine Abspaltung des Nordens vom Süden geworben hat. Doch wenn der für Bürokratieabbau zuständige Lega-Nord-Minister Roberto Calderoli klagt, das Grundproblem im Süden sei nicht der Mangel an Geld, sondern die schlechte politische Führung, dann weist das in die richtige Richtung.

Gerade angesichts der angespannten Haushaltslage kann die Lösung für das Mezzogiorno-Problem nicht ein warmer Geldregen sein. Experten fordern schon lange eine intelligentere Förderpolitik.

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