Premier kämpft um die Macht:Russlands Putinismus steht vor dem Ende

Es ist nicht Wladimir Putins erster Wahlkampf, aber der erste, der den Namen auch verdient. Das Fundament, auf dem seine Macht gebaut ist, erodiert. Zum Präsidenten wird der derzeitige Premier wohl noch einmal gewählt, aber das russische Volk drängt auf einen Umbruch - hin zu Demokratie und einer westlichen politischen Kultur. Putin hat bisher nicht den Eindruck gemacht, dafür bereit zu sein: Russland steht vor unruhigen Zeiten.

Frank Nienhuysen

Die Kirche steht ihm jetzt bei. Drei Wochen vor der Präsidentenwahl hat der einflussreiche russische Patriarch das bisherige Wirken von Wladimir Putin ein Wunder Gottes genannt. Der kirchliche Zuspruch ist indes kein Wunder, vielmehr Ergebnis eines taktischen Bündnisses zwischen Staat und Orthodoxie: Kirill lobt Putin und appelliert an die Oppositionsanhänger, doch lieber im Stillen zu beten anstatt auf den Straßen zu protestieren.

Premier kämpft um die Macht: Wird wohl noch einmal wiedergewählt: Russlands derzeitiger Premier und baldiger Präsident Wladimir Putin.

Wird wohl noch einmal wiedergewählt: Russlands derzeitiger Premier und baldiger Präsident Wladimir Putin.

(Foto: AFP)

Putin wirbt im Gegenzug für einen eigenen Kirchensender und lässt in der Schule Religionsunterricht einführen. Der Ministerpräsident tut viel dafür, dass nach der Abstimmung Anfang März das Wunder Gottes noch einmal sechs Jahre lang wirken möge.

Es ist dies nicht Putins erster Wahlkampf, aber es ist der erste, in dem er wirklich kämpfen muss. Als Premier betreibt er eine Politik der Beschwichtigung. Aber kommt nicht auf den Gedanken, das Amt im Wahlkampf abzugeben, wie es der politische Anstand und das Gesetz gebieten würden. Also nimmt der Premier pro forma einen Tag Urlaub, wenn er in der Kampagne agitiert.

Grenzwertige Bauernschläue, taktischer Populismus und Kontrollsucht auch anderswo: Putin verkürzt die unbeliebten Januar-Feiertage und verlängert dafür die begehrten freien Tage im Mai; er will die umstrittene Dauersommerzeit wieder abschaffen und nimmt privilegierten Autofahrern das Recht auf das eigene Blaulicht. Er verspricht mehr Demokratie und weniger Korruption.

Putin versucht sich mit dem eigenen Volk zu versöhnen, von dem er sich zuletzt immer weiter entfernt hat. Und so wird dieser Tage ein neuer, sehr eigentümlicher Zug sichtbar: Seit zwölf Jahren verkörpert Putin wie kein anderer die Macht in Russland, jetzt muss er zum ersten Mal zugleich auch sein eigener Oppositionsführer sein.

Populismus ist in allen Ländern fester Bestandteil des Wahlkampfes, in Russland aber geht es in diesen entscheidenden Wochen um mehr. Es geht auch um das politische System des Landes, um das Machtgefüge Putins. Der Premier, der wieder Präsident werden will, hat in seiner langen Ära eine Art politisches Imperium geschaffen, das auf Kontrolle durch Moskau basiert.

Die Gesellschaft erwacht

Wichtige Freunde des Regierungschefs arbeiten in den Schlüsselunternehmen des Landes, die Gouverneure in den Regionen werden bisher handverlesen, die wichtigsten Medien stehen unter dem Einfluss des Staates, Parteien und auch die Justiz spüren die Fesseln der Macht.

Kein Interessse an Machtverlust

Der Kreml hat ein Geflecht aus Abhängigkeiten geschaffen, und dafür Loyalität erhalten. Wenn Michail Gorbatschow also Putin nun vorhält, dieser sei weder fähig noch willens, das politische System zu reformieren, dann liegt er nicht falsch. Putin hat kein Interesse am Machtverlust.

Die Welle der Massendemonstrationen hat Russland berührt, wenngleich bisher noch nicht wirklich erfasst oder gar mitgerissen. Moskau ist das Zentrum, anderswo in den Millionenstädten Nowosibirsk, Jekaterinburg oder Nischnij Nowgorod halten sich die Proteste noch in Grenzen. Und doch ist die russische Gesellschaft erwacht, und Putin muss darauf reagieren.

So will er die Gouverneure wieder wählen lassen oder die Registrierung von Parteien erleichtern - Zugeständnisse, aber dennoch kaum mehr als Almosen. Zeichen eines neuen Kurses lassen sich nicht erkennen, wohl aber Kalkül. Putin will sein System erhalten, so gut es noch eben geht.

Es ist ja seltsam: Nicht einmal Putins Gegner zweifeln ernsthaft daran, dass der Premier diese Präsidentenwahl gewinnen wird. Und vermutlich wird Russland diesmal sogar die fairsten Wahlen seit vielen Jahren erleben. Schafft er es nicht im ersten Durchgang, dann eben im zweiten. Doch das Fundament, auf dem diese Macht gebaut ist, erodiert, wird immer kleiner. Putin hat seinen Nimbus als nationaler Führer verloren. Die sonst so apathische Bevölkerung kündigt die Gefolgschaft.

Vor ein paar Jahren gab es bereits Renegaten des Putinismus. Damals aber waren der frühere Ministerpräsident Michail Kasjanow oder der junge Präsidentenberater Andrej Illarionow noch Einzelfiguren. Nun rebellieren nicht mehr nur Teile der Moskauer Mittelschicht.

Der Widerstand rückt auch zum Kern der Macht vor. Putins Freund, der langjährige Finanzminister Alexej Kudrin, dringt auf ein Ende der bisherigen Verhältnisse. Bekennende Putin-Anhänger in der Provinz raunen, dass doch jeder in diesem Land Veränderungen wolle. Es gilt also auch in Russland der Satz, den Goethe sprach: Begeisterung ist keine Ware, die man einpökelt für viele Jahre.

Ein System der Loyalität

Für Putin ist dieser Trend gefährlich. Sein System lebt davon, dass Loyalitäten funktionieren, dass sein Wort umumstößlich ist. Im Inneren, wie im Ausland. Die Menschen aber reagieren abgestoßen vom autoritären System, das so wenig Widerspruch erlaubt.

Demokratie ist der Schlüsselbegriff im Wahlkampf

Die Mühsal der Demokratie wirkt geradezu anziehend in einem Land, in dem die Meinung des Premiers flugs in ein Gesetz gegossen oder zur offiziellen Staatsraison erklärt wird. Die Russen - auch wenn sie es so nicht ausdrücken - drängen auf eine westliche politische Kultur. Sie wollen offene Debatten, Koalitionen, einen Wettbewerb in der Wirtschaft, aber auch bei den Meinungen. Dieses Bedürfnis aber wird von der herrschenden Elite nicht geteilt.

Russlands Politik ist in einem strengen Sinn konservativ, das hat außenpolitisch nicht zuletzt das Beispiel Syrien gezeigt. Zugunsten alter Bündnisse und wirtschaftlicher Pfründe setzt Moskau auf ein rücksichtsloses Regime und läuft dabei Gefahr, genau das Gegenteil von dem zu bewirken, was es eigentlich will: Es stärkt nicht seinen Einfluss, es verliert ihn.

Das Beispiel Syrien ist symptomatisch auch für den inneren Diskurs: Man könnte über eine sinnvolle Nahost-Politik reden - nur ist niemand in Russland für diese Auseinandersetzung geschult. Ob Syrien oder die Raketenabwehr: Das außenpolitische Menü auch in den Medien ist karg und ohne Widersprüche.

Autoritäre Systeme haben es schwer in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Das repressive Weißrussland setzt Geld aus Russland ein, um den Unmut zu deckeln. In Kasachstan gab es Tote, als ein Aufruhr von Ölarbeitern niedergeschlagen wurde. Und auch in Russland ist der Geist des Widerspruchs aus der Flasche. Das enttäuschte Volk begehrt auf, die Angst lässt nach, die Medien nehmen sich mehr Freiheiten.

Demokratie ist kein verhöhntes Wort mehr wie zu Jelzins Zeiten, sondern fast schon der Schlüsselbegriff im Wahlkampf. Zur Demokratie gehören Freiheit, fairer politischer Wettstreit und die Chance auf einen Machtwechsel. Putin hat bisher nicht den Eindruck gemacht, dass er zu dieser Demokratie wirklich bereit ist. Deswegen steht Russland vor unruhigen Zeiten. Zurück ins Präsidentenamt wird er es wohl noch einmal schaffen. Aber die Zeit des Putinismus läuft aus.

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