Prantls Blick:Wenn Hoffnung zum wichtigsten Wort wird

Vor der Nationalratswahl in Österreich

Grüßt vor der Nationalratswahl in Österreich vom Wahlplakat: Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ)

(Foto: dpa)

Am kommenden Sonntag wird wieder gewählt - der Nationalrat in Österreich, der Landtag in Niedersachsen. Wieder fragt man sich, welchen Erfolg die Rechtspopulisten einfahren werden. Die Sprache der Zuversicht sollte man dennoch nicht verlernen.

Politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion und Ressortleiter Innenpolitik der SZ, mit einem Thema, das in der kommenden Woche relevant ist. Hier können Sie "Prantls Blick" auch als wöchentlichen Newsletter bestellen - exklusiv mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.

Das Schönste an Österreich sind die Berge, das Burgtheater und die Wahllokale, die dort nach dem Gesetz schon um Mitternacht öffnen dürfen; etliche tun das in der Tat schon um sechs Uhr morgens, andere um sieben Uhr, am kommenden Sonntag wieder, bei den Nationalratswahlen. "Da musst Du früher aufstehen!" Österreich hat diesen Satz (den Leute, die es zu etwas gebracht haben, gern zu Leuten sagen, die es zu etwas bringen wollen) auf vorbildliche Weise verwirklicht - jedenfalls an Wahltagen. In Niedersachsen öffnen die Wahllokale auch am nächsten Sonntag für die Landtagswahl erst um acht Uhr und nicht früher. Obwohl Morgenstund angeblich Gold im Mund hat, kommt es in Österreich schon seit Jahrzehnten zu Wahlergebnissen, wie sie sich in Deutschland erst seit dem 24. September 2017 anpirschen.

Vor bald 18 Jahren hat die EU Sanktionen gegen Österreich verhängt, als sich die konservative ÖVP-Regierung von Wolfgang Schüssel von Jörg Haider und seiner halbbraunen, rassistischen und fremdenfeindlichen FPÖ stützen ließ. Diese Sanktionen, die seinerzeit ganz Europa in Aufruhr versetzten, waren eine symbolträchtige politische Kinderei, eine Kraftmeierei ohne Kraft, aber mit Inbrunst.

Ich gebe zu, dass mir die EU-Intervention damals trotzdem nicht unsympathisch war. Das entsprang einem Gefühl, wie ich es selbst oft hatte, wenn ich durch Kärnten gefahren bin: So viel Dummheit in einem Land von solcher Schönheit! Da hätte ich bei jedem unsäglichen Anti-Ausländerplakat anhalten, die gehässigen Sprüche zerreißen und in den Müll werfen wollen. Aber man darf sich ja auch nicht aus ehrlicher Empörung dazu hinreißen lassen, den politischen Stil von Extremisten zu kopieren.

Jedenfalls wird am kommenden Sonntag in Österreich wieder einmal gewählt - und der aktuelle Wahlkampf dort hat mich an den erinnert, den einst Haider geführt hat. Gemäßigt hat sich nichts in den vergangenen zwanzig Jahren; der Rassismus und der Nationalismus, der damals noch Aufregung verursacht hat, ist Alltag geworden, nicht nur in Österreich. In Österreich hat (nicht nur) die ÖVP die Politik der FPÖ aufgesaugt. Vielleicht bringt ihr das den Wahlsieg. Wird es der Partei und dem schönen Land Österreich bekommen?

Der Reichtum des vereinten Europa

Kurz vor seinem Tod im Jahr 2004 habe ich den alten und weisen Wiener Altkardinal Franz König interviewt. Ich habe ihn gefragt, wie man denn in Europa mit dem Islam umgehen solle. Und dieser kluge alte Kirchenmann hat gesagt: "Wir müssen miteinander leben lernen, nicht nebeneinander." Schon damals wurde in österreichischen Wahlkämpfen sehr giftig gegen Ausländer und gegen den Islam gehetzt. Und dann sagte dieser alte Mann etwas Europäisch-Programmatisches: "Wir haben so viele verschiedene Kulturen auf heimatlichem Boden. Dieser Reichtum darf nicht nivelliert werden; er muss das vereinte Europa prägen."

Genau so ist es. Der Reichtum der Sprachen, der Kulturen, der Traditionen, der Religionen - er muss hineingenommen werden in unser Österreich, in unser Deutschland und in unsere Europäische Union. Aber man hat den Eindruck, dass man heute von diesem Ideal noch viel weiter weg ist als damals. Europa erlebt einen politischen Backlash - in Polen und Ungarn ist der besonders heftig. Aber die anderen EU-Länder müssen nicht protzen. Viele Wahlen sind zu Zitterwahlen geworden; und man fragt sich, ob sich die Rechtsaußen-Parteien, die verharmlosend Rechtspopulisten genannt werden, noch immer weiter vorfressen können.

Wenn die Zukunft vor einem wegläuft

Wir leben in einer Zeit der negativen Renaissance, einer Zeit der Wiedergeburt von alten Wahnideen und Idiotien. Man liest nachdenklich den Satz, den Franz Grillparzer 1849 geschrieben hat: "Von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität." Und man ahnt und weiß, dass die Humanität wieder bedroht ist, massiv wie schon Jahrzehnte nicht mehr. Sie ist bedroht von gemeiner Rede und gemeiner Tat, von der Lust an politischer Grobheit, Flegelei und Unverschämtheit, von der Verhöhnung von Anstand und Diplomatie, sie ist bedroht von einer oft sehr rabiaten Missachtung des Respekts, der jedem Menschen zusteht, dem einheimischen Arbeitslosen, dem Flüchtling wie dem politischen Gegner. Diese Bedrohung ist da - aber sie ist nicht schicksalshaft, man kann etwas dagegen tun.

Gewiss: Man kann die Leiden der Zeit in allen Facetten beschreiben. Man kann die eigene Zukunftslosigkeit so finster beschreiben, dass die Zukunft vor einem wegläuft. Man kann die Leiden der Zeit in allen Facetten beschreiben und die Indizien des drohenden Untergangs ausmalen. "Greueln" nannte Sebastian Haffner solches Schwelgen in den Furchtbarkeiten der Zeit; er beschrieb es als einen masochistischen und moralischen Selbstmord. Das Greueln fällt in den Zeiten, in denen die Welt an den Trumps und den Erdoğans krankt, nicht besonders schwer; wir leben in einer Zeit, in der an die Stelle des Glaubens an den Fortschritt der Aufklärung das Gefühl fortschreitender existentieller Unsicherheit tritt.

Wenn man jede Hoffnung fahren läßt, wird die Welt zur Hölle

Aber selbst wenn es keinen Anlass zum Hoffen gibt, gibt es doch einen Grund dazu: Da, wo man jede Hoffnung fahren lässt, wird die Welt zur Hölle. "Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren", steht, so schreibt Dante, in dunkler Farbe auf der Pforte zur Hölle. Hoffnung lässt die Welt nicht zum Teufel gehen. Das ist kein Plädoyer dafür, das Schlechte schön zu reden, und auch nicht dafür, große Probleme zu bagatellisieren. Die Kraft der Hoffnung steckt nicht im billigen, nicht im blinden Optimismus. Die Kraft der Hoffnung verweigert dem Unglück und dem Unheil den totalen Zugriff. Man darf die Sprache der Rettung und der Zuversicht nicht verlernen, auch wenn man sie manchmal nur noch unter Seufzen und Stöhnen aussprechen kann.

Wie geht so ein Hoffen? Muss man sich selber einen Vor-Schuss an Optimismus spritzen, bevor man anfängt, etwas zu tun - muss man sich selbst die Gewissheit injizieren, dass es etwas bringen wird? So ist es nicht. Hoffnung fängt schlicht mit dem eigenen Tun an. Vaclav Havel, als Dissident immer wieder inhaftiert und später erster Staatspräsident der Tschechischen Republik, hat es so formuliert: "Je ungünstiger die Situation ist, in der wir unsere Hoffnung bewähren, desto tiefer ist diese Hoffnung. Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht. Sondern Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht." Hoffnung beginnt damit, dass man sich ans Werk macht, einfach weil es wahr ist, einfach weil es ein Muss ist, dem man nicht widerstehen kann, auch wenn man auf verlorenem Posten steht. Der Hoffende gleicht dem Professor MacHugh aus James Joyce' Ulysses. "Wir sind immer der verlorenen Sache treu gewesen, sagte der Professor. Erfolg bedeutet für uns den Tod von Intellekt und Phantasie."

Das wichtigste Wort in schwierigen Zeiten

Was tut man als Journalist, um die Hoffnung nicht aufzugeben? Man schreibt. Ich habe also ein Buch über die Hoffnung geschrieben, es ist soeben erschienen. Es heißt: "Die Kraft der Hoffnung. Denkanstöße in schwierigen Zeiten." Womöglich treffen wir uns in der kommenden Woche auf der Buchmesse in Frankfurt; dort werde ich es vorstellen.

Hoffnung ist vielleicht das wichtigste Wort in schwierigen Zeiten - ob es sich nun um persönlich oder um politisch schwierige Zeiten handelt. Hoffnung kann die Kraft geben, über den eigenen Schatten zu springen. Glaube kann Berge versetzen. Aber wenn es nicht gut ausgeht? Wenn es kein Happy End gibt? Wenn eine Krankheit zum Tode führt? War dann die Hoffnung umsonst?

Das Leben ist kein Hollywoodfilm. Es gibt das Scheitern der besten Sache; und es gibt den unaufhaltsamen Fortgang eines Unheils aller Hoffnung zum Trotz. Dennoch: Soll der inhaftierte Kollege in Erdoğans Gefängnis aufhören zu hoffen, irgendwann frei zu kommen? Soll ein Bewohner der elenden Flüchtlingslager aufhören zu hoffen, irgendwann ein Zuhause zu finden? Sollte der Schwerkranke aufhören zu hoffen, Heilung zu erlangen? War die Hoffnung dann dummes Zeug, wenn er nicht frei kommt, wenn er kein Zuhause findet, seinen Lebtag keinen Frieden sieht, am Ende doch stirbt? Kaum eine Hoffnung ist je umsonst. Ein Hoffen, das nicht die Augen verschließt vor der Wirklichkeit wie sie ist, hat Wert und Würde jenseits des Erfolgs. Hoffnung hilft, die Dinge nicht nur zu ertragen, sondern zu tragen, auch die eigentlich unerträglichen.

Semiya Simsek, die Tochter des Blumenhändlers, den die rechtsextreme NSU-Terrorbande erschossen hat, sagte einmal in einem Interview, sie habe sich all die Jahre gewünscht, "einfach den Tätern gegenüber sitzen und in die Augen blicken zu können". Das schien eine verrückte Hoffnung; sie war nicht verrückt. Sie hat ihr vielleicht geholfen, nicht verrückt zu werden. Ich wünsche uns in der kommenden Woche, dass wir in unseren kleinen und auch in den großen Dingen Hoffnung haben können.

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