Präsidium des Bundestags:Wahlkreispflege mit Parteimillionen

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Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) im Plenarsaal des Bundestages (Foto: Rainer Jensen/dpa)

Bußen in Millionenhöhe mussten die Parteien in den vergangenen Jahren zahlen, weil sie Spenden falsch verbucht hatten. An welche soziale Einrichtungen dieses Geld weitergeleitet wird, entscheiden die Mitglieder des Bundestags-Präsidiums. Es landet auffällig oft in ihren eigenen Wahlkreisen.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Die Gesellschaft Bochum-Donezk e. V. durfte sich über 10.000 Euro freuen, die Justus-Liebig-Universität Gießen über 40.000 Euro, und an die Evangelische Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord gingen im vergangenen Jahr 108.330,38 Euro. Die Gaben kamen vom Präsidium des Deutschen Bundestags, in dem unter dem Präsidenten Norbert Lammert (CDU) neben anderen die Vizepräsidenten Hermann Otto Solms (FDP) und Wolfgang Thierse (SPD) sitzen.

Lammert hat seinen Wahlkreis in Bochum, Solms seinen Wahlkreis in Gießen, und wo kämpfte Thierse bislang um Wählerstimmen? In Berlin-Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee. Die Evangelische Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord liegt genauso in seinem Wahlkreis wie die Justus-Liebig-Universität in dem von Solms und der Sitz der Gesellschaft Bochum-Donezk in dem von Lammert. Klingt auffällig? Ist es auch.

Jedes Jahr aufs Neue darf das Präsidium des Bundestags ein kleines Füllhorn ausschütten. Dabei geht alles nach Recht und Gesetz zu: In Paragraf 31c des Parteiengesetzes ist geregelt, dass Parteien, die rechtswidrig Spenden erlangen, eine Strafe "in Höhe des Dreifachen des rechtswidrig erlangten Betrages" zu zahlen haben. Hat eine Partei Spenden nicht wie vorgeschrieben im Rechenschaftsbericht veröffentlicht, beträgt die Strafzahlung das Zweifache des nicht vorschriftsgemäß veröffentlichten Betrags.

Aber wohin fließt das Geld dann? Laut Gesetz leitet es der Bundestagspräsident "im Einvernehmen mit dem Präsidium" an "Einrichtungen weiter, die mildtätigen, kirchlichen, religiösen oder wissenschaftlichen Zwecken dienen". Und da wird es dann, wie immer, wenn es Geld zu verteilen gibt, interessant.

Naturgemäß variieren die Summen stark - je nachdem, wie viel die Parteien sich im jeweiligen Jahr haben zuschulden kommen lassen. Nach einer Aufstellung des Bundestags kamen 2010 etwa 1,2 Millionen Euro zusammen, während aus dem Jahr 2011 knapp 390.000 Euro und aus 2009 lediglich gut 135.000 Euro zu verteilen waren (die Summen für 2012 sollen erst demnächst veröffentlicht werden). Doch auch mit vergleichsweise niedrigen Summen lassen sich angesichts der Geldsorgen vieler wohltätiger Einrichtungen einige Menschen glücklich machen. Und was sollte daran problematisch sein, schließlich geht es um gemeinnützige Zwecke?

Problematisch ist, dass die Parteien zum Teil öffentlich finanziert werden, dass es also um teilweise öffentliches Geld geht - und dass dieses Geld von einem Gremium verteilt wird, in dem nur sechs Mitglieder sitzen. Die aber wollen zumeist wiedergewählt werden. Da liegt der Verdacht nahe, dass es bei der einen oder anderen Gabe um Wahlkreispflege gehen könnte.

Auffällig ist etwa, wie viele Einrichtungen zuletzt in Gießen bedacht wurden, der Heimat des liberalen Abgeordneten Solms. Über Geld aus dem Jahr 2009 durften sich dort ein Verein von Eltern herzkranker Kinder (11.300 Euro) und ein Verein zur Förderung der mathematischen Sammlung des Mathematischen Instituts der Justus-Liebig-Universität (11.300 Euro) freuen. Aus dem Topf des Jahres 2010 flossen 12.000 Euro an die Justus Liebig-Gesellschaft und 12.000 Euro an das Evangelische Dekanat Gießen. Und dann waren da noch jene 40.000 Euro, die im vorigen Jahr an die Justus-Liebig-Universität gingen.

Solms tritt (wie auch Thierse) nicht wieder an, aber das ist erst seit Ende 2012 klar. Damals verpasste er Platz eins der Landesliste und entschied sich für den Rückzug. Auf Anfrage teilt er mit: "Zu allen von Ihnen genannten Einrichtungen bestehen keine geschäftlichen, offiziellen oder anders gearteten förmlichen Beziehungen." Stattdessen hätten sich die "Spendenempfehlungen" auf "Empfänger gerichtet, bei denen ich, auch wegen der räumlichen Nähe, die zweckmäßige Verwendung der Spenden jederzeit überprüfen konnte".

Tatsächlich muss es ja nicht schlecht sein, wenn jemand weiß, an wen genau da gespendet wird. Auf der anderen Seite ist die Frage, was eigentlich mit all den wohltätigen Einrichtungen ist, die nicht zufällig im Wahlkreis oder auch nur Bundesland eines Präsidiumsmitglieds liegen? Spenden, die etwa nach Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein oder Baden-Württemberg flossen, lassen sich jedenfalls für die vergangenen drei Jahre kaum einmal finden.

Innerhalb des Präsidiums wird nach einem bestimmten System verfahren. So kann jedes Mitglied eigene Vorschläge machen. Genauso gibt es aber Einrichtungen, die gemeinschaftlich benannt werden. Darunter fällt nach übereinstimmenden Schilderungen aus dem Präsidium auch die Kirchengemeinde im Wahlkreis von Thierse - schließlich liegt dort die für die friedliche Revolution in der DDR sehr bedeutende Gethsemanekirche. Hier ging es also eher nicht um Wahlkreispflege.

Was aber ist mit den "Grünhelmen", die vor einiger Zeit mit knapp 370.000 Euro bedacht wurden, und mit der Freya-von-Moltke-Stiftung, an die 13.000 Euro gingen? In beiden Einrichtungen sitzt Thierse im Kuratorium. Sie seien "überregional und grenzüberschreitend tätig und arbeiten unabhängig", lässt er ausrichten. Zudem habe er in den meisten Fällen Einrichtungen vorgeschlagen, die außerhalb seines Wahlkreises lägen und deren Gremien er nicht angehöre. "Allerdings sollte es auch keine Verbote in diese Richtung geben."

Bußgelder sollten in den Bundeshaushalt

Aber vielleicht ein anderes System? Im Fall der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) jedenfalls wird man aufgrund ihres Amtes als Synodenpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland (das sie derzeit wegen ihrer Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl ruhen lässt) bei so ziemlich jeder Spende an eine evangelische Einrichtung misstrauisch. Das gilt erst recht, wenn die sich, wie die Diakonie Mitteldeutschland (14.000 Euro) oder das Diakoniewerk Gotha (20.000 Euro) auch noch mit ihrer Thüringer Heimat in Verbindung bringen lässt. Auf Anfrage legt sie Wert darauf, dass sie zuletzt ausschließlich "Roma-Sinti-Projekte in NRW vorgeschlagen" habe. Dann bringt sie eine Reform ins Spiel: "Ich finde es nicht gut, die Bußgelder so auf Projekte zu verteilen, aber das Parteiengesetz schreibt es so vor. Das Geld gehört in den Bundeshaushalt."

Ganz wohl ist ihr bei der Sache also nicht - zu offensichtlich ist, dass die Verteilmethode auch den Mitgliedern des Präsidiums nützt. Mit ihrem Unbehagen ist sie nicht allein. Parlamentspräsident Lammert hat schon häufiger deutlich gemacht, dass er es für unpassend hält, als politisch nicht neutrale Person die Strafzahlungen für die Parteien festzusetzen. Nun sagt er: "Auch für die Verteilung der Bußgelder an gemeinnützige Organisationen sehe ich keine Notwendigkeit. Sie gehören in den Bundeshaushalt, schließlich erhalten die Parteien einen beachtlichen Teil ihrer Finanzierung aus öffentlichen Mitteln."

Er nehme "selbstverständlich die Verpflichtungen aus dem geltenden Parteiengesetz wahr", werbe aber "seit Jahren für eine andere Regelung". Für die gebe es nur bislang "keine Zustimmung bei den Bundestagsfraktionen". Dabei sollten sich Mitstreiter doch finden lassen. Vielleicht Eduard Oswald (CSU), Wahlkreis Augsburg-Land. Seit März 2011 ist er Vizepräsident. Und gleich im vergangenen Jahr konnten sich zwei Einrichtungen in der Diözese Augsburg über jeweils 15.000 Euro freuen.

© SZ vom 17.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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