Präsidentschaftswahlkampf:Zerreißprobe für Frankreichs Sozialisten

32-Stunden-Woche und Grundeinkommen: Vorwahl-Sieger Hamon will einen Linksruck und geht als Favorit in den Stichentscheid. Sein Rivale Valls vom rechten Flügel sieht die Partei in Gefahr

Von Stefan Ulrich und Christian Wernicke, Paris/München

Die regierenden Sozialisten in Frankreich stehen vor einem scharfen Linksruck, der bald zur Spaltung der Partei führen könnte. Ihr Präsidentschaftskandidat Manuel Valls sagte nach der ersten Runde der Vorwahlen am Sonntag, die Anhänger des Parti Socialiste hätten nun die Wahl zwischen "weder umsetzbaren noch finanzierbaren Versprechungen" und einer "glaubwürdigen Linken, die Verantwortung übernimmt". Auf dem Spiel stehe nicht nur das Überleben der Sozialistischen Partei, sondern auch das der ganzen französischen Linken.

Der zum rechten, wirtschaftsfreundlichen Flügel der Sozialisten zählende Valls war im Dezember vom Amt des französischen Premiers zurückgetreten um sich dem Präsidentschaftswahlkampf zu widmen. Er kam bei der Vorwahl seiner Partei mit 31 Prozent der Stimmen jedoch nur auf den zweiten Platz. Überraschungssieger wurde mit 36 Prozent der frühere Bildungsminister Benoît Hamon, der der Parteilinken angehört. Hamon geht jetzt als klarer Favorit in die Stichwahl gegen Valls am kommenden Sonntag. Der mit 18 Prozent Drittplatzierte der Vorwahl, Arnaud Montebourg, forderte seine Anhänger auf, nun für Hamon zu stimmen. Auch andere einflussreiche Sozialisten wie die frühere Parteichefin Martine Aubry sprachen sich für Hamon aus. Diesem werden bei der Präsidentschaftswahl im Frühjahr jedoch kaum Chancen eingeräumt.

Hamon macht mit einem dezidiert linken Programm Wahlkampf. Er will die Arbeitsmarktreformen von Noch-Präsident François Hollande und Valls wieder rückgängig machen, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Franzosen und eine 32-Stunden-Arbeitswoche einführen, den Cannabis-Konsum legalisieren und gegen die Sparpolitik in Europa vorgehen. Nach seinem Sieg bei der ersten Runde der Vorwahl sagte er: "Mein Ergebnis zeigt, dass die Linke ein neues Kapitel aufschlagen möchte." Dies sei eine "Botschaft der Hoffnung und der Erneuerung".

Französische Kommentatoren erwarten, dass etliche Parteifreunde von Hollande und Valls sowie viele sozialdemokratisch orientierte Wähler einem Kandidaten Hamon bei der Präsidentschaftswahl die Gefolgschaft verweigern werden. Dies könnte zum Zerfall der seit 2012 regierenden Sozialisten in zwei oder mehr Gruppen führen. Profitieren könnte davon der sozialliberale Politiker Emmanuel Macron, der sich als unabhängiger Kandidat um die Präsidentschaft bewirbt und sozialdemokratische Wähler anziehen könnte.

Der Ausgang der Präsidentschaftswahl wird auch für die Zukunft der EU wichtig sein. Macron will an der Seite Deutschlands für mehr Europa kämpfen, die in Umfragen für den ersten Wahlgang führende Marine Le Pen vom Front National möchte ihr Land hingegen aus dem Euro und der EU führen. Der Kandidat der Konservativen, Ex-Premier François Fillon, betont zwar nationale Positionen, setzt sich aber dafür ein, das europäische Projekt wiederzubeleben. Er traf sich am Montag in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), um über das deutsch-französische Verhältnis zu sprechen.

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