Präsidentschaftswahlen in Taiwan:Mit Sicherheit in die Unsicherheit

So spannend wie bedeutend: Bei den Präsidentschaftswahlen in Taiwan liefern sich zwei Kandidaten ein äußerst knappes Rennen. Was die problematischen Beziehungen zur Volksrepublik China angeht, haben sie völlig unterschiedliche Ansichten. Die Wahl entscheidet über die Sicherheit einer ganzen Region. Alles hängt davon ab, wie mutig die Jugend an diesem Samstag ihre Entscheidung trifft.

Jasmin Off

16 Stunden Flug liegen vor Patricia Hung. 16 Stunden voller Nervosität und dann noch ein paar Stunden mehr, bis sie weiß, ob sich der weite Weg gelohnt hat. Die gebürtige Taiwanesin lebt seit etlichen Jahren in Deutschland. Jetzt ist sie auf dem Weg in die Heimat, um am Samstag bei der Präsidentschaftswahl ihre Stimme abzugeben: "Es wird sehr, sehr spannend werden", erzählt die 30-Jährige, "da will ich natürlich unbedingt dabei sein." In Deutschland rufen politische Wahlen bei jungen Menschen nur selten solche Vorfreude hervor, doch in Taiwan ist das anders. Nicht nur Hung ist in diesen Tagen unterwegs. Die Flüge waren überbucht, aus allen Ecken der Welt reisen die Exil-Taiwanesen für den großen Tag nach Hause.

Präsidentschaftswahlen in Taiwan: Der taiwanesische Präsident Ma Ying Jeou - hier von einem Anhänger als Puppe dargestellt - hofft bei der Präsidentschaftswahl wiedergewählt zu werden. Mit Kandidatin Tsai Ing Wen liefert er sich bislang ein knappes Rennen.

Der taiwanesische Präsident Ma Ying Jeou - hier von einem Anhänger als Puppe dargestellt - hofft bei der Präsidentschaftswahl wiedergewählt zu werden. Mit Kandidatin Tsai Ing Wen liefert er sich bislang ein knappes Rennen.

(Foto: AFP)

Die Wahl in der Republik China - so der offizielle Name - ist die fünfte demokratische Wahl seit ihrer Gründung. Und eine bedeutende: "Die Wahl bestimmt über die künftigen Beziehungen zur Volksrepublik China und damit über die Sicherheit ganz Asiens, deshalb ist sie von globaler Dimension", sagt der taiwanesische Politikwissenschaftler Dr. Mon.

Seit Jahrzehnten sorgt der unklare Status Taiwans für Konfliktpotenzial. Das Land schwankt zwischen Wiedervereinigung mit China und Unabhängigkeit. Auch die Kandidaten, die am Samstag zur Wahl stehen, haben sich in der "Taiwanfrage" positioniert. Und zwar unterschiedlich.

Der amtierende Präsident Ma Ying Jeou und die Regierungspartei KMT treten für eine gemäßigte Annäherungspolitik zum Festland ein. Seit der 61-Jährige vor vier Jahren gewählt wurde, sind die Beziehungen zu China so entspannt wie selten. Konkurrentin Tsai Ing Wen von der Oppositionspartei DPP ("Democratic Progressive Party") dagegen setzt auf Provokation. Sie will Taiwan einen größeren Freiraum verschaffen und sparte im Wahlkampf nicht mit markigen Worten in Richtung Peking. Der dritte Kandidat James Soong und die von ihm gegründete People First Party (PFP) vertritt das andere Extrem und ist sogar einer Wiedervereinigung mit China nicht abgeneigt. Soong werden keine Chancen ausgerechnet, Tsai und Ma dagegen werden sich wohl ein spannendes Kopf an Kopf-Rennen liefern.

In jüngsten Umfragen lag mal der eine, mal der andere mit zwei Prozent vorn. In Peking wird man am Samstag ganz genau auf das Wahlergebnis und die damit verbundenen Entwicklungen blicken. Die chinesische Führung hat eine klare Präferenz: "Peking wird sich sicher freuen, wenn Ma im Amt bleibt", prognostiziert der taiwanesische Politikwissenschaftler Leo Mon. Denn Ma verfolge eine moderate Linie und mache seit seinem Amtsantritt deutlich, dass er sowohl gegen eine Wiedervereinigung ist, aber auch gegen eine Unabhängigkeitserklärung - für Peking der entscheidende Punkt.

Experten gehen davon aus, dass der Anspruch Chinas auf die Insel einerseits strategisch begründet ist: Wäre die Insel in chinesischer Hand, könnte die Volksrepublik leichter die Handelswege in den umliegenden Meeren kontrollieren. Und durch die Benutzung von Taiwans Territorium und Luftraum die maritime militärische Schlagkraft erhöhen.

Entscheidend ist aber zum anderen auch der historische Hintergrund des Konflikts: Der Streit um die Insel geht zurück bis zum chinesischen Bürgerkrieg, seither sieht China die Insel vor seinem Festland als "abtrünnige Provinz". 1949 waren die unterlegenen Truppen unter Chiang Kai-shek nach Taiwan geflohen - beseelt vom Irrglauben, von dort aus das Festland zurückerobern und die Kommunisten unter Mao zurückdrängen zu können. Doch dazu sollte es nicht kommen. Auf dem Festland wurde die Volksrepublik China proklamiert, auf Taiwan wenig später die Republik China.

Der wirtschafliche Tiger im diplomatischen Käfig

Die Entwicklung auf beiden Seiten der Taiwanstraße hätte seither unterschiedlicher nicht sein können: Während die Volksrepublik fest in kommunistischer Hand ist, ging Taiwan seinen eigenen Weg: Ein Wirtschaftsboom sorgte für Wohlstand, das Land gilt als einer der "Tiger-Staaten" Asiens. Die ursprüngliche Ein-Parteien-Diktatur unter Chiang Kai-sheks Kuomintang wurde Ende der 80er Jahre überwunden, Taiwan schaffte den friedlichen Übergang zur Demokratie. De facto ist Taiwan unabhängig, doch de jure erfolgte bislang keine Abspaltung vom Festland. Jeder Schritt in eine solche Richtung wurde von Peking mit militärischem Säbelrasseln beantwortet. Noch heute sind tausende Raketen auf die kleine Insel mit ihren 23 Millionen Einwohnern gerichtet.

Als "Schutzmacht" Taiwans präsentieren sich traditionell die USA. Schon im Koreakrieg diente die Insel den USA als "unsinkbarer Flugzeugträger", sie liegt strategisch günstig zwischen den amerikanischen Verbündeten Japan und Philippinen. 1979 sicherten die USA im "Taiwan Relations Act" zu, im Falle eines Angriffs auf die Insel Unterstützung zu leisten. Wirtschaftlich sind die USA jedoch immer stärker mit China verflochten, weswegen viele Taiwanesen mittlerweile an der uneingeschränkten Unterstützung Washingtons zweifeln.

Auch in den USA ist man offenbar stark an einer zweiten Amtszeit des taiwanesischen Präsidenten Ma interessiert. Denn eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen China und Taiwan könnte die ganze asiatisch-pazifische Region destabilisieren und damit sicherheitspolitische und strategische Interessen der USA gefährden.

Da der Außenhandel für Taiwan der wichtigste Wachstumsmotor ist, spielt auch die Wirtschaft im Wahlkampf eine große Rolle. Hier kann Ma punkten: Er hat in seiner Amtszeit den Dialog mit dem Festland auf eine neue Ebene gestellt und ein bilaterales Handelsabkommen initiiert. "Diese Vereinbarung war ein sehr gutes Signal", analysiert Mon, "für viele taiwanesische Firmen haben sich wichtige Investitionsmöglichkeiten auf dem Festland ergeben." Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es zwischen beiden Seiten wieder direkte Flug-, Post und Frachtverbindungen. Festlandchinesen dürfen nun als Touristen auf die Insel reisen - das taiwanesische Gastgewerbe profitiert. Die Unternehmer in Taiwan danken Ma diese Entwicklungen mit politischer Unterstützung: Im Vorfeld der Wahl sprachen sie sich ausdrücklich für den Präsidenten aus.

Bei den jungen Wählern dagegen stößt der Ansatz: "erst die Wirtschaft, dann die Politik", auf Kritik. Sie haben selbst erlebt, wie sich in Taiwan eine eigene nationale Identität herausbildete. Die meisten Einwohner bezeichnen sich heute nicht mehr als Chinesen, sie nennen sich selbst Taiwanesen. "Wir haben heute die Möglichkeit, jedes Für und Wider einer möglichen Unabhängigkeit zu diskutieren", erzählt Hung, "und die meisten der Jugendlichen sind dafür, dass Taiwan völlig unabhängig agieren kann."

Davon ist das Land allerdings noch weit entfernt. Der wirtschaftliche Tiger sitzt im diplomatischen Käfig: Eine chinesische Doktrin legt fest, dass Länder, die mit Taiwan diplomatische Beziehungen führen, damit auf offizielle Beziehungen zur Volksrepublik verzichten. Derzeit unterhält Taiwan nur mit etwa 20 Staaten der Welt - darunter vor allem kleine, arme mittelamerikanische Länder und pazifische Inselstaaten - offizielle Beziehungen. Deutschland und Taiwan haben keine diplomatischen Kontakte.

Die jungen Bevölkerung hat die Hoffnung, diese internationale Isolation endlich zu durchbrechen und setzt daher auf Tsai Ing Wen. Die 55-Jährige ist Vorsitzende der DPP, die bereits bei ihrer Gründung 1986 für die Proklamation einer eigenständigen "Republik Taiwan" plädierte. Tsai verspricht mehr Freiraum für ihr Land und sparte im Wahlkampf nicht an markigen Worten: Die Republik China sei aufgrund der eingeschränkten Souveränität eine "Exilregierung", Präsident Ma habe durch seine Annäherung an China "die taiwanesischen Interessen verraten." Diese Provokationen brachten ihr viele Anhänger ein, riefen aber auch Ratlosigkeit hervor: "Tsai Ing Wen hat die Gesellschaft verunsichert, wer DPP wählt, weiß nicht, wie es weitergeht", so Professor Mon. Viele würden sich Sorgen machen, ob Tsai als Präsidentin das Land nicht wieder in eine unsicherere Lage bringen würde.

Und die Taiwanesen wollen die Unabhängigkeit nicht um jeden Preis. Die überwiegende Mehrheit will schlicht friedliche aber auch gleichberechtige Beziehungen zum Festland - welche Taktik auch immer dafür notwendig ist. Welchem Kandidaten dieser Mittelweg am ehesten zugetraut wird, wird sich am Samstag zeigen. Dass die Spannung groß ist, zeigt sich bereits an der prognostizierten Wahlbeteiligung von fast 90 Prozent. Unter den Wählern ist dann am Samstag auch Patricia Hung: "Wir werden dann auf die Straßen gehen und ganz aufgeregt auf das Ergebnis warten. Und dann zusammen lachen oder zusammen weinen."

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