Präsidentschaftswahl in Frankreich:Kampfbereit bis in die Haarspitzen

Streicheleinheiten für den Nationalstolz: Eine Woche vor der Präsidentschaftswahl werben Frankreichs Spitzenkandidaten Sarkozy und Hollande bei Massenaufmärschen um Stimmen. Sie wettern gegen Europa und polieren mit überschwänglichen Lobeshymnen das Ego ihrer Landsleute.

Stefan Ulrich, Paris

Er mag ein wenig anachronistisch wirken, dieser letzte Sonntag vor der Präsidentschaftswahl. Eigentlich wird der Wahlkampf längst mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts geführt; mit bis ins letzte Detail geplanten Medienkampagnen; mit Facebook, Twitter und "Gegenschlags-Zellen", das sind Teams junger Aktivisten, die das Internet mit Kommentaren fluten. Doch nun, da es ernst wird, verlassen sich Präsident Nicolas Sarkozy und sein Herausforderer François Hollande auf das Propagandamittel des 20. Jahrhunderts: den Aufmarsch der Massen.

Francois Hollande's meeting in Vincennes

François Hollande bei einer Massenveranstaltung am Schloss von Vincennes in Paris. "Der einzige Kandidat der Linken, der in der Lage ist zu siegen".

(Foto: dpa)

223 Jahre nach der Revolution strömen die Franzosen noch immer gern auf die Straßen, um sich Gehör zu verschaffen. So kam es an diesem Sonntag zum spektakulären Fernduell in Paris. Sarkozy ließ seine Divisionen auf der Place de la Concorde antreten, Hollande am Schloss von Vincennes. Es geht um viel - um den besten Schlussspurt im Wahlkampf. "Meine lieben Freunde", beginnt ein bis in die Haarspitzen kampfbereiter Sarkozy, "sie (die Linken) glaubten, ihr würdet nicht kommen. Aber das französische Volk ist da. Ihr seid Frankreich." Schon ist der Platz am Kochen. Aus Zehntausenden Kehlen klingt es "Ni-co-las!"

Der Präsident hat für seinen Auftritt einen symbolischen Ort gewählt. Einst nannte sich die Fläche "Place Royale". 1770 kam es hier bei der Hochzeitsfeier Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes zur Massenpanik mit Toten. 23 Jahre danach wurden die beiden auf dem Platz, der nun "Place de la Révolution" hieß, geköpft. Später tauften die Franzosen den Ort "Place de la Concorde". Im 20. Jahrhundert wurde er zum Treffpunkt der Gaullisten. Sarkozy feierte hier seinen Sieg bei der Wahl 2007. Vor allem aber erlebte Charles de Gaulle rund um den Obelisken einen historischen Triumph. Am 30. Mai 1968 marschierten von hier aus Hunderttausende Menschen los, um de Gaulle gegen die Protestbewegung zu helfen, die daraufhin zusammenbrach.

An diese Erinnerung will Sarkozy anknüpfen, als er allein den Platz betritt. Er möchte die "schweigende Mehrheit" mobilisieren, wie er sagt. Der Präsident meint das konservative Frankreich, das er in der Mehrheit wähnt, obwohl alle Meinungsforscher einen Sieg Hollandes prophezeien. "Wir pfeifen auf die Umfragen", sagt Sarkozy und verweist auf das Menschenmeer mit seinen blau-weiß-roten Fahnen rund um den Obelisken. Man sieht keine Parteiflaggen, sondern nur die Trikolore. Die Botschaft ist klar: Nichts soll sich zwischen den Präsidenten und sein Volk stellen.

"Kein Land wie alle anderen"

An diesem windigen Nachmittag zieht Sarkozy alle Register. Er verherrlicht die Zivilisation Frankreichs und droht Europa. "Frankreich ist kein Land wie alle anderen." Dann beschwört er "das Genie Frankreichs", seine Schriftsteller, seine Feldherrn, seine Bauern, Fabriken, Familien. Seine 60 Millionen Individualisten, die das Kunststück schafften, ein Volk zu sein. Diese grandiose Welt, warnt Sarkozy, sei in Gefahr, von globalen Umbrüchen zerstört zu werden.

Niemals seit dem Zweiten Weltkrieg habe eine Wahl solche Folgen gehabt. Während die Linke Frankreich nivellieren wolle und an Neid und Angst appelliere, pflege er die Werte der Nation. Dann kritisiert er Europa, das seine Grenzen und Interessen nicht verteidige und viel mehr fürs Wirtschaftswachstum tun müsse. Er fordert eine stärkere Rolle der EZB in der Wachstumspolitik. Er droht der EU, Frankreich werde sich notfalls allein gegen unerwünschte Einwanderer und "illoyale Konkurrenz" wehren.

So greift Sarkozy nach den Stimmen jener Franzosen, die europaskeptisch und globalisierungsängstlich sind. Es ist eine Energieleistung - und ein ungehemmter Appell an Patriotismus und Nationalismus. Der Präsident erinnert an die "Politik des leeren Stuhls" in Europa, die sein Vorgänger de Gaulle betrieben hat. Und er ruft, die schweigende Mehrheit halte das Schicksal Frankreichs in Händen. "Habt keine Angst!"

Während Sarkozy spricht, hat sich drüben vor dem Château de Vincennes eine andere Mehrheit versammelt. Hier mischen sich rote Fahnen unter die Trikoloren, die Menge ist ausgelassener Stimmung. Hollande erscheint an der Seite seiner Lebensgefährtin Valérie Trierweiler. Auch die Sozialisten haben ihren Versammlungsort sorgsam ausgesucht. Zum einen gibt das trutzige Königsschloss eine gute Kulisse, um dem oft als leichtgewichtig kritisierten Hollande Statur zu geben. Vor allem aber bieten die Esplanade und die anschließenden Grünflächen ein prächtiges Ziel für einen Familienausflug.

Es gibt Popmusik für die Großen und Marionettentheater für die Kleinen. "Freude, aber keine unvernünftigen Exzesse", hat Hollande versprochen. Dies sei noch nicht die Siegesfeier. Doch dann strotzt der Kandidat vor Siegeszuversicht. "Meine lieben Freunde, der Augenblick nähert sich", beginnt er. "Ich stelle mir das Glück von morgen vor." Seinem Gegner ruft er zu: "Wir sind Frankreich, das populäre Frankreich." Er, Hollande, werde der nächste Präsident sein.

Auch Hollande ist in bester Form an diesem Tag. Der Sozialist versteht es ebenso wie der Konservative, den Patriotismus zu streicheln, das Nationalgefühl zu hätscheln und die "Grandeur" der französischen Geschichte zu beschwören. Frankreich sei eine große Nation mit besonderem Genie. Paris symbolisiere rund um den Globus die Ausstrahlung Frankreichs, seine Werte, seine Kultur. Dieses Paris werde bereits von Sozialisten dirigiert. Nun schaue die Welt auf die Präsidentschaftswahl. "Der Augenblick naht, wo die Franzosen über ihr Schicksal entscheiden."

"Der einzige Kandidat der Linken"

Dann beschwört auch Hollande die Krise, auch er kritisiert ein schwaches Europa. Während die Rechte Ängste schüre und die Franzosen entzweie, wolle er die Republik aufrichten, den Fatalismus überwinden, der Jugend Hoffnung geben. Dabei werde er nicht einfach - wie Sarkozy - dem deutschen Modell folgen, denn: "Wir brauchen die anderen nicht zu kopieren. Frankreich ist kein Problem, sondern die Lösung."

Die Menge schreit: "Wir werden siegen!" Hollande erklärt wie vor exakt 31 Jahren François Mitterrand, er sei "der einzige Kandidat der Linken, der in der Lage ist zu siegen". Alle sollten sich hinter ihm sammeln. Zum Schluss ruft er mit heiserer, aber kräftiger Stimme: "Wollt ihr den Sieg für Frankreich?" Er antwortet selbst: "Nichts wird uns aufhalten."

Bleibt die Frage, wer den Aufmarsch der Massen gewonnen hat. Die Polizei weigerte sich, die Mengen zu beziffern, um keine Partei zu ergreifen. Zu sehen war jedenfalls, dass beide Plätze überquollen. Die Teams von Sarkozy und Hollande behaupteten beide, sie hätten mehr als 100.000 Menschen zusammengetrommelt. Doch erst die Wahl am kommenden Sonntag und die Stichwahl zwei Wochen später werden zeigen, wem die Massen wirklich zur Macht verhelfen wollen.

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