Präsidentschaftswahl in der Ukraine:Gemeinsam weitermachen

Präsidentschaftswahl in der Ukraine: Petro Poroschenko und Vitali Klitschko gratulieren sich zum Wahlsieg.

Petro Poroschenko und Vitali Klitschko gratulieren sich zum Wahlsieg.

(Foto: AFP)

Der Terror im Osten hat die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine überschattet. Doch es gibt auch Erfolgsmeldungen: Die Wahlbeteiligung ist sensationell, die Extremisten bekommen eine klare Absage. Und am Ende ist nicht nur der Milliardär Poroschenko Gewinner, sondern auch sein politischer Kompagnon. Was will die neue Führung?

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Am Morgen war Petro Poroschenko noch der Verlierer gewesen. In Begleitung von sechs Bodyguards, seinen Kindern und seiner Frau Marina traf er in einer Kolonne aus drei teuren Autos - einem silbernen Van, einem Mercedes und einem Geländewagen - am Haus der Offiziere in Kiew ein. Hier wollte der populärste Kandidat der Wahl zum Präsidenten der Ukraine wählen gehen, aber immer wieder ging ihm seine Frau im Trubel verloren. Etwa 100 Journalisten und 40 Kameras belagerten die Gruppe, alle wollten etwas wissen, alle riefen etwas, und Poroschenko rief: "Marina?"

Die aber war verschwunden. Marina, eine aparte dunkelhaarige Frau und Mutter von vier Kindern, tauchte dann doch noch aus dem Gewühl auf, das Paar ging wählen, dann sprach der Oligarch aus Winnyza im Süden der Ukraine mit den wartenden Reportern. Er nahm sich Zeit, er wollte entspannt wirken - vielleicht auch deshalb, weil nach einem anstrengenden Wahlkampf, der den schwerreichen Unternehmer auch häufig in den umkämpften Osten gebracht hatte, von diesem Montag an alles noch viel aufreibender sein wird. Von nun an nämlich werden das Land und die Welt vom "Schokoladenkönig", der einst mit Kakaobohnen die Grundlage für sein Vermögen gelegt hatte, erwarten, dass er die Ukraine rettet. Nicht mehr, und nicht weniger.

Petro Poroschenko wirbt für Gespräche mit allen Seiten

Petro Poroschenko, 48 Jahre alt, ein korpulenter Mann von unangestrengter Selbstsicherheit, hat die erste Runde der Präsidentschaftswahl locker gewonnen. Wahlnachfragen sehen ihn bei 57 Prozent. Er selber hatte dafür geworben, dass es keine zweite Runde geben müsse (diese hätte am 15. Juni stattgefunden). Nun soll schnellstmöglich Stabilität im Land einziehen nach der Wahl.

Nicht nur der reiche Unternehmer und Langzeit-Politiker gewann, sondern auch sein politischer Kompagnon, Vitali Klitschko. Der hatte für das Amt des Bürgermeisters von Kiew kandidiert - und ebenfalls alle Gegner hinter sich gelassen. Klitschko hatte um Poroschenkos Willen auf seine Kandidatur für das Staatsamt verzichtet; am Abend dann standen beide Männer gemeinsam auf einer Bühne, in einer rot-weißen Dekoration zwischen den schmucklosen Wänden des Art Arsenal, einer Kunsthalle oberhalb des Dnjepr-Ufers. Gemeinsam gekämpft, gemeinsam gewonnen, gemeinsam weitermachen: das sollte die Botschaft sein. Denn Stadt und Land, so Poroschenko und Klitschko unisono, bräuchten einen grundlegenden Neuanfang.

Gegenkandidaten chancenlos

Der Oligarch sprach über den komplizierten Nachbarn Russland. Über Parlamentswahlen. Über eine europäische Ukraine. Über die großen Herausforderungen. Beide Männer waren sehr staatsmännisch. Nur manchmal konnte Klitschko ein Grinsen nicht unterdrücken. Gewonnen! Poroschenko betonte, dass mehr als 80 Prozent der Wähler sich für eine europäische Ukraine entschieden hätten. Dass die riesige Mehrheit allen Extremisten eine Absage erteilt habe.

Dass damit bewiesen sei, wie demokratisch und pluralistisch seine Landsleute seien. Eine Journalistin fragte, ob er garantieren könne, dass die Pressefreiheit in Zukunft gewahrt bleibt. "Nein", sagte Poroschenko und lachte wie ein Schulbub, der seine Lehrerin auf den Arm genommen hat: Das könne er nicht, weil er das nämlich schon in seinem Programm garantiert habe. Leiser Triumph und Zuversicht - hier zeigten sie sich für eine Sekunde am Ende eines langen, schweren Wahlkampfes.

Tatsächlich waren die Gegenkandidaten des siegreichen Oligarchen, wie sich am Abend schnell erwies, alle chancenlos gewesen. Sogar die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko, deren Freilassung aus der Haft nach einem politisch motivierten Prozess die Europäische Union zur Bedingung für das Assoziierungsabkommen gemacht hatte, zu dem es dann aber nie kam. Das Nein zum Abkommen löste Ende November die Euro-Maidan-Bewegung und drei Monate später den Sturz und die Flucht des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch aus. Timoschenko galt für einen großen Teil der Bevölkerung als nicht wählbar; sie habe ihre Chance nach der Orangenen Revolution gehabt - und nicht genutzt, hieß es.

Wahlbeobachter sind erfreut

Sie landete schließlich bei 12,4 Prozent. Der offizielle Kandidat der Partei der Regionen, die unter Janukowitsch die Macht hatte, Michail Dobkin, lief ebenso hinterher wie der zweite alte Kader, Sergej Tihipko. Der hatte sich aus Wut über die Entscheidung seiner Partei für Dobkin als Unabhängiger beworben. Zwei Nationalisten waren im Rennen, eine engagierte Ärztin, ein Ex-Außenminister, der einer Ausweitung des Militäreinsatzes im Osten das Wort redete. Aber sie gingen unter.

Alle setzten auf Poroschenko. Und Timoschenko?

Sie feierte nach der Wahl im "President's Hotel" - offenbar der falsche Ort. Insgesamt 21 Namen standen zur Wahl, 36 Millionen Ukrainer waren stimmberechtigt, davon eine halbe Million Auslands-Ukrainer. Wobei etwa 20 Prozent der theoretisch Wahlberechtigten - die Bürger der Krim und die Bürger im Donbass - ihre Stimmen nicht oder nur unter massiven Schwierigkeiten abgeben konnten. Das war das Hauptthema aller Nachrichtensendungen und Interviews: Wie lief es in den beiden "Autonomen Republiken", in Donezk und Lugansk, und gab es von dort, allem Terror, all den geschlossenen Wahllokalen und vernichteten Wählerregistern, allen Ängsten der Bevölkerung zum Trotz, auch Erfolgsmeldungen? Es gab sie.

Dringend mit Wladimir Putin verhandeln

Am Nachmittag schon zeigten sich die ukrainischen Wahlbeobachter von Opora erfreut: Bis Mittag hätten im ganzen Land schon 25 Prozent ihre Stimme abgegeben. Im Osten seien es immerhin auch 22 Prozent gewesen, weil außerhalb der von den Separatisten kontrollierten Städte eben doch gewählt werden konnte. Auch die Zentrale Wahlbehörde bestätigte früh: Die Beteiligung sei sensationell hoch; abends hieß es dann begeistert, sie sei die höchste in der Geschichte der unabhängigen Ukraine gewesen.

Ganz klar: Das Land wollte wählen - und endlich zur Ruhe kommen. 75 000 Polizeibeamte bewachten die Wahl, die Abstimmung im Osten wurde von der Regierung schon im Vorfeld weitgehend verloren gegeben, die Angst vor Terror-Angriffen hatte das Land in Atem gehalten bis zur letzten Minute. Auch deshalb waren von den fast 3000 Wahlbeobachtern, die im Land unterwegs sind, aus Sicherheitsgründen nur sehr wenige im Osten eingesetzt. In den anderen Landesteilen wurden einzelne Verstöße, aber keine flächendeckenden Fälschungen gemeldet: hier gekaufte Stimmen, dort ein ganzes Haus, das im Wahlregister fehlt. Marieluise Beck von den deutschen Grünen, die für die OSZE als Wahlbeobachterin in der Industriestadt Vasilkiv nahe Kiew eingesetzt war, zeigte sich dennoch begeistert von der Wahlbegeisterung. "Überall lange Schlangen", rief sie ins Telefon, "und vor vielen Wahllokalen haben die Leute schon lange vor Öffnung heute morgen angestanden."

Das kleinere Übel

Nicht alle, die für Petro Poroschenko stimmten, taten dies aus voller Begeisterung. Dazu ist der Mann, der seit 15 Jahren in der ukrainischen Politik mitmischt, ein zu bekanntes Gesicht. Aber die Lage im Osten, die Kriegsangst, die Sorge um die Wirtschaft - all das brachte viele Wähler dazu, den Unternehmer in das höchste Amt des Staates zu wählen. In einem Wahllokal am Tschugujowskij Pereulok, da, wo die Hauptstadt Kiew in alte Plattenbauten ausfranst, ergab eine kleine Umfrage unter einem knappen Dutzend Wählern einen klaren Trend: Ja zu Poroschenko - weil er das kleinste Übel sei. Der gab sich am Abend nach der historischen Präsidentenwahl denn auch bescheiden und volksnah. Dankte allen und jedem, versprach, mit allen Seiten zu reden. Dann schüttelte er Vitali Klitschko die Hand. Für einen kurzen Moment war zu sehen, wie stolz er war.

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