Präsidentschaftswahl in der Ukraine:Abstimmung gegen den Wahnsinn

Anti government protests in Ukraine

Archivbild vom 30. Januar 2014: Alles begann mit pro-europäischen Protesten auf dem Maidan. Das Bild zeigt ukrainische Polizisten in Kiew nahe einer der Barrikaden, die Regierungsgegner errichtet haben.

(Foto: dpa)

Wenig Auswahl und kaum Aussicht auf Wandel: Das sind die ukrainischen Wähler gewohnt. Zurzeit sorgen sich die Menschen mehr darum, was in den kommenden Stunden passiert und wie sie ihre Familie schützen können. Dennoch ist die Wahl am 25. Mai wichtig.

Ein Gastbeitrag von Ulyana Vynyarchuck

Ich lebe derzeit als Erasmus-Mundus-Studentin in Rom, während der Rest meiner Familie und meine Freunde im westukrainischen Lemberg sind. Der morgendliche Nachrichten-Check ist für mich inzwischen zur Tortur geworden. Und das liegt nicht daran, dass die Nachrichten aus der Ukraine bisher immer so positiv gewesen wären.

Doch bislang tauchten darin nicht so exotische Wörter wie "Separatisten", "Extremisten", "antiterroristische Spezialoperation", "Opfer", "Einmarsch" und "Militäraktion" auf. Es ist beeindruckend, wie häufig diese Ausdrücke in Berichten nationaler und internationaler Medien über die Ukraine verwendet werden und wie sehr sich die Medien anscheinend daran ergötzen, über ein Schlachtfeld vor den Toren der EU zu berichten.

Naturgemäß ziehen mich solche Nachrichten aus der Ukraine runter, und zwar aus drei Gründen. Das liegt erstens an der Erkenntnis, dass der ganze Konflikt künstlich konstruiert ist, die Hauptakteure entweder dafür bezahlt oder einfach zum Narren gehalten werden, während ihre Handlungen zugleich völlig inszeniert sind. Die jüngsten Volksabstimmungen in der Ostukraine über die Unabhängigkeit zweier Regionen mit ihren gefälschten Ergebnissen sind dafür nur ein weiterer Beweis. Nur die Opfer und Verletzten sind real, egal für welche Seite sie kämpfen.

Zweitens habe ich den Eindruck, dass die Behörden weder kompetent noch fähig oder willens sind, separatistische und offenkundig kriminelle Handlungen zu stoppen. Drittens versuchen prorussische Medien, Parallelen zwischen den Ereignissen auf dem Maidan und denen auf der Krim, in Donezk, Slowjansk oder Odessa herzustellen.

Die Ukrainer sind es gewohnt, für ihre Freiheit zu kämpfen

Ihr Ziel ist, das wachsende öffentliche Bewusstsein und die Bereitschaft zu mindern, für Menschenrechte, Freiheit sowie die Souveränität unserer Nation zu kämpfen, wie es Ukrainer zuletzt in Kiew getan haben. Der Kampf um Unabhängigkeit zieht sich durch die ukrainische Geschichte. Wir haben ihn schon häufig durchgemacht. Nun, wo wir unsere Unabhängigkeit wiedererlangt haben, zwingen uns unsere Nachbarn erneut dazu?

Das bisher Gesagte trägt dazu bei, dass die für den 25. Mai 2014 angesetzten Präsidentschaftswahlen in einer ziemlich miserablen Situation stattfinden: eine Voraussetzung dafür, dass sie verschoben oder gar abgesagt werden könnten. In den Medien wird kaum über den Wahlkampf berichtet. Selbst das meistbesuchte Nachrichtenportal pravda.com.ua erwähnt die bevorstehenden Wahlen mit fast keinem Wort.

Wenig Auswahl, wenig Aussicht auf Wandel

Je näher der Wahltag rückt, desto stärker sinkt die Zahl der Kandidaten (statt 46 sind es derzeit noch etwa 20) sowie der prognostizierte Stimmenanteil für die aus dem Gefängnis entlassene frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Der andere Spitzenkandidat, Petro Poroschenko, mischt bereits seit so langer Zeit in der ukrainischen Politik und Wirtschaft mit, so dass man von ihm als Präsident keine Veränderungen erwarten kann, die die Opfer der Kämpfer vom Maidan rechtfertigen würden. Die Erfolgsaussichten der anderen sogenannten "neuen Gesichter" sind gering und ihre politischen Absichten oft fragwürdig.

Ukrainische Wähler haben wenig Auswahl und wenig Aussicht auf Wandel - alles wie immer also. Diesen Eindruck habe ich auch, wenn ich mit meinen Verwandten und Freunden skype. Auch wenn sie sich sehr stark für innen- und außenpolitische Themen interessieren, scheinen sie sich mit den Präsidentschaftswahlen nicht allzu sehr zu beschäftigen, von den Wahlen zum Europäischen Parlament ganz zu schweigen.

Angesichts der Krisendynamik in unserem Land machen sich meine Freunde und Verwandte mehr Sorgen darüber, was in der nächsten Stunde und am nächsten Tag passieren wird und wie sie ihre Familien schützen können. Sie fragen sich, wo die nächsten Aktionen der Separatisten geplant sind und wie sich die ukrainische Wirtschaft entwickeln wird. Wir hatten den Tod friedlicher Demonstranten noch nicht verarbeitet, da fanden bereits neue bewaffnete Provokationen statt. Alles worum wir jetzt bitten ist, dass dieser von Menschen geschaffene Wahnsinn aufhört.

Deshalb sehnen sich viele den Tag der Präsidentschaftswahl herbei. Sie verbinden mit diesem Tag die Hoffnung, dass die immer schlimmer werdende Brutalität und Gewalt der Separatisten aufhört. Doch auch diese Hoffnung ist trügerisch, bedenkt man die jüngst durchgeführte unklare "Antiterror-Operation" der Kiewer Regierung gegen die Gewalttäter. Die Gefahr einer solchen Operation liegt darin, dass sie die Position unserer nördlichen Nachbarn stärkt, die keine Präsidentschaftswahl wollen.

Es ist an der Zeit, dass die Menschen wählen

So argumentiert etwa Leonid Sluzki, Vorsitzender des Duma-Ausschusses für GUS-Angelegenheiten, eurasische Integration und Beziehungen mit den Landsleuten, dass die "antiterroristische Operation" die Legitimität der Wahlen weiter unterminiert. Daraus schließen andere, dass die Wahlen, so sie denn stattfinden, den Konflikt auf die Spitze treiben werden.

Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir wissen, wessen Vorhersagen richtig waren. Doch je näher der Wahltag rückt, umso wichtiger ist es, dass die internationale Gemeinschaft, allen voran die OSZE-Mission, der amtierenden ukrainischen Regierung dabei hilft, einen fairen und transparenten Wahlprozess sowie Stabilität in bestimmten Regionen sicherzustellen. Damit wäre die russische Position widerlegt und die Ukraine könnte sich als Land präsentieren, in dem Menschenrechte und Freiheiten respektiert werden.

Noch wichtiger ist, dass die Wahl die schier endlosen Spekulationen russischer Politiker hinsichtlich der Legitimität der ukrainischen Interimsregierung beenden könnte. Der französische Präsident François Hollande warnte jüngst vor einem Bürgerkrieg in der Ukraine. Auch wenn ich diese Befürchtung nicht teile, stimme ich seiner Bewertung zu, dass Russland ein Interesse daran hat, die ukrainischen Wahlen zu sabotieren.

Spott für die EU in den sozialen Netzwerken

Angesichts der unterschiedlichen nationalen Interessen und des Wesens der bilateralen Beziehungen mit Russland wird dies sicher nicht leicht. Doch die Bewältigung dieser Aufgabe ist für die EU zur Stärkung ihrer Grundpfeiler Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit unerlässlich, nebst ihrer zentralen Rolle, die sie für die Stabilität in Europa hat. In den sozialen Medien wird starke Kritik an der europäischen Reaktion auf die Krise geübt.

Einige ukrainische Freunde machen sarkastische Bemerkungen über EU-Politiker, die ihre "tiefe Besorgnis" ausdrücken, während die Gewalt in meiner Heimat eskaliert. Das ist nicht fair. Die Unterzeichnung des politischen Teils des Assoziierungsabkommens war eine wichtige Botschaft nicht nur für die Ukraine, sondern auch für andere Mitglieder der Östlichen Partnerschaft.

Sowohl US-Präsident Barack Obama als auch Kanzlerin Angela Merkel bestehen darauf, dass die Präsidentenwahl am 25. Mai stattfindet - ein symbolisches Datum, da an diesem Tag auch viele EU-Mitgliedstaaten aufgerufen sind, ein neues Europaparlament zu wählen. Die Krise in der Ukraine könnte im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen. Eine YouGov-Umfrage Ende März hat ergeben, dass die meisten EU-Bürger die russische Intervention in der Ukraine verurteilen.

Bei Briten, Deutschen und Franzosen ist die Bereitschaft auch gering, Finanzhilfen für die Ukraine bereitzustellen. Populistische und rechtsextreme Bewegungen könnten von dieser Stimmung profitieren - Umfragen prophezeien einen Zuwachs für diese Parteien. Ironischerweise sind sie Russlands Hauptverbündete im Europäischen Parlament, während Putin die ukrainische Regierung als Haufen von Faschisten verunglimpft.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Untersuchungen wie die des Political Capital Institute, in dem der Einfluss Russlands auf die rechtsextremen Parteien in der EU untersucht wird (The Russian Connection), kommen zu dem Schluss, dass der Einfluss dieser Bewegungen im neuen Europaparlament nicht groß sein wird. Trotz Zugewinnen werden sie unter den 751 Parlamentsabgeordneten immer noch in der Minderheit sein. Es besteht Hoffnung, dass mit der Wahl eines Präsidenten in Kiew am 25. Mai die Vorbehalte unter europäischen Politikern hinsichtlich der Unterzeichnung des wirtschaftlichen Teils des Assoziierungsabkommens verschwinden. Dies sollte der nächste Schritt sein. Damit könnten ukrainische Exporte umgeleitet und der bilaterale Handel erleichtert werden.

Nachdem ich nun zwei Jahre in Europa in einem multinationalen Umfeld studiert habe, muss ich zugeben, dass die ukrainische Kritik und Skepsis an ihrer politischen Führung nicht einzigartig ist. Bedeutende Denker haben aber leider nachgewiesen, dass wir nicht ohne auskommen.

Für ein Land wie die Ukraine, dessen ehemaliger Präsident schändlich aus dem Land geflohen ist und dessen nördlicher Nachbar sich imperial und aggressiv verhält, ist es riskant, auf das Erscheinen eines ukrainischen George Washington zu warten. Die jüngsten Ereignisse haben dazu beigetragen, dass viele politische Masken fallen gelassen wurden. Das macht unsere Wahl nicht leichter, aber sicherlich bewusster. Die von Abgeordneten ernannte Interimsregierung war notwendig, doch jetzt ist es an der Zeit, dass die Menschen ihr Votum abgeben und je eher das möglich ist, umso besser.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung. Bis zur Europawahl Ende Mai werden in der Serie junge Europäer zu Wort kommen - streitbar, provokativ und vielfältig.

Die Ukrainerin Ulyana Vynyarchuck, 29, schließt zurzeit ihren Master an der Technischen Universität Darmstadt und der Tor Vergata Universität Rom mit dem Schwerpunkt Internationale Zusammenarbeit, Stadtentwicklung und Entwicklungsökonomie ab.

An English version of the text is available at the website of FutureLab Europe.

Übersetzung: Dorothea Jestädt

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