Präsidentschaftswahl:Diese Frau könnte Erdoğan in Bedrängnis bringen

Präsidentschaftswahl: Die 61-jährige Meral Akşener wirbt bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ankara für ihre Oppositionspartei "Gute Partei" (Iyi), die sie vor knapp sieben Monaten gegründet hat. Auf ihre Handfläche ist die türkische Flagge mit Henna gemalt - ein Symbol des Neubeginns.

Die 61-jährige Meral Akşener wirbt bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ankara für ihre Oppositionspartei "Gute Partei" (Iyi), die sie vor knapp sieben Monaten gegründet hat. Auf ihre Handfläche ist die türkische Flagge mit Henna gemalt - ein Symbol des Neubeginns.

(Foto: AFP)
  • Meral Akşener ist die einzige Frau, die bei der türkischen Präsidentschaftswahl im Juni gegen Recep Tayyip Erdoğan antritt.
  • Die 61-Jährige ist konservativ genug, um fromme Wähler zu locken, aber auch attraktiv für Säkulare. Ihre Iyi Parti (Gute Partei) wächst schnell.
  • Es ist denkbar, dass sie oder aber der CHP-Kandidat Ince in die Stichwahl gegen Erdoğan kommen. Akşener und Ince wollen sich in dem Fall unterstützen.

Von Christiane Schlötzer, Ankara

Die weiße Hemdbrust gestärkt, die Fliege makellos, der Staatsgründer Kemal Atatürk hängt als Bühnenschmuck von der Decke, im Gewand des Salonlöwen, überlebensgroß. Neben ihm, deutlich kleiner, die erste Frau, die Präsidentin der Türkei werden will. Sie hat ein Jackett im leuchtenden Rot der türkischen Fahne gewählt, auf ihre rechte Handfläche hat sie mit Henna Halbmond und Stern gemalt. Das Henna-Tattoo ist zu sehen, wenn Meral Akşener bei ihrer Rede mit dem Arm gestikuliert, und das tut sie oft.

Ihre Iyi Parti (Gute Partei) hat Akşener erst vor knapp sieben Monaten gegründet. Manche Leute glauben, Recep Tayyip Erdoğan habe die Präsidentenwahlen nur deshalb um fast eineinhalb Jahre vorgezogen, damit Akşener und ihre Iyi Parti nicht noch stärker werden. Denn die 61-Jährige ist konservativ genug, um fromme Wähler zu locken, aber sie trägt kein Kopftuch, das mögen die Säkularen.

Sie ist für einen starken Staat, aber dagegen, einem einzigen Mann alle Macht zu geben. Sie kämpft gegen das Präsidialsystem, das Erdoğan für sich maßgeschneidert hat. "Das größte Unglück in den vergangenen Jahren war, dass die Zukunft unseres Landes der täglichen Machtgier geopfert wurde", sagt sie, und im vollbesetzten Saal klatschen und pfeifen die Leute vor Vergnügen. Immer wieder muss Akşener ihre Rede unterbrechen, weil ein paar Zuhörer skandieren: "Wir sind Soldaten von Mustafa Kemal." Wer den Staatsgründer zum Schutzpatron nimmt, weckt patriotische Gefühle.

Das Congresium in Ankara ist ein eleganter Glasbau, die Hauptstadt hat viel Ehrgeiz entwickelt, sich mit neuzeitlicher Hochhausarchitektur an den internationalen Zeitgeist anzuschließen. Politisch aber hat sich die Türkei zuletzt stark isoliert. Vor der Halle stehen die Zuhörer nach Akşeners Auftritt noch lange herum, viele Frauen darunter. Kadriye Ünler, 47, ist Anwältin, trägt Kostüm und graugesträhntes Kurzhaar, sie sagt: "Meine Kinder sind 20 und 13 Jahre alt, sie wollen weg aus der Türkei, sie sehen keine Zukunft hier." Ünler klagt über die "Zerstörung des Rechtsstaats" und sie wünscht sich: "Die Türkei muss in Frauenhand."

"Erdoğan fürchtet sich davor, gegen eine Frau zu kämpfen."

Akşener will die Justiz "aus dem Griff der Politik" befreien, so hat sie in ihrer Rede versprochen. Ein wenig später sitzt sie im Kreis ihrer Berater in einem Hotel in Ankara und möchte erklären, warum Erdoğan ihren Namen nie ausspricht: "Er fürchtet sich davor, gegen eine Frau zu kämpfen. Er hat ein sehr großes Ego, und wenn er von einer Frau besiegt wird, verliert er vielleicht seinen Verstand." Sie glaubt, Erdoğan habe die Wahlen angesetzt, "weil er im Ausnahmezustand wählen lassen will". Der Ausnahmezustand dauert schon fast zwei Jahre, seit dem Putschversuch im Juli 2016. Es gibt Stimmen aus der Wirtschaft und aus Erdoğans Partei AKP, die fordern eine Rückkehr zur Normalität. Erdoğan hat angekündigt, die Wirtschaft nach seiner Wiederwahl unter stärkere Kontrolle zu nehmen, die Folge: Die Lira fällt seit Wochenbeginn täglich noch ein bisschen weiter in den Keller.

Akşener redet viel von den "Sorgen junger Leute", über vier Millionen Erstwähler gibt es diesmal. Erdoğan nennt sie die "AKP-Generation". Als er vor wenigen Tagen auf einer AKP-Jugendversammlung sprach, zeigten manche Zuhörer, die ihn schon oft gehört haben, zu wenig Enthusiasmus. Der Präsident bemerkte das: "Ich weiß, ihr seid gelangweilt." Erdoğans Gegner höhnten: "Ja, wir sind gelangweilt", so twitterte Muharrem Ince, der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP.

Die Hosenanzüge könnte sie von Angela Merkel abgeschaut haben

Der Sozialdemokrat Ince, 54, und die rechtskonservative Politikerin Akşener haben eine Allianz geschlossen, eine kleine islamistische Partei ist auch dabei - ein höchst ungewöhnliches Bündnis für die Türkei. Inces Ziel: Der AKP die Mehrheit im Parlament nehmen und Erdoğan den Präsidentenstuhl.

Die Opposition rennt gegen die Uhr, schon am 24. Juni wird gewählt - und gegen die Medien. In den ersten drei Wochen, nachdem Erdoğan Neuwahlen angesetzt hatte, war der Präsident 37 Stunden, 40 Minuten und zwei Sekunden im Staatssender TRT im Bild. Die Rivalin bekam 27 Minuten, 20 Sekunden. Die Zahlen hat die Rundfunkaufsicht ermittelt, sie muss das tun, aber das ändert nichts an den Verhältnissen. Auch auf den meisten Privatkanälen werden Erdoğans Auftritte täglich stundenlang übertragen. Akşener hofft, "Wahlen werden nicht in den Medien gewonnen".

Sie ist keine große Rednerin, ändert selten die Stimmlage, wenn sie spricht. Die Hosenanzüge könnte sie von Angela Merkel abgeschaut haben. Das Tattoo in der Handfläche ist in Anatolien ein Symbol für Unschuld und Neubeginn, Henna gehört zur Nacht vor der Hochzeit, wenn die Frauen unter sich bleiben und feiern.

Umfragen sagen, Erdoğan werde in der ersten Runde nicht die nötigen 50 Prozent plus x erhalten. Ob Akşener oder ihr linker Konkurrent Ince in die Stichwahl am 8. Juli kommen, ist offen, es gibt unterschiedliche Zahlen. Wer hätte mehr Chancen gegen Erdoğan? Akşener glaubt, sie. Die CHP sagt: Ince. Beide aber wollen sich dann unterstützen. Und sie werden die Kurden brauchen. Die erinnern sich, dass Akşener in den Neunzigerjahren Innenministerin war, nur acht Monate lang, da verlangte sie eine militärische Lösung der Kurdenfrage. Nun bemüht sogar sie sich um Mäßigung: Der inhaftierte Kurden-Kandidat Selahattin Demirtaş sei nicht verurteilt und sollte seine Kampagne in Freiheit führen dürfen, sagt sie. Dieser Wahlkampf hat die Türkei schon jetzt verändert.

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