Präsidentschaftskandidat der Republikaner:Ben Carsons gefährliche Erinnerungslücken

Ben Carson

Ben Carson bei einem Auftritt Ende Oktober in Colorado.

(Foto: AP)

Ben Carson wird bewundert, weil er sich aus der Armut zum Star-Chirurgen hochgearbeitet hat. Doch Episoden seiner Vita sollen ausgedacht sein - Konkurrent Trump nennt ihn einen "Lügner".

Von Matthias Kolb, Washington

Ben Carson ist das Phänomen der Stunde, hat Donald Trump an der Spitze der republikanischen Vorwahl-Umfragen abgelöst. Drei Eigenschaften haben ihm dabei geholfen: Carson hatte nie ein politisches Amt inne (ist also eher nicht von Lobbyisten korrumpiert), er tritt stets höflich und ruhig auf (anders als Trump) und hat eine selbst für amerikanische Verhältnisse außergewöhnliche Karriere hinter sich.

Die Biografie des 64-Jährigen im Schnelldurchlauf: Carson wuchs in ärmsten Verhältnissen in Detroit als Sohn einer alleinerziehenden Mutter auf, die kaum lesen konnte und unermüdlich schuftete. Fernsehen war streng reglementiert, stattdessen musste Ben jede Woche zwei Bücher lesen und diese schriftlich zusammenfassen. Der Fleiß lohnte sich: Er studierte Medizin in Yale und leitete mit 33 Jahren die Abteilung für Kinder-Gehirnchirurgie in Baltimore. 1987 gelang es ihm, nach 22 Stunden Operation zwei siamesische Zwillinge voneinander zu trennen, deren Köpfe verbunden waren. Das machte ihn weltberühmt. Seine Autobiographie "Gifted Hands" verkaufte sich millionenfach und wurde verfilmt.

Der Erfolg des Präsidentschaftskandidaten Carson ist so fest mit seinem Lebensweg verbunden wie die Körper siamesischer Zwillinge. Er gibt den Anti-Politiker, der die USA regieren könne, weil er in anderen Feldern genügend Erfahrungen gesammelt habe. Da ist er gar nicht so weit von seinem Konkurrenten Trump entfernt. Doch Biografie und Bild des strahlenden Außenseiters bekommen nun graue Stellen: In mindestens zwei Fällen nahm es Carson mit der Wahrheit offenbar nicht so genau.

  • Carson war als Teenager nicht gewalttätig. Ein wichtiger Narrativ im 1990 erschienenen Buch "Gifted Hands" sind die Wutanfälle des Teenagers Ben. So habe er seine Mutter mit einem Hammer angegriffen, einem Klassenkameraden ins Gesicht geschlagen und als 14-Jähriger versucht, einem Freund ein Messer in den Bauch zu rammen. Die Klinge sei aber an dessen Gürtelschnalle zerbrochen. Recherchen von CNN zeigen nun, dass sich neun Schulfreunde Carsons an keinen dieser Vorfälle erinnern können. Sie zweifeln die Buch-Version zwar nicht an, aber Ex-Klassenkamerad Gerald Ware sagt: "Über solche Vorfälle hätte die ganze Schule geredet."

Late-Night-Talker Jimmy Kimmel scherzte jüngst, dass sich Carson wie ein Gangster-Rapper benehme. Doch die Geschichte des harten Kerls ist - wählerwirksam - auch die eines Menschen, der zu Gott gefunden hat. Er habe nach einem Streit im Badezimmer gebetet und in der Bibel eine Stelle gefunden, die er als Aufruf zur Selbstkontrolle interpretierte. "Ich war ein anderer Mensch, als ich das Badezimmer verließ", sagte Carson laut CNN noch im September bei einem Auftritt in San Francisco. Seine Religiösität macht Carson gerade in Iowa, wo die erste Vorwahl abgehalten wird und viele evangelikale Christen leben, populär (mehr in dieser SZ.de-Reportage).

  • Carson hat sich nie an einer Elite-Militärakademie beworben. In "Gifted Hands" beschreibt Carson, wie er als 17-Jähriger einen Armee-General kennenlernte. Dieser habe ihm nach einem Abendessen ein "Vollstipendium" für die renommierte Military Academy in West Point angeboten. Carson wollte sich jedoch der Medizin widmen. Diese Version ("ich war begeistert vom West-Point-Angebot") beschrieb er nicht nur in einem weiteren Buch, sondern verwendete sie noch im August in einem Facebook-Post sowie in einer Talkshow im Oktober 2015.

Auf Nachfrage von Politico erklärte eine West-Point-Sprecherin, dass sich in den Unterlagen keine Bewerbung Carsons finde. Ein Sprecher des 64-Jährigen sagte dem Polit-Magazin, die Offiziere hätten damals gesagt, dass er mit seinen Noten "leicht" in West Point aufgenommen werden könne. Der New York Times sagte Carson am Freitag: "Ich erinnere mich nicht an die genauen Details. Das Angebot war eher informell."

Carson sieht sich von den Medien verfolgt

Natürlich kann es passieren, dass die Erinnerung an Einzelheiten aus dem Jahr 1969 verschwimmt, aber in Carsons Fall sind diese Lücken gefährlich für seine politischen Ambitionen.

Auf seinen Reisen durchs Land wirbt er damit, anders und vor allem ehrlicher zu sein als die "Karrierepolitiker". Es passt ideal in dieses Bild, dass Carson als Teenager zwischen der Wissenschaft und dem Militär schwankte - und auch bereit gewesen wäre, als Soldat sein Leben für die USA zu riskieren.

Wie sich der Republikaner rechtfertigt

Carson erklärte am Freitag, dass er in seiner Autobiografie keine echten Namen verwendet habe, um die betreffenden Personen zu schützen. Anders als etwa bei Barack Obama fehlt jedoch ein entsprechender Hinweis zu Beginn des Buches. Dass seine Klassenkameraden sich nicht erinnern könnten, liege an der "privaten Natur" der Ereignisse. Er wirft CNN vor, "eine Menge Lügen" zu verbreiten, um nicht über die eigentlichen Probleme des Landes reden zu müssen.

Es ist wohl zu voreilig, darüber zu orakeln (etwa in diesem Artikel von "The Fix"), ob diese Berichte die politische Zukunft Carsons entscheiden werden. Denn das enorme Misstrauen vieler Konservativer gegenüber Medien wie CNN, New York Times oder Politico wird erfahrungsgemäß dazu führen, dass Carsons Anhänger die kritischen Nachfragen als "Teil einer laufenden Hexenjagd" betrachten werden. Das Wort "Hexenjagd" benutzt etwa Armstrong Williams, ein Freund Carsons, in einem Interview mit der Washington Post. Und Carson selbst spricht bei Twitter gar von einem weiteren "Auftragsmord" der Medien.

Was aber abzusehen ist: Viele US-Journalisten werden nach Belegen für weitere Episoden in der Lebensgeschichte von Ben Carson suchen und ihn mit - möglichen - Ungereimtheiten konfrontieren. Die nun gezeigte Gereiztheit offenbart einen anderen, weniger ruhigen und kontrollierten Carson - dieses Verhalten könnte seine phänomenalen Popularitätswerte gefährden.

Einer seiner Rivalen diskutiert natürlich fleißig mit: Für Donald Trump sind die aktuellen Berichte der Beweis dafür, dass Ben Carson ein Lügner ist. In der nächsten TV-Debatte der Republikaner am kommenden Dienstag dürfte es darüber zum Schlagabtausch kommen.

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