Präsidentschaftswahl in Syrien:Assads blutige Wahlparodie

160 000 Menschen tot, Millionen auf der Flucht, das Land zerstört. Syriens Präsident Assad bittet dennoch zur Wahl und wählt ein zynisches Motto. Es scheint, als wäre das grausame Kalkül des Diktators aufgegangen: Die demokratische Welt hält ihn nicht mehr für das größte Übel.

Von Sebastian Gierke

Die Wahlplakate kleben überall auf den Ruinen Syriens. Darauf, als Wahlspruch: "Gemeinsam". Der Wahlslogan der regierenden Baath-Partei könnte kaum zynischer sein.

An diesem Dienstag findet im vom Bürgerkrieg zerstörten Syrien zum ersten Mal seit 1970, seit fast 45 Jahren, wieder eine Wahl statt. Mitten im Bürgerkrieg, inszeniert von einem Machthaber, der Krieg gegen sein eigenes Volk führt. Diese Wahl ist eine Farce, nicht nur, weil das Ergebnis bereits feststeht.

Die Rahmenbedingungen: Im März 2011 brach in Syrien der Bürgerkrieg aus. Was mit Demonstrationen in der Hauptstadt Damaskus begann ("Syrien ohne Tyrannei"), breitete sich schnell über das gesamte Land aus. Die Menschen, die damals auf die Straße gingen, wollten eine friedliche Revolution. Davon ist allerdings schon lange nichts mehr übrig. Das halbe Land liegt in Trümmern. Im Bürgerkrieg, in dem sich die syrische Armee, staatsnahe Milizen und teils verfeindete Oppositionsgruppen bekämpfen, sind bislang 160 000 Tote zu beklagen. 6,5 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, 2,6 Millionen Syrer sind ins Ausland geflohen. Drei von vier Menschen leben in Armut, die Arbeitslosigkeit im Land ist seit 2011 von zehn Prozent auf mehr als 54 Prozent gestiegen. Die Vereinten Nationen sprechen von "der schlimmsten humanitären Katastrophe nach Ruanda."

Debris and damage are pictured at a site hit by what activists said was an air strike by forces loyal to Syria's President Assad in al-Shaar neighbourhood of Aleppo

Ein zerstörter Straßenzug in Aleppo.

(Foto: REUTERS)

Wer das Land kontrolliert: Schon lange ist nicht mehr erkennbar, wo in Syrien die Fronten verlaufen. Das Land ist zum Aufmarschgebiet von Terroristen, von fanatischen Gotteskämpfern und Söldnern geworden. Assad kontrolliert nach Einschätzung des französischen Nahostexperten Fabrice Balanche aktuell nur knapp die Hälfte des Landes, damit aber die Heimatgebiete von 60 Prozent der Bevölkerung. Er herrscht über wichtige Machtzentren, die Hauptstadt Damaskus im Süden, seit der Rückeroberung im Mai auch wieder über die einstige Rebellenhochburg Homs im Westen und Aleppo im Nordwesten. Im Laufe der vergangenen drei Jahre ist der Konflikt auch zu einem Heiligen Krieg geworden, einem Krieg der islamischen Glaubensrichtungen: Schiiten gegen Sunniten. Die Familie Assad gehört zu den Alawiten, einer der Minderheit der Schiiten nahestehenden religiösen Gruppe. In den vergangenen Monaten strömten Tausende schiitische Fanatiker beispielsweise aus dem Irak, dem Libanon oder Iran nach Syrien, um Assad zu unterstützen. Und so führen in Syrien nicht mehr nur Rebellen gegen Regimetreue Krieg, sondern die beiden großen verfeindeten Glaubensrichtungen des Islam.

Was Assad mit der Wahl bezweckt: Kein anderes Regime außer dem Assads hat in jüngster Vergangenheit sein eigenes Land derart zerstört. Für den Diktator Assad, seit 14 Jahren Präsident und Angehöriger einer Minderheit, gibt es in Syrien nur zwei Optionen: absolute Macht oder der Totalverlust seines Einflusses und seiner Bedeutung. Um die Macht zu festigen, braucht der 48-Jährige diese Wahlen.

Warum die Gegenkandidaten keine Gegner sind

Seit den ersten Demonstrationen tut Assad den Aufstand stur als "Verschwörung" ab und macht "Terroristen" für die Gewalt im Land verantwortlich. Er wird versuchen, aus dem Ergebnis demokratische Glaubwürdigkeit und Legitimität für sich abzuleiten. Dabei hat er Legitimität schon lange verloren - auch gegenüber dem Ausland. Verhandlungen, so sie denn stattfinden, zum Beispiel in Genf, werden nach der Wahl noch schwieriger oder ganz eingestellt werden. Assads ständig wiederholtes Argument, das Ausland hätte kein Recht, sich in Syrien einzumischen, würde gestärkt - zumindest aus seiner Sicht. Einer seiner Vertrauten sagt: Mit der Organisation der Präsidentenwahl mitten im Bürgerkrieg wolle der Präsident zeigen, "dass er der Garant für die Institutionen ist, die seine Gegner zerstören wollen".

Warum die Gegenkandidaten keine Gegner sind: Zum ersten Mal seit fast fünf Jahrzehnten hat die Bevölkerung in Syrien die Wahl, zum ersten Mal gibt es Gegenkandidaten. Denn im Jahr 2000, als Baschar die Nachfolge seines gerade gestorbenen Vaters Hafis al-Assad antrat, sowie im Jahr 2007 wurde jeweils nur eine Art Abstimmung per Akklamation abgehalten - mit Zustimmungswerten nahe 100 Prozent. Diesmal hat Damaskus zugelassen, dass zwei alternative Kandidaten auf den Wahlzetteln stehen. Der Geschäftsmann Hassan al-Nuri und der Abgeordnete Maher al-Hadschar haben allerdings keine Chance. Sie gehören ebenfalls der Baath-Partei an, der einzigen Partei Syriens. Beide sind regimetreu, gelten als handverlesene Marionetten Assads. Auf ihren Wahlplakaten ist im Hintergrund ein Porträt des Präsidenten zu sehen. Einen Kandidaten der Opposition gibt es nicht - sie hat angekündigt, an der Wahl nicht teilnehmen zu wollen.

Wer seine Stimme abgeben kann: Das syrische Innenministerium behandelt die Präsidentenwahl mitten im Bürgerkrieg wie einen normalen Wahlgang und hat die 15,8 Millionen Wahlberechtigten aufgefordert, zwischen 7 Uhr und 19 Uhr ihre Stimme abzugeben. Die Wähler können sich eines der mehr als 9000 Wahllokale landesweit aussuchen. Auch die Millionen Syrer, die ihre Häuser verlassen mussten und auf der Flucht sind, sollen damit die Chance zur Stimmabgabe erhalten. Faktisch wird allerdings nur in zwei Fünfteln des Staatsgebiets gewählt, denn wo die Rebellen die Kontrolle haben, ist dies unmöglich. Ungewiss ist, wie sich die 6,5 Millionen Vertriebenen und 2,8 Millionen Flüchtlinge im Ausland beteiligen. Die Flüchtlinge im Ausland hat das Regime jedenfalls aufgefordert, bereits eine Woche vor dem Wahltermin in Syrien ihre Stimme abzugeben. So strömten am vergangenen Mittwoch 80 000 Syrier zur syrischen Botschaft in Beirut. Viele von ihnen wurden in Bussen dorthin gebracht, von der schiitischen Hisbollah-Miliz, die Assad im Kampf unterstützt. Viele Auslands-Flüchtlinge fürchten allerdings, nicht mehr nach Syrien einreisen zu dürfen, sollten sie bei der Wahl nicht für Assad stimmen.

Um Exilanten vor diesem Dilemma zu schützen, haben die Regierungen von Frankreich, Belgien und Deutschland ein solches Verfahren nicht erlaubt: Sie sprechen von einer "Parodie der Demokratie". Wie viele von den im Ausland lebenden Flüchtlingen tatsächlich wählen gehen, ist nicht abschätzbar.

Welche Auswirkungen die Wahl hat: Assad wird eine solche Wahl, wie sie jetzt stattfindet, mit überwältigender Mehrheit gewinnen. Deshalb gibt es keinen Grund, danach auf politischen Wandel zu hoffen, allenfalls eine kleine, symbolische Regierungsumbildung ist denkbar. Die internationalen Bemühungen um ein Ende des Bürgerkriegs sollen aber auch nach der Wahl fortgesetzt werden. Zum Beispiel mit einem neuen Treffen der Syrien-"Freundesgruppe". Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte kurz vor dem Abstimmungstermin, die Staatengemeinschaft werde mit dem Ausgang der Wahl "leben müssen". Anschließend müsse jedoch neu versucht werden, "die Chance einer politischen Lösung auszuloten". Einen Plan zur politischen Lösung des Konflikts hat allerdings auch Steinmeier nicht. Es hat fast den Anschein, als wäre Assads Kalkül aufgegangen, den Konflikt auszusitzen. Im Westen fürchten sich mittlerweile viele mehr vor den Islamisten und glauben, Assad sei das kleinere Übel. Selbst der Einsatz von Giftgas gegen die eigene Bevölkerung scheint an dieser Einschätzung nichts geändert zu haben.

Die Wahl in Syrien wird für Millionen Menschen keine Verbesserung ihrer Lage bringen. Wenige Tage vor der Wahl kursieren auf dem Kurznachrichtendienst Twitter unter dem Hashtag ("Sawa") des Baath-Slogans viele Variationen: "Gemeinsam zerstören", zum Beispiel. Oder: "Gemeinsam töten."

Linktipp:

Mit Material von AFP.

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