Präsidentenwahl in Kenia:Predigen gegen den Hass

Präsidentenwahl in Kenia: Friedliche Präsidentschaftswahlen in Kenia - viele Menschen in dem Land hoffen darauf.

Friedliche Präsidentschaftswahlen in Kenia - viele Menschen in dem Land hoffen darauf.

(Foto: AFP)

Vor der Präsidentenwahl wächst in Kenia die Nervosität: Wird es wieder zu Gewaltexzessen kommen wie 2007? Konflikte zwischen verschiedenen Clans, Ethnien und Religionsgruppen brodeln seit langem. Ein Friedensstifter arbeitet unter Lebensgefahr - und zeigt sich dennoch zuversichtlich.

Von Tobias Zick, Garissa

Es sollte ein Moment der Versöhnung werden, eine Zusammenkunft in Frieden und Verständigung. Doch es wird ein Tag der Vorwürfe. Eine Frau mit blauem Kopftuch erhebt sich, ein Moderator reicht ihr das Mikrofon, und mit vorsichtiger Stimme sagt sie: "Die Soldaten, die hierherkommen, sind Killer. Sie werden zu uns geschickt, weil sie anderswo straffällig geworden sind. Die Regierung missbraucht unsere Stadt als Schauplatz für Disziplinarverfahren."

Direkt danach ergreift ein junger Mann das Wort: "Die Leute, die andere umbringen, kommen oft in einem bestimmten Fahrzeug. Und der Besitzer dieses Fahrzeugs sitzt mit in diesem Saal. Nicht wahr?"

Der rundliche Mann in der Mitte des Podiums hat lange geduldig geschwiegen, nun ist einer der wenigen Momente gekommen, in denen er sich einmischt. "Wir wollen hier bitte nicht mit Unterstellungen arbeiten", sagt er ins Mikrofon, "dies ist doch nicht der Ort dafür."

Der Mann auf dem Podium heißt Mzalendo Kibunjia, er hat gemütliche, weiche Gesichtszügen und ist qua Amt so etwas wie der oberste Friedensstifter Kenias. Er hat die Aufgabe, Konflikte zu lösen, bevor sie ausbrechen und voreilige Schuldzuweisungen zu unterbinden.

Einer der Favoriten - angeklagt in Den Haag

Er hat allerhand zu tun, vor allem in einem Ort wie Garissa. Weniger optimistische Naturen wären an diesem Ort vielleicht versucht, den Job an den Nagel zu hängen. Mzalendo Kibunjia, ist Vorsitzender der "Nationalen Kommission für Kohäsion und Integration". Er hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die 43 Millionen Kenianer ein Gefühl der Einheit entwickeln. Er soll garantieren, dass die Präsidentschaftswahl am kommenden Montag friedlich verlaufen. Anders als 2007.

Damals massakrierten sich wütende Horden gegenseitig, aufgehetzt von den rivalisierenden Kandidaten. Etwa 1300 Menschen starben, mit Macheten zerstückelt oder von Pfeilen durchbohrt. Hunderttausende Vertriebene leben bis heute fernab ihrer Heimat. Einer der mutmaßlichen Mitanstifter jener Gewaltwelle, gegen den ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag läuft, gilt als einer von zwei Favoriten: Uhuru Kenyatta.

Garissa ist ein besonders schwieriger Fall, weil dort mehrere Konflikte auf einmal ausgetragen werden. Der Ort, etwa hundertfünfzig Kilometer von der somalischen Grenze entfernt, ist so etwas wie ein Vorposten des kriegszerfressenen Nachbarlandes. Ein Großteil der Bewohner sind ethnische Somali.

Seit Kenia Truppen ins Nachbarland Somalia schickt, um dort die islamistischen Al-Shabaab-Milizen zu bekämpfen, tragen die den Konflikt über die Grenze. Sie drohen, Garissa zu erobern, als Rache dafür, dass die Kenianer die somalische Hafenstadt Kismayu eingenommen hatten.

Christen gegen Muslime, Kenianer gegen Somali

Mzalendo Kibunjia sitzt in dem Konferenzsaal eines Hotels am Stadtrand Garissas, ins Zentrum wagt er sich gar nicht erst vor. Er wäre, trotz Eskorte, nicht sicher, dass er lebend wieder herauskommt: Die Stadt ist von Gewalt zerrissen; Pfarrer, Imame, Soldaten werden ohne Vorwarnung niedergeschossen, und rachsüchtige Soldaten massakrieren scheinbar wahllos Stadtbewohner.

Präsidentenwahl in Kenia: Plakate von Präsidentschaftskandidat Uhuru Kenyatta: Er ist einer der Favoriten - und in Den Haag angeklagt.

Plakate von Präsidentschaftskandidat Uhuru Kenyatta: Er ist einer der Favoriten - und in Den Haag angeklagt.

(Foto: AFP)

Als Mzalendo Kibunjia am Nachmittag wieder in seinen Wagen steigt, um zurück in die Hauptstadt Nairobi zu fahren, sagt er: "Ich war in den letzten vier Jahren überall in Kenia unterwegs. Garissa ist nun wirklich der schwierigste Fall von allen." Eskortiert von einem zweiten Wagen, in dem ein Soldat mit Maschinengewehr sitzt, schlägt er auf dem Rücksitz seinen Notizblock auf.

Auf der ersten Seite hat er skizziert, aus welchen Schichten sich die Konfliktlage in Garissa zusammensetzt. Ein Diagramm aus waagerechten und senkrechten Pfeilen: Drei Clans, die einander zu vertreiben versuchen, um sich selbst in den Wählerregistern die Mehrheit zu sichern. Christen gegen Muslime. Kenianische Somali gegen somalische Flüchtlinge. Am linken Blattrand ein senkrechter Balken, "Politik", rechts "Terrorismus".

"Die beiden Kräfte pressen zusätzlich von den Seiten auf die seit Jahren brodelnden Konflikte", sagt er. Obendrein nun, über allem schwebend: Sicherheitskräfte versus lokale Bevölkerung. "Für heute haben wir erst einmal oben angefangen", sagt er und schlägt das Deckblatt zurück auf den Block. Er hätte auch sagen können: ganz an der Oberfläche.

Der Job eine Herausforderung - und eine Gefahr

Als studierter Anthropologe hat Mzalendo Kibunjia Erfahrung im Vermitteln zwischen Konfliktparteien. Sein letzter Job war allerdings ruhiger. Bei der staatlichen Museumsbehörde brachte er Leute in quälend langen Meetings zusammen, die darum stritten, ob ein Stück Wald an der Küste ein schützenswertes nationales Erbe oder potenziell gewinnträchtiges Farmland sei. "Das habe ich 22 Jahre lang gemacht", sagt er, "ich war es allmählich leid, ich war auf der Suche nach Abwechslung."

Als er 2008 die Ausschreibung für die Stelle als Vorsitzender der neu gegründeten Kommission sah, klang für ihn alles danach, als handele es sich um genau die Herausforderung, auf die er gewartet hatte. "Was sie in der Ausschreibung allerdings nicht erwähnten", sagt er: "Dass ich mich mit hohen Politikern würde anlegen müssen."

Im Sommer 2010 stimmten die Kenianer in einem Referendum über eine neue Verfassung ab, die die Machtverhältnisse im Land neu verteilen würde. Damals verkündete eine Reihe von Abgeordneten in öffentlichen Reden, man werde, wenn die Verfassung in Kraft trete, alle Angehörigen einer anderen Volksgruppe endgültig vom Land der eigenen Vorfahren vertreiben - oder alle, die mit "Ja" stimmten, würden anschließend umgebracht.

Kibunjia übergab seine gesammelten Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft. Danach musste er sein Sozialleben auf ein Minimum reduzieren, weil er immer wieder von anonymen Anrufern bedroht wird. Bei den Konflikten, die er in seinem früheren Job zu lösen hatte, ging es oft um wirtschaftliche Interessen. "Das hier greift viel tiefer", sagt er, "es ist etwas Kulturelles, über Generationen Gewachsenes".

Verspielte Einigungschancen in Kenia

Das erste, was zum Beispiel ein Turkana-Kind lerne, sei, dass ein Vertreter der Ethnie der Pokot sein Feind Nummer eins sei. Vielleicht bekommt das Kind mit, wie ein Verwandter von einem Pokot getötet wird. "Und dann gehst du zu den Leuten und erzählst ihnen: Respektiert einander, liebt euch, wir sind doch alle Kenianer. Es ist nicht immer einfach."

Doch es gibt Erfolgsmeldungen: In der Stadt Nakuru hatten sich nach den Wahlen 2007 die Ethnien Kikuyu und Kalenjin bekriegt. Vor einem halben Jahr brachte Kibunjia die verfeindeten Parteien dazu, einen Friedensvertrag zu unterschreiben, seither ist es ruhig, "ich denke, das war unser größter Durchbruch bislang", sagt er.

In einer anderen Provinz allerdings, Tana River, hatte er die verfeindeten Orma und Pokomo dazu gebracht, ein ähnliches Abkommen zu unterzeichnen. Doch dort sind in den vergangenen Monaten viele Dutzend Menschen gestorben, weil Orma und Pokomo im Streit um Weidegründe und Wasser einander aufs Neue massakrierten.

Warum ist Kenia bis heute so zersplittert entlang ethnischer Bruchlinien? Sind die britischen Kolonialherren schuld, die seinerzeit nach dem Prinzip "Teile und herrsche" regierten? "Wir können nicht auf ewig die Kolonialmacht für unsere Probleme verantwortlich machen", sagt Kibunjia. "Wir hatten jetzt fünfzig Jahre Zeit, das zu ändern, was uns nicht gefällt. Wir haben zwei große Chancen, zu einer echten Nation zusammen zu wachsen, schlicht verspielt."

Prinzip Abschreckung

Die erste: Als Kenia 1963 unabhängig wurde, "da waren wir alle vereint gegen den Kolonialismus". Und 2002. Da waren sich viele einig, dass Dauer-Präsident Daniel arap-Moi weg müsse. "Aber beide Male haben sich die Mächtigen dann doch wieder ihren eigenen Volksgruppen zugewandt und andere ausgeschlossen."

Mzalendo Kibunjia gibt sich trotz allem optimistisch, dass die kommenden Wahlen friedlich verlaufen werden. In Umfragen haben zuletzt nur noch elf Prozent der Befragten angegeben, sie hätten in letzter Zeit Botschaften vernommen, die zum Hass auf andere Volksgruppen aufrufen. Im Jahr 2009, als die Kommission die Arbeit aufnahm, waren es noch mehr als 70 Prozent gewesen.

"Darauf bin ich durchaus ein bisschen stolz", sagt er. Seine Kommission hat Fernsehkampagnen gegen Hassbotschaften lanciert, und bei politischen Veranstaltungen schickt sie Beobachter, die sich unters Volk mischen. "Das hat sich herumgesprochen", sagt Mzalendo Kibunjia, "es wirkt. Kein einziger der Politiker, die wir einmal ermahnt haben, ist danach ein weiteres Mal durch Hassreden aufgefallen."

Ein weiterer Grund für ihn, auf friedliche Wahlen zu hoffen: In den Gegenden, wo beim letzten Mal plötzlich die Gewalt eskalierte, sagten inzwischen viele Leute: "Wir sind bereit." Soll heißen: Sie haben sich bewaffnet, damit sie im Falle einer Attacke rechtzeitig zurückschlagen können.

Das Prinzip Abschreckung also, als Garant für leidliche Stabilität? "Ja", sagt Kibunjia, während das Auto an einer Herde von Kamelen vorbeirast, die sich um ein Wasserloch drängen, "die heutige Situation hat durchaus Parallelen zum Kalten Krieg."

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