Präsidentenwahl in Iran:Wächterrat stellt Unregelmäßigkeiten fest

Die Proteste in Iran dauern an - und nun hat der mächtige Wächterrat neue Details bekanntgegeben. Demnach habe es bei der Präsidentenwahl in 50 Städten mehr Wähler als Wahlberechtigte gegeben. Es gehe um drei Millionen Stimmen. Oppositionsführer Mussawi ruft seine Anhänger zum Durchhalten auf.

Der mächtige Wächterrat hat Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl am 12. Juni in Iran festgestellt. Wie der iranische Fernsehsender Press TV am Sonntag auf seiner Internetseite berichtete, habe es in 50 Städten mehr Wähler als Wahlberechtigte gegeben.

Präsidentenwahl in Iran: Zwei Iranerinnen schützen sich bei Protesten am Samstag vor Rauchschwaden oder Tränengas.

Zwei Iranerinnen schützen sich bei Protesten am Samstag vor Rauchschwaden oder Tränengas.

(Foto: Foto: AP)

Der Sprecher des Wächterrats, Abbas Ali, sagte im Fernsehsender IRIB, die Unregelmäßigkeiten beträfen mehr als drei Millionen Stimmen. Dies ändere jedoch nichts am Wahlsieg von Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad, sagte Ali.

Ahmadinedschad hatte nach offiziellen Angaben bei der Wahl fast 63 Prozent der Stimmen erhalten, der Oppositionskandidat Mir Hussein Mussawi kam lediglich auf knapp 34 Prozent.

In der Islamischen Republik Iran ist der Wächterrat ein mächtiges Kontrollorgan. Seine Mitglieder prüfen alle vom Parlament vorgelegten Gesetze, ob sie mit den islamischen Grundsätzen übereinstimmen. Außerdem hat er bei allen politischen Entscheidungen von Tragweite das letzte Wort.

Mussawi rief am Sonntagabend seine Anhänger zur Fortsetzung der Proteste auf. Angesichts des gewaltsamen Vorgehens der Sicherheitskräfte forderte er jedoch zur Zurückhaltung bei Demonstrationen gegen die umstrittene Wiederwahl von Ahmadinedschad auf. "Es ist euer Recht, gegen Lügen und Betrug zu protestieren, aber ihr solltet immer Zurückhaltung üben", heißt es auf einer auf Mussawis Internetseite verbreiteten Erklärung.

"Starke Unglaubwürdigkeiten"

Auch am Sonntagabend berichteten Augenzeugen wieder von Schüssen, die aus mehreren Teilen der iranischen Hauptstadt zu hören gewesen seien. In Sprechchören sollen Gegner des ultrakonservativen Präsidenten immer wieder "Allah ist groß" und Mussawis Namen gerufen haben. Auch "Tod dem Diktator" sei immer wieder zu hören gewesen.

Einzelheiten - etwa über mögliche weitere Opfer - waren zunächst nicht in Erfahrung zu bringen, nachdem die iranische Regierung die Berichterstattung auch der ausländischen Medien immer weiter eingeschränkt hat. Auch am Sonntag wurden wieder Journalisten festgenommen oder des Landes verwiesen.

Eine britische Analyse der offiziellen Ergebnisse der Präsidentenwahl sprach unterdessen von "starken Unglaubwürdigkeiten". Die vom iranischen Innenministerium herausgegebenen Daten setzten einen radikalen Wandel in den Wählerstrukturen voraus, erklärte die britische Denkfabrik Chatham House. Nur ein "sehr unwahrscheinlicher" Wechsel von ehemals reformorientierten Wählern zu Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad könnte das gemeldete Wahlergebnis zu erklären.

Den gemeldeten Ergebnissen zufolge müssten 47,5 Prozent der Wähler, die beim letzten Urnengang vor vier Jahren Reformkandidaten unterstützten, jetzt für den konservativen Ahmadinedschad gestimmt haben. Dies sei "sehr unglaubwürdig", hieß es in einer Studie von Chatham House. In den konservativen Provinzen Masandaran und Jasd hätten den offiziellen Wahlergebnissen gar mehr als 100 Prozent der Wähler ihre Stimme abgegeben - diese Unstimmigkeiten hatte nun auch der Wächterrat moniert.

Bei den letzten Wahlen in den Jahren 1997, 2001 und 2005 seien konservative Kandidaten und Ahmadinedschad bei der ländlichen Bevölkerung Irans sehr unbeliebt gewesen, hieß es in der Studie. Dieses Jahr dagegen habe der Amtsinhaber laut offiziellen Ergebnissen auf dem Lande plötzlich besonders gut abgeschnitten. Dieser angebliche Popularitätssprung liege in krassem Gegensatz zu früheren Trends.

Am Sonntag sorgte ein Video im Internet weltweit für Aufregung, das angeblich den Tod einer jungen Frau am Rande der Demonstration in Teheran vom Samstag zeigt. In den sozialen Netzwerken im Internet hieß es, die 19-jährige Neda sei von einem Scharfschützen der berüchtigten und Ahmadinedschad nahestehenden "Basidsch"-Milizen tödlich getroffen worden, während sie mit ihrem Vater die Proteste beobachtete. Die Echtheit der Aufnahme und die geschilderten Umstände konnten jedoch nicht nachgeprüft werden.

Netanjahu unterstützt Demonstranten

Die Konfrontation zwischen beiden Lagern hatte sich weiter zugespitzt, als sich der oberste Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, am Freitag eindeutig hinter Ahmadinedschad gestellt und Wahlfälschung in großem Stil ausgeschlossen hatte.

Mussawi warf der Regierung vor, für den Tod von mindestens zehn Demonstranten bei Kundgebungen am Samstag in Teheran verantwortlich zu sein. Die Weigerung des Innenministeriums, die Demonstration zu erlauben, habe erst zu den gewaltsamen Zusammenstößen geführt. Nach einer offiziellen Bilanz wurden Hunderte Menschen verletzt und mehr als 450 festgenommen. In Oppositionskreisen ist von mindestens 200 weiteren Festnahmen die Rede.

Schon vor der Kundgebung am Samstag sollen Dissidenten, Journalisten und auch ehemalige Regierungsmitglieder festgesetzt worden sein. Die Gesamtzahl der Toten seit Beginn der Proteste am 13. Juni dürfte damit zwischen 18 und 25 liegen. Wie die Polizei am Sonntag mitteilte, wurden "457 Randalierer, die an der Beschädigung öffentlichen Eigentums beteiligt waren", festgenommen.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zollte den Demonstranten in Iran Anerkennung. Derzeit zeige sich "ein mächtiges Verlangen nach Freiheit in einem Teil des iranischen Volkes", sagte Netanjahu der Bild-Zeitung. Ein Machtwechsel im Iran könne sich positiv auf die Beziehungen zwischen Israel und Iran auswirken.

"Unter einem anderen Regime könnten die friedlichen Beziehungen, die in der Vergangenheit vorherrschten, wiederhergestellt werden", sagte Netanjahu. Es geben keinen grundsätzlichen Konflikt zwischen den Völkern Irans und Israels. Das jetzige Regime in Teheran sei "ein theokratischer, totalitärer und brutaler Staat, der dem iranischen Volk keine freie Wahl lässt", kritisierte der israelische Regierungschef.

Internationaler Druck

Der Druck auf die Führung in Teheran nimmt internationale zu. Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte eine Neuauszählung der Stimmen bei der umstrittenen Präsidentenwahl. "Deutschland steht auf Seiten der Menschen im Iran, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit ausüben wollen".

US-Präsident Barack Obama rief Teheran dazu auf, "alle gewalttätigen und unberechtigten Handlungen gegen die Menschen im eigenen Land zu stoppen".

Ahmadinedschad warnte seinerseits die westlichen Staaten vor einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Irans. Obama und den britischen Premierminister Gordon Brown forderte er auf, ihre "interventionistische Haltung" zu korrigieren. Mit ihren "voreiligen Kommentaren" gehörten sie nicht zu den Freunden der Iraner, zitierte die Nachrichtenagentur Isna Ahmadinedschad.

Die Zahl der Journalisten, die seit Beginn der Proteste festgenommen wurden, hat sich am Wochenende drastisch erhöht. Wie die internationale Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) am Sonntag in Paris mitteilte, sitzen mittlerweile 33 Reporter und Internet-Blogger hinter Gittern. Damit hat sich die Zahl der Festgenommenen seit Freitag nahezu verdoppelt. "Iran ist jetzt das weltgrößte Gefängnis für Medienvertreter", hieß es in einer Mitteilung der Reporter ohne Grenzen.

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