Präsident Wulff in der Türkei:Die Reifeprüfung

Das richtige Ziel zur richtigen Zeit bei stürmischer Debatte: Christian Wulff fasst Fuß. Die Reise an den Bosporus ist eine große Chance für das Staatsoberhaupt.

Peter Lindner

Politik lebt von der Kunst, den richtigen Zeitpunkt für Themensetzung zu erkennen - und zu nutzen. Das gilt auch für den Bundespräsidenten. Er wirkt vor allem durch das Wort, oder besser: Er sollte dadurch wirken.

Wulff  Lengsfeld

Wird er der Präsident der Integration? Christian Wulff im Garten von Schloss Bellevue.

(Foto: dpa)

Christian Wulff, der von Kanzlerin Angela Merkel erkorene erste Mann im Staate, hatte einen holprigen Start. Nun gelingt es ihm immer besser, seine Rolle auszufüllen. Das belegen nicht zuletzt die lebhaften Reaktionen auf seine Rede zum Tag der Deutschen Einheit - und das von ihm formulierte Faktum, auch der Islam gehöre zu Deutschland.

Mit der Integration von Migranten hat der Präsident zur rechten Zeit das richtige Thema besetzt - gesetzt hat es vor ihm allerdings ein anderer. Das war Thilo Sarrazin.

Wulffs Staatsbesuch in der Türkei, der am gestrigen Montag in Ankara begann, hatte ebenfalls ein anderer initiiert: Das war sein Vorgänger Horst Köhler. Er fand, viele Jahre nach der letzten Visite von Johannes Rau, sei die Zeit reif.

Nun aber kann das reisende Staatsoberhaupt die Gunst der Stunde nutzen.

Mit Wulff besucht zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder ein deutscher Bundespräsident die Türkei. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt wird der 51-Jährige, der von seiner Frau Bettina und einer Wirtschaftsdelegation begleitet wird, an diesem Dienstag vor der türkischen Nationalversammlung eine Rede halten.

Bleibt sich Wulff treu, wagt er auch hier wenig - und gewinnt trotzdem: Er wird sich wohl vor allem als Versöhner und Brückenbauer präsentieren, zwischen Muslimen und Christen, zwischen Deutschen und Türken. Worte zu tagesaktuellen Streitereien werden in seiner Rede dagegen keinen Platz finden. Verständlicherweise. Schließlich ist Wulff nicht auf einem Parteitag zu Gast, sondern spricht als deutscher Bundespräsident vor der Großen Türkischen Nationalversammlung.

Auf dem Höhepunkt der Zuwanderungsdebatte bietet die Reise dem Präsidenten in dem muslimisch geprägten Land die Chance, sich mit seinem selbst gewählten Kernthema "Integration" zu profilieren - und sich als Staatsmann Respekt zu verschaffen. Gleich zu Beginn setzte er sich deutlich von den irrlichternden Parteifreunden ab und nahm die Türken vor Pauschalurteilen in Schutz.

Präsidiale Patzer

Reüssiert Christian Wulff am Bosporus, sind auch die ersten Fauxpas vergessen. Dass er kurz nach seiner Wahl auf dem Luxus-Anwesen des Unternehmers Carsten Maschmeyer auf Mallorca urlaubte, zeugte nicht unbedingt von Instintksicherheit. In die Causa Sarrazin wiederum mischte er sich zu einem Zeitpunkt ein, da die Bundesbank die Entlassung des schnauzbärtigen Provokateurs noch nicht beschlossen und bei ihm beantragt hatte. Damit erweckte Wulff den Eindruck, Sarrazins Rauswurf zu unterstützen.

Offenbar hat der Mann gelernt. Er will nicht der Präsident der Patzer sein.

Es war klug und richtig, gerade wegen des aufgeregten Geheuls über Sarrazins krude Thesen, das Thema Integration in den Mittelpunkt der Präsidentschaft zu stellen. Explizit ging der Christdemokrat in seiner ersten großen Rede auf die Rolle des Islam in Deutschland ein. Migranten halten den neuen Bundespräsidenten auf diesem Feld für glaubwürdig: Deutschlands erste türkischstämmige Ministerin, Aygül Özkan, verdankt ihre Berufung Christian Wulff - der war damals noch Ministerpräsident in Niedersachsen.

So erhielt der Präsident für seine Rede erwartungsgemäß gerade von Migrantenverbänden viel Lob. Großer Zuspruch kam auch aus der Türkei. Die hitzige Kontroverse um den Satz, dass der Islam zu Deutschland gehöre, lässt viele Türken aber immer noch ratlos zurück. "Es ist für mich schwierig zu verstehen, wie diese Aussage Kritik auslösen kann. In keinem großen oder bedeutenden Staat der Welt gibt es nur mehr einen einzigen Glauben oder eine einzige Kultur", sagte Staatschef Abdullah Gül erst kürzlich in einem SZ-Interview.

Außerdem fragen sich in Ankara viele, wie die Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer nach einem Zuwanderungsstopp für Türken und Araber aufgrund ihrer Herkunft aus einem "anderen Kulturkreis" mit dem Integrationsgedanken zu vereinbaren sei. Vom Bundespräsidenten werden sie Antworten erwarten.

Die sensible Frage des Beitritts

Wulffs Kritiker in Deutschland werden dennoch jedes seiner Worte in der Türkei genau wägen, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Das rechtskonservative Magazin Focus wähnte ihn bereits im "Kulturkampf" und bildete ihn mit orientalischer Kopfbedeckung ab, der Antipode Seehofer dagegen durfte ein Sieben-Punkte-Programm gegen Zuwanderung ausbreiten.

Hochsensibel bei den Gesprächen in Ankara ist auch der mögliche Beitritt der Türkei zur Europäischen Union.

Hier hat Wulff bereits vor einigen Wochen "faire" und "ergebnisoffene" Verhandlungen angemahnt. Der Präsident sprach explizit nicht von einer "privilegierten Partnerschaft", wie sie seine CDU und die Kanzlerin Angela Merkel immer wieder fordern. Wulff wäre gut beraten, diesen Begriff auch während seiner Reise nicht in den Mund zu nehmen. "Privilegierte Partnerschaft" ist in der Türkei zum Reizwort geworden.

Der Gast aus Schloss Bellevue weiß sich in der Türkei willkommen: Staatspräsident Gül betonte im Vorfeld, dass er es sehr schätze, dass Wulff auf einer seiner ersten Auslandsreisen in die Türkei kommt. Das ernsthafte Bemühen Güls um ein gutes Klima fand zuletzt auch darin Ausdruck, dass er im SZ-Interview Türken in der Bundesrepublik dazu aufforderte, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren. Selten war die Einigkeit zwischen Berlin und Ankara größer.

Kurzum, Wulff kann mit dieser Reise seinem Wunschbild näher kommen: Der Präsident aller Deutschen, auch der Muslime, zu sein.

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