Präsident Gauck in Frankreich:"Deutschland will Europa nicht beherrschen"

Joachim Gauck, Francois Hollande Oradour Frankreich

Gemeinsames Gedenken: Bundespräsident Joachim Gauck (re.)mit dem französischen Präsidenten François Hollande (li.) und dem überlebenden Zeitzeugen Robert Hebras

Zwei Präsidenten gedenken Hand in Hand Hunderter Opfer, die unter deutschem Befehl getötet und verbrannt wurden. Beim historischen Besuch in Frankreich nennt Bundespräsident Gauck das SS-Massaker in Oradour ein "barbarisches Verbrechen". Die Deutschen hätten aber aus der Geschichte gelernt.

Von Stefan Braun und Christian Wernicke, Oradour-sur-Glane

Mit der Anerkennung deutscher Schuld und einem Bekenntnis zur europäischen Einigung hat Bundespräsident Joachim Gauck am Mittwoch in Frankreich der Opfer der Nazi-Verbrechen gedacht. Deutschland sei heute "ein gutes Land" und wolle "Europa bauen, aber nicht beherrschen", sagte er nach seinem Besuch der Ruinen von Oradour-sur-Glane.

In dem mittelfranzösischen Dorf hatten am 10. Juni 1944 etwa 200 Soldaten der Waffen-SS ein Massaker verübt und 642 Zivilisten ermordet. Gauck versicherte, er empfinde "tiefes Entsetzen". Mit Frankreichs Präsident François Hollande gedachte er Hand in Hand der Toten.

Das Dorf hatte lange den Kontakt zu Deutschen verweigert

Der Besuch des Bundespräsidenten in Oradour stößt in Frankreich auf großes Interesse. Beinahe 70 Jahre nach der Gräueltat ist Gauck der erste hochrangige Vertreter der Bundesrepublik, der in den Ort kommt. Lange Jahre hatte das Dorf jeden Kontakt mit Deutschen verweigert. Der Vorsitzende der Vereinigung der Märtyrerfamilien von Oradour, Claude Milord, sagte der Süddeutschen Zeitung, "ein solcher Akt wäre vor 20 oder 30 Jahren nicht möglich gewesen". Gauck bedankte sich bei zwei Überlebenden und den Nachfahren des Massakers für die Einladung: Dies sei "eine Geste der Versöhnung, die man nur geschenkt bekommen kann".

Oradour und seine Bewohner, sagte Gauck, seien 1944 "in einem barbarischen, in einem zum Himmel schreienden Verbrechen vernichtet worden". Die Deutschen hätten hier "große Schuld" auf sich geladen. Die Waffen-SS hatte am 10. Juni 1944 zunächst 181 Männer hingerichtet, in der Dorfkirche wurden 254 Frauen und 207 Kinder ermordet. Anschließend legten die Soldaten Feuer und verbrannten die Menschen. Der französische Staat erklärte die Ruinen des "Dorfes der Märtyrer" 1945 zu einem nationalen Mahnmal und erbaute in der Nähe eine neue Gemeinde.

Viele Mörder wurden nicht zur Rechenschaft gezogen

Gauck beteuerte, die Deutschen hätten sich - nach anfänglicher Verdrängung und "schlichter Ignoranz" - um eine Aufarbeitung ihrer Geschichte bemüht. Die "Nachgeborenen" hätten nachgefragt: "Sie stritten, sie klagten an - ihre Eltern, ihre Großeltern, ihr Land." Dies sei "eine der großen Erfahrungen" westdeutscher Nachkriegsgeschichte "und eine der Triebfedern ihrer Fortentwicklung". Er versicherte, aus "der ernsthaften Auseinandersetzung" mit der Vergangenheit habe Deutschland Lehren gezogen und wolle heute "nicht über oder unter anderen Ländern stehen".

In Deutschland ist wegen des Oradour-Massakers nur ein Soldat von einem DDR-Gericht abgeurteilt worden. Ein französisches Militärtribunal hatte 1953 zwar 20 Mittäter verurteilt, unter ihnen 13 Elsässer. Die Deutschen kamen bis 1959 frei, die Elsässer wurden zügig amnestiert. Wegen der Verwicklung französischer Bürger wählte Gauck die Formel, die Tat sei "von Soldaten unter deutschem Befehl" verübt worden. Er versicherte seinen Gastgebern, er teile ihre "Bitterkeit darüber, dass viele Mörder nicht zur Rechenschaft gezogen wurden". Gauck sagte, er werde dieses Gefühl mit nach Deutschland zurücknehmen und "nicht verstummen". Die strafrechtliche Aufarbeitung sei nicht abgeschlossen. Gauck verwies auf die Staatsanwaltschaft Dortmund, die derzeit prüft, ob gegen drei von noch sechs lebenden Mittätern Anklage erhoben werden kann.

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